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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Iugenderiimerungen.

welche unter einem besondern Gärtner standen. Seiner blöden Augen wegen
und wohl auch, um eine Stütze für den schwachen Körper zu haben, bediente
er sich auch im Zimmer stets eines Rohrstockes.

Meiner Großmutter, die schon wenige Jahre nachher starb, kann ich mich
nur aus der Zeit unsers damaligen Aufenthaltes erinnern. Da sie mich nicht
von sich wies, auch wenn ich ihr dnrch endloses Fragen und Plappern manchmal
recht unbequem werden mochte, hing ich mehr an der alten, immer heitern
Matrone, als an zwei noch unverheirateten Tanten, die im großclterlichen Hause
lebten. Aus deu sehr lauten Stimmen beider, die sich abwechselnd bald auf
dem geregelten Vorplatze, bald auch im Zimmer vernehmen ließen, konnte ich
merken, daß diese jüngeren Schwestern meiner Mutter entweder nicht immer
gleicher Ansicht waren oder daß sie ihre Kenntnisse durch lebhaften Gedanken¬
austausch zu vermehren suchten.

Von Zeit zu Zeit erschien auch die einzige Schwester des Großvaters in
der Wohnung ihres älteren Bruders, und dann hörte bei der überredseligcn Dame
das Sprechen garnicht auf. Die gute Alte, noch kleiner als die Großmutter,
drehte sich bei ihren Erzählungen wie ein Kreisel oder machte fortwährend Knixe,
was mir höchst sonderbar vorkam. Im übrigen bekümmerte sie sich wenig um
uns Kinder, da sie mit ihren eignen unbedeutenden Angelegenheiten vollauf zu
thun hatte. Damals schon seit langen Jahren verwitwet, überlebte sie ihren
Bruder lange und erreichte ein Alter von nahezu hundert Jahren. Auch der
Besitzer des Hauses -- die Großeltern bewohnten nur die erste Etage, und im
Parterre befanden sich noch zwei unheizbarc, sehr dumpfe und ungemütliche
Zimmer -- begegnete mir dann und wann. Er war Hagestolz, sehr steif und
wortkarg und machte mir stets einen unheimlichen Eindruck. Früher Kaufmann,
hatte er sich schon längst zur Ruhe gesetzt und lebte in großer Zurückgezogenheit
von seinen Renten. Gewöhnlich ward ich des alten Herrn ansichtig, wenn er
in seinen hinter dem Hause gelegenen Garten ging, der zwar sehr wüst aussah,
dessen Betreten mir aber trotzdem strengstens verboten war. Ein langer, halb¬
dunkler Gang führte von dem Vorplatze des Hauses dahin; ans diesen Gang
flüchtete ich mich bald allein, bald mit meiner Schwester Amalie, wenn uns
eine der scheltenden Tanten oder die tiefe Stimme des Großvaters aus der
Nähe der vorderen Zimmer verscheuchte.

Aus diesen Gang öffneten sich auch die Thüren mehrerer Verschlage, welche
unten ziemlich große runde Ausschnitte hatten. Diese Hffnnngen reizten unsre
kindliche Neugierde, obwohl wir nur in dunkle Räume blickten. Wir konnten
aber oft sehr lange ausgestreckt vor den geheimnisvollen Ausschnitten liegen
und den rätselhaften Geräuschen lauschen, die sich bisweilen längere oder kürzere
Zeit hören ließen und die Wohl von nagenden Mäusen herrühren mochten, denn
für eine große, schöne Tigerkatze, die überall im Hause herumschweifte, hatten
diese stets verschlossenen Thüren dieselbe Anziehungskraft wie für uus.


Iugenderiimerungen.

welche unter einem besondern Gärtner standen. Seiner blöden Augen wegen
und wohl auch, um eine Stütze für den schwachen Körper zu haben, bediente
er sich auch im Zimmer stets eines Rohrstockes.

Meiner Großmutter, die schon wenige Jahre nachher starb, kann ich mich
nur aus der Zeit unsers damaligen Aufenthaltes erinnern. Da sie mich nicht
von sich wies, auch wenn ich ihr dnrch endloses Fragen und Plappern manchmal
recht unbequem werden mochte, hing ich mehr an der alten, immer heitern
Matrone, als an zwei noch unverheirateten Tanten, die im großclterlichen Hause
lebten. Aus deu sehr lauten Stimmen beider, die sich abwechselnd bald auf
dem geregelten Vorplatze, bald auch im Zimmer vernehmen ließen, konnte ich
merken, daß diese jüngeren Schwestern meiner Mutter entweder nicht immer
gleicher Ansicht waren oder daß sie ihre Kenntnisse durch lebhaften Gedanken¬
austausch zu vermehren suchten.

Von Zeit zu Zeit erschien auch die einzige Schwester des Großvaters in
der Wohnung ihres älteren Bruders, und dann hörte bei der überredseligcn Dame
das Sprechen garnicht auf. Die gute Alte, noch kleiner als die Großmutter,
drehte sich bei ihren Erzählungen wie ein Kreisel oder machte fortwährend Knixe,
was mir höchst sonderbar vorkam. Im übrigen bekümmerte sie sich wenig um
uns Kinder, da sie mit ihren eignen unbedeutenden Angelegenheiten vollauf zu
thun hatte. Damals schon seit langen Jahren verwitwet, überlebte sie ihren
Bruder lange und erreichte ein Alter von nahezu hundert Jahren. Auch der
Besitzer des Hauses — die Großeltern bewohnten nur die erste Etage, und im
Parterre befanden sich noch zwei unheizbarc, sehr dumpfe und ungemütliche
Zimmer — begegnete mir dann und wann. Er war Hagestolz, sehr steif und
wortkarg und machte mir stets einen unheimlichen Eindruck. Früher Kaufmann,
hatte er sich schon längst zur Ruhe gesetzt und lebte in großer Zurückgezogenheit
von seinen Renten. Gewöhnlich ward ich des alten Herrn ansichtig, wenn er
in seinen hinter dem Hause gelegenen Garten ging, der zwar sehr wüst aussah,
dessen Betreten mir aber trotzdem strengstens verboten war. Ein langer, halb¬
dunkler Gang führte von dem Vorplatze des Hauses dahin; ans diesen Gang
flüchtete ich mich bald allein, bald mit meiner Schwester Amalie, wenn uns
eine der scheltenden Tanten oder die tiefe Stimme des Großvaters aus der
Nähe der vorderen Zimmer verscheuchte.

Aus diesen Gang öffneten sich auch die Thüren mehrerer Verschlage, welche
unten ziemlich große runde Ausschnitte hatten. Diese Hffnnngen reizten unsre
kindliche Neugierde, obwohl wir nur in dunkle Räume blickten. Wir konnten
aber oft sehr lange ausgestreckt vor den geheimnisvollen Ausschnitten liegen
und den rätselhaften Geräuschen lauschen, die sich bisweilen längere oder kürzere
Zeit hören ließen und die Wohl von nagenden Mäusen herrühren mochten, denn
für eine große, schöne Tigerkatze, die überall im Hause herumschweifte, hatten
diese stets verschlossenen Thüren dieselbe Anziehungskraft wie für uus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/300>, abgerufen am 22.07.2024.