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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander.

hat seine Leichtgläubigkeit und Bestimmbarkeit immermehr zugenommen. Jener
heuchlerische Wohlwend, der ihn schon zweimal empfindlich geschädigt hat, legt
ihm nun einen neuen Fallstrick. In der Zwischenzeit hatte Louis sich in der
Welt herumgeschlagen, mit dem bei Salander geraubten Gelde in der Tasche;
er war bis nach Ungarn gekommen, hatte dort, ganz mcigyarisirt, die Tochter
eines reichen Schweinezüchters geheiratet, sodaß er von seiner Rente leben und
noch etwas zurücklegen konnte. Nach Jahren kehrte er nach Müusterburg zurück,
in der Begleitung seiner Frau, zweier Knaben und einer ungewöhnlich schönen
Schwägerin, Myrrha Glawicz, die nur leider etwas blöde war. Da er die
Absicht hatte, sich in seiner Heimat ständig niederzulassen, spekulirte er auf
Martin Salanders Verkehr, dessen bürgerliches Ausehen als Staatsrat und
reicher Handelsherr ihm den Eintritt in die Gesellschaft möglich machen sollte.
Gleich beim ersten schlauen Kniff ließ sich Salander gewinnen: Wohlwend trat
wie aus den Wolken geschneit bei ihm ein, legte ihm fünftausend Franken hin
mit der Ankündigung, daß er ihm nach und nach das beim ersten Bankerott ge¬
borgte Geld zurückzuzahlen gedenke. Marie Saleuter lachte halb empört über
die Naivität ihres Gatten; dieser strich das Geld vergnügt ein, erinnerte sich
sentimental, daß Wohlwend, den er früher schou in der Jugend nicht gut habe
leiden wollen, sein Schulkollege war, ja er ließ sich sogar von dem heuchlerischen
Gesellen zu Tische laden, um seine Familie kennen zu lernen. Ihn freilich ins
Haus zu nehmen durfte er unter den strengen und klugen Augen seiner Marie
nicht wagen. Bei Wohlwend nun lernte Martin Salander die schöne Myrrha
kennen, und so groß war der Eindruck, den sie auf ihn machte, daß der fnnf-
nndfünfzigjährige Mann sich in das achtzehnjährige Mädchen verliebte. Köst¬
lich werden nun die Schmerzen dieses Johannistriebes geschildert, bis zum
Glücke der Sohn zur rechten Zeit aus Amerika heimkehrt, um dem verliebten
Alten trocken zu sagen, daß das schöne Kind einsilbig aus purer Einfältigkeit
sei, und ihn so zu kuriren. Damit sind auch die Pläne Wvhlwends auf eine
Verbindung zwischen Arnold Salander und Myrrha zerstört. Wohlwend, der
immer ein ideales Müntelchen um seine nackte Schurkerei zu breiten liebte, wird
in der Folge ein Frömmler und Agent einer Missionsgesellschaft.

Soviel habe" wir bisher, freilich mit Übergehung einer Fülle von schönen
Einzelheiten und herrlichen Episoden, von den Hauptgestalten des Romans er¬
zählen müssen und haben noch immer nicht von den beiden ideale" Figuren in
dieser Dichtung gesprochen, die allerdings infolge des satirischen Charakters der
Dichtung nnr im Hintergründe der Vorgänge bleiben. Aber sie sind für das
Verständnis der Dichtung ganz unentbehrlich. Marie Salander haben wir schon
öfter im Vorbeigehen nennen müssen. Was das für ein herrliches Frauenbild,
was das für eine Gattin und Mutter ist, läßt sich schwer in wenig Worten
sagen. Sie ist das Muster einer Ehefrau. Als Salander nach seiner sieben¬
jährigen Abwesenheit heimkehrt und die erste Nacht wieder unter dem eignen


Grenzboteiv I. 1887. 36
Martin Salander.

hat seine Leichtgläubigkeit und Bestimmbarkeit immermehr zugenommen. Jener
heuchlerische Wohlwend, der ihn schon zweimal empfindlich geschädigt hat, legt
ihm nun einen neuen Fallstrick. In der Zwischenzeit hatte Louis sich in der
Welt herumgeschlagen, mit dem bei Salander geraubten Gelde in der Tasche;
er war bis nach Ungarn gekommen, hatte dort, ganz mcigyarisirt, die Tochter
eines reichen Schweinezüchters geheiratet, sodaß er von seiner Rente leben und
noch etwas zurücklegen konnte. Nach Jahren kehrte er nach Müusterburg zurück,
in der Begleitung seiner Frau, zweier Knaben und einer ungewöhnlich schönen
Schwägerin, Myrrha Glawicz, die nur leider etwas blöde war. Da er die
Absicht hatte, sich in seiner Heimat ständig niederzulassen, spekulirte er auf
Martin Salanders Verkehr, dessen bürgerliches Ausehen als Staatsrat und
reicher Handelsherr ihm den Eintritt in die Gesellschaft möglich machen sollte.
Gleich beim ersten schlauen Kniff ließ sich Salander gewinnen: Wohlwend trat
wie aus den Wolken geschneit bei ihm ein, legte ihm fünftausend Franken hin
mit der Ankündigung, daß er ihm nach und nach das beim ersten Bankerott ge¬
borgte Geld zurückzuzahlen gedenke. Marie Saleuter lachte halb empört über
die Naivität ihres Gatten; dieser strich das Geld vergnügt ein, erinnerte sich
sentimental, daß Wohlwend, den er früher schou in der Jugend nicht gut habe
leiden wollen, sein Schulkollege war, ja er ließ sich sogar von dem heuchlerischen
Gesellen zu Tische laden, um seine Familie kennen zu lernen. Ihn freilich ins
Haus zu nehmen durfte er unter den strengen und klugen Augen seiner Marie
nicht wagen. Bei Wohlwend nun lernte Martin Salander die schöne Myrrha
kennen, und so groß war der Eindruck, den sie auf ihn machte, daß der fnnf-
nndfünfzigjährige Mann sich in das achtzehnjährige Mädchen verliebte. Köst¬
lich werden nun die Schmerzen dieses Johannistriebes geschildert, bis zum
Glücke der Sohn zur rechten Zeit aus Amerika heimkehrt, um dem verliebten
Alten trocken zu sagen, daß das schöne Kind einsilbig aus purer Einfältigkeit
sei, und ihn so zu kuriren. Damit sind auch die Pläne Wvhlwends auf eine
Verbindung zwischen Arnold Salander und Myrrha zerstört. Wohlwend, der
immer ein ideales Müntelchen um seine nackte Schurkerei zu breiten liebte, wird
in der Folge ein Frömmler und Agent einer Missionsgesellschaft.

Soviel habe» wir bisher, freilich mit Übergehung einer Fülle von schönen
Einzelheiten und herrlichen Episoden, von den Hauptgestalten des Romans er¬
zählen müssen und haben noch immer nicht von den beiden ideale» Figuren in
dieser Dichtung gesprochen, die allerdings infolge des satirischen Charakters der
Dichtung nnr im Hintergründe der Vorgänge bleiben. Aber sie sind für das
Verständnis der Dichtung ganz unentbehrlich. Marie Salander haben wir schon
öfter im Vorbeigehen nennen müssen. Was das für ein herrliches Frauenbild,
was das für eine Gattin und Mutter ist, läßt sich schwer in wenig Worten
sagen. Sie ist das Muster einer Ehefrau. Als Salander nach seiner sieben¬
jährigen Abwesenheit heimkehrt und die erste Nacht wieder unter dem eignen


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[0289] Martin Salander. hat seine Leichtgläubigkeit und Bestimmbarkeit immermehr zugenommen. Jener heuchlerische Wohlwend, der ihn schon zweimal empfindlich geschädigt hat, legt ihm nun einen neuen Fallstrick. In der Zwischenzeit hatte Louis sich in der Welt herumgeschlagen, mit dem bei Salander geraubten Gelde in der Tasche; er war bis nach Ungarn gekommen, hatte dort, ganz mcigyarisirt, die Tochter eines reichen Schweinezüchters geheiratet, sodaß er von seiner Rente leben und noch etwas zurücklegen konnte. Nach Jahren kehrte er nach Müusterburg zurück, in der Begleitung seiner Frau, zweier Knaben und einer ungewöhnlich schönen Schwägerin, Myrrha Glawicz, die nur leider etwas blöde war. Da er die Absicht hatte, sich in seiner Heimat ständig niederzulassen, spekulirte er auf Martin Salanders Verkehr, dessen bürgerliches Ausehen als Staatsrat und reicher Handelsherr ihm den Eintritt in die Gesellschaft möglich machen sollte. Gleich beim ersten schlauen Kniff ließ sich Salander gewinnen: Wohlwend trat wie aus den Wolken geschneit bei ihm ein, legte ihm fünftausend Franken hin mit der Ankündigung, daß er ihm nach und nach das beim ersten Bankerott ge¬ borgte Geld zurückzuzahlen gedenke. Marie Saleuter lachte halb empört über die Naivität ihres Gatten; dieser strich das Geld vergnügt ein, erinnerte sich sentimental, daß Wohlwend, den er früher schou in der Jugend nicht gut habe leiden wollen, sein Schulkollege war, ja er ließ sich sogar von dem heuchlerischen Gesellen zu Tische laden, um seine Familie kennen zu lernen. Ihn freilich ins Haus zu nehmen durfte er unter den strengen und klugen Augen seiner Marie nicht wagen. Bei Wohlwend nun lernte Martin Salander die schöne Myrrha kennen, und so groß war der Eindruck, den sie auf ihn machte, daß der fnnf- nndfünfzigjährige Mann sich in das achtzehnjährige Mädchen verliebte. Köst¬ lich werden nun die Schmerzen dieses Johannistriebes geschildert, bis zum Glücke der Sohn zur rechten Zeit aus Amerika heimkehrt, um dem verliebten Alten trocken zu sagen, daß das schöne Kind einsilbig aus purer Einfältigkeit sei, und ihn so zu kuriren. Damit sind auch die Pläne Wvhlwends auf eine Verbindung zwischen Arnold Salander und Myrrha zerstört. Wohlwend, der immer ein ideales Müntelchen um seine nackte Schurkerei zu breiten liebte, wird in der Folge ein Frömmler und Agent einer Missionsgesellschaft. Soviel habe» wir bisher, freilich mit Übergehung einer Fülle von schönen Einzelheiten und herrlichen Episoden, von den Hauptgestalten des Romans er¬ zählen müssen und haben noch immer nicht von den beiden ideale» Figuren in dieser Dichtung gesprochen, die allerdings infolge des satirischen Charakters der Dichtung nnr im Hintergründe der Vorgänge bleiben. Aber sie sind für das Verständnis der Dichtung ganz unentbehrlich. Marie Salander haben wir schon öfter im Vorbeigehen nennen müssen. Was das für ein herrliches Frauenbild, was das für eine Gattin und Mutter ist, läßt sich schwer in wenig Worten sagen. Sie ist das Muster einer Ehefrau. Als Salander nach seiner sieben¬ jährigen Abwesenheit heimkehrt und die erste Nacht wieder unter dem eignen Grenzboteiv I. 1887. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/289>, abgerufen am 22.07.2024.