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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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In den Tagen des Acnnxfes.

Möchten sie nur in der bisherigen Weise weiter reden und schreiben, das
ist das beste Mittel gegen die Wiederkehr eines Reichstages, wie der aufgelöste.
Und wir brauchen ihre Hilfe dazu. Thäte jeder Wahlberechtigte, der das Reich
einig und kräftig erhalten wissen möchte, feine Schuldigkeit, so könnte ja der
Ausgang der Wahlschlacht nicht zweifelhaft sein. Aber noch fürchten wir die
Lässigkeit und den Mangel an Disziplin gerade in denjenigen Schichten, welche
den Ausschlag geben müssen. Noch scheinen zu viele den furchtbaren Ernst der
Lage nicht zu erkennen. Die Neichstrenen sehen sich gegenüber völlig militärisch
orgnnisirte Bataillone, die unweigerlich ihren Offizieren gehorchen. Freisinnige
und Sozialdemokraten haben der preußischen Hecresverfassung manches ab¬
gelauscht, ihre Aufgebote sind stets des Kommandos gewärtig; die Klerikalen
brauchte" nichts neues zu schaffen, ihre Kadres waren längst da, sie bedurften
auch keiner neuen Lösung; die Verleumdung, daß das protestantische Kaisertum
den katholischen Glauben unterdrücke", alles "preußisch" machen wolle, wird von
Tausenden täglich verbreitet, welche durch ihr Amt Anspruch auf Vertrauen
haben -- wenn nicht bei den Männern, doch mittelbar durch die Frauen.
Wenn Windthorst auch den Monopolunsinn wiederkäut, so thut er es den
Bundesgenossen zu gefallen, seine eignen Scharen marschiren auch ohne jenes
Reizmittel. Aber Freisinn und Sozialdemokratie nutzen dasselbe im weitesten
Umfange und mit höchster Energie aus. Wo die Leute gewohnt sind, sich ihren
Kirsch- oder Pslanmenbranntwcin selbst zu bereiten, wird mit dem Branntwein¬
monopol gedroht, in der Pfalz mit dem Tabaksmonopol. Würden die Emissäre
gefragt, in welchem Zusammenhange denn Septenuat und Monopol stehen,
wieso denn gerade die sieben Jahre so gefährlich seien und die drei Jahre uicht,
so würde eine vernünftige Antwort ausbleiben. Aber die Zungendrescher ver¬
stehen es, den Armen an Geist einzuheizen, Schuapswirte und Zigarrcnreisende
kommen ihnen als Freiwillige zu Hilfe, Personen, denen die Sorge um ihren
Erwerb die vernünftige Überlegung geraubt hat; daß Hunderttausende not¬
wendig sind, um "den Volkswillen zu unverfälschten Ausdrucke" gelangen zu
lassen, diese Schmach wird offen eingestanden, und darüber, welche Summen
manche Kandidaten, die mit Glücksgütern gesegnet sind, noch privatim aufwenden,
kann man in verschiednen Gegenden erbauliche Geschichten hören.

Ist auf unsrer Seite auf eine Rührigkeit zu rechnen, welche uur einiger¬
maßen die gegnerische aufwiegen könnte? Werden am Tage der Entscheidung
alle Mann unter Waffen stehen? Werden alle Reichstreuen unverbrüchlich
zusammenhalten? Wird die Erkenntnis, daß es sich darum handelt, ob Deutsch¬
land sein soll oder nicht, alle Sonderintcresfen, isondcrgcluste, Nebenfragen,
Kvrpsfeindschaftcn und persönliche Antipathien znrückdrüngen? Wird die Be¬
rechnung jener französischen Politiker zu schänden werden, welche heute schon
rund heraus sagen, die Vergeltung für 1870 müsse kommen, wenn die Fran¬
zosen nur Geduld haben, denn die Deutschen würden sich schon selbst zer¬
fleischen und zur alten Ohnmacht verurteilen -- wird diese Berechnung zu
schänden werden?

Herr v. Bennigsen erscheint wieder auf dem parlamentarischen Schlacht¬
felde. Möge er Grund haben, 1887 seine Worte von 1874 zu wiederholen:
"Ebenso weitsehend und fest, ebenso würdig und national ist die Politik der
Reichsregierung, und sie wird der Zustimmung der Mehrheit dieses Reichstages
und der Zustimmung der deutschen Nation für alle Zukunft sicher sein."




In den Tagen des Acnnxfes.

Möchten sie nur in der bisherigen Weise weiter reden und schreiben, das
ist das beste Mittel gegen die Wiederkehr eines Reichstages, wie der aufgelöste.
Und wir brauchen ihre Hilfe dazu. Thäte jeder Wahlberechtigte, der das Reich
einig und kräftig erhalten wissen möchte, feine Schuldigkeit, so könnte ja der
Ausgang der Wahlschlacht nicht zweifelhaft sein. Aber noch fürchten wir die
Lässigkeit und den Mangel an Disziplin gerade in denjenigen Schichten, welche
den Ausschlag geben müssen. Noch scheinen zu viele den furchtbaren Ernst der
Lage nicht zu erkennen. Die Neichstrenen sehen sich gegenüber völlig militärisch
orgnnisirte Bataillone, die unweigerlich ihren Offizieren gehorchen. Freisinnige
und Sozialdemokraten haben der preußischen Hecresverfassung manches ab¬
gelauscht, ihre Aufgebote sind stets des Kommandos gewärtig; die Klerikalen
brauchte» nichts neues zu schaffen, ihre Kadres waren längst da, sie bedurften
auch keiner neuen Lösung; die Verleumdung, daß das protestantische Kaisertum
den katholischen Glauben unterdrücke», alles „preußisch" machen wolle, wird von
Tausenden täglich verbreitet, welche durch ihr Amt Anspruch auf Vertrauen
haben — wenn nicht bei den Männern, doch mittelbar durch die Frauen.
Wenn Windthorst auch den Monopolunsinn wiederkäut, so thut er es den
Bundesgenossen zu gefallen, seine eignen Scharen marschiren auch ohne jenes
Reizmittel. Aber Freisinn und Sozialdemokratie nutzen dasselbe im weitesten
Umfange und mit höchster Energie aus. Wo die Leute gewohnt sind, sich ihren
Kirsch- oder Pslanmenbranntwcin selbst zu bereiten, wird mit dem Branntwein¬
monopol gedroht, in der Pfalz mit dem Tabaksmonopol. Würden die Emissäre
gefragt, in welchem Zusammenhange denn Septenuat und Monopol stehen,
wieso denn gerade die sieben Jahre so gefährlich seien und die drei Jahre uicht,
so würde eine vernünftige Antwort ausbleiben. Aber die Zungendrescher ver¬
stehen es, den Armen an Geist einzuheizen, Schuapswirte und Zigarrcnreisende
kommen ihnen als Freiwillige zu Hilfe, Personen, denen die Sorge um ihren
Erwerb die vernünftige Überlegung geraubt hat; daß Hunderttausende not¬
wendig sind, um „den Volkswillen zu unverfälschten Ausdrucke" gelangen zu
lassen, diese Schmach wird offen eingestanden, und darüber, welche Summen
manche Kandidaten, die mit Glücksgütern gesegnet sind, noch privatim aufwenden,
kann man in verschiednen Gegenden erbauliche Geschichten hören.

Ist auf unsrer Seite auf eine Rührigkeit zu rechnen, welche uur einiger¬
maßen die gegnerische aufwiegen könnte? Werden am Tage der Entscheidung
alle Mann unter Waffen stehen? Werden alle Reichstreuen unverbrüchlich
zusammenhalten? Wird die Erkenntnis, daß es sich darum handelt, ob Deutsch¬
land sein soll oder nicht, alle Sonderintcresfen, isondcrgcluste, Nebenfragen,
Kvrpsfeindschaftcn und persönliche Antipathien znrückdrüngen? Wird die Be¬
rechnung jener französischen Politiker zu schänden werden, welche heute schon
rund heraus sagen, die Vergeltung für 1870 müsse kommen, wenn die Fran¬
zosen nur Geduld haben, denn die Deutschen würden sich schon selbst zer¬
fleischen und zur alten Ohnmacht verurteilen — wird diese Berechnung zu
schänden werden?

Herr v. Bennigsen erscheint wieder auf dem parlamentarischen Schlacht¬
felde. Möge er Grund haben, 1887 seine Worte von 1874 zu wiederholen:
„Ebenso weitsehend und fest, ebenso würdig und national ist die Politik der
Reichsregierung, und sie wird der Zustimmung der Mehrheit dieses Reichstages
und der Zustimmung der deutschen Nation für alle Zukunft sicher sein."




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[0298] In den Tagen des Acnnxfes. Möchten sie nur in der bisherigen Weise weiter reden und schreiben, das ist das beste Mittel gegen die Wiederkehr eines Reichstages, wie der aufgelöste. Und wir brauchen ihre Hilfe dazu. Thäte jeder Wahlberechtigte, der das Reich einig und kräftig erhalten wissen möchte, feine Schuldigkeit, so könnte ja der Ausgang der Wahlschlacht nicht zweifelhaft sein. Aber noch fürchten wir die Lässigkeit und den Mangel an Disziplin gerade in denjenigen Schichten, welche den Ausschlag geben müssen. Noch scheinen zu viele den furchtbaren Ernst der Lage nicht zu erkennen. Die Neichstrenen sehen sich gegenüber völlig militärisch orgnnisirte Bataillone, die unweigerlich ihren Offizieren gehorchen. Freisinnige und Sozialdemokraten haben der preußischen Hecresverfassung manches ab¬ gelauscht, ihre Aufgebote sind stets des Kommandos gewärtig; die Klerikalen brauchte» nichts neues zu schaffen, ihre Kadres waren längst da, sie bedurften auch keiner neuen Lösung; die Verleumdung, daß das protestantische Kaisertum den katholischen Glauben unterdrücke», alles „preußisch" machen wolle, wird von Tausenden täglich verbreitet, welche durch ihr Amt Anspruch auf Vertrauen haben — wenn nicht bei den Männern, doch mittelbar durch die Frauen. Wenn Windthorst auch den Monopolunsinn wiederkäut, so thut er es den Bundesgenossen zu gefallen, seine eignen Scharen marschiren auch ohne jenes Reizmittel. Aber Freisinn und Sozialdemokratie nutzen dasselbe im weitesten Umfange und mit höchster Energie aus. Wo die Leute gewohnt sind, sich ihren Kirsch- oder Pslanmenbranntwcin selbst zu bereiten, wird mit dem Branntwein¬ monopol gedroht, in der Pfalz mit dem Tabaksmonopol. Würden die Emissäre gefragt, in welchem Zusammenhange denn Septenuat und Monopol stehen, wieso denn gerade die sieben Jahre so gefährlich seien und die drei Jahre uicht, so würde eine vernünftige Antwort ausbleiben. Aber die Zungendrescher ver¬ stehen es, den Armen an Geist einzuheizen, Schuapswirte und Zigarrcnreisende kommen ihnen als Freiwillige zu Hilfe, Personen, denen die Sorge um ihren Erwerb die vernünftige Überlegung geraubt hat; daß Hunderttausende not¬ wendig sind, um „den Volkswillen zu unverfälschten Ausdrucke" gelangen zu lassen, diese Schmach wird offen eingestanden, und darüber, welche Summen manche Kandidaten, die mit Glücksgütern gesegnet sind, noch privatim aufwenden, kann man in verschiednen Gegenden erbauliche Geschichten hören. Ist auf unsrer Seite auf eine Rührigkeit zu rechnen, welche uur einiger¬ maßen die gegnerische aufwiegen könnte? Werden am Tage der Entscheidung alle Mann unter Waffen stehen? Werden alle Reichstreuen unverbrüchlich zusammenhalten? Wird die Erkenntnis, daß es sich darum handelt, ob Deutsch¬ land sein soll oder nicht, alle Sonderintcresfen, isondcrgcluste, Nebenfragen, Kvrpsfeindschaftcn und persönliche Antipathien znrückdrüngen? Wird die Be¬ rechnung jener französischen Politiker zu schänden werden, welche heute schon rund heraus sagen, die Vergeltung für 1870 müsse kommen, wenn die Fran¬ zosen nur Geduld haben, denn die Deutschen würden sich schon selbst zer¬ fleischen und zur alten Ohnmacht verurteilen — wird diese Berechnung zu schänden werden? Herr v. Bennigsen erscheint wieder auf dem parlamentarischen Schlacht¬ felde. Möge er Grund haben, 1887 seine Worte von 1874 zu wiederholen: „Ebenso weitsehend und fest, ebenso würdig und national ist die Politik der Reichsregierung, und sie wird der Zustimmung der Mehrheit dieses Reichstages und der Zustimmung der deutschen Nation für alle Zukunft sicher sein."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/298>, abgerufen am 23.12.2024.