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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander.

erbung androht, wissen sich die Zwillinge schnell zu fassen. Des Besitzes der
Töchter jedenfalls sicher, werfen sie sich auf das politische Strebertum, um
vorerst durch eigene Kraft zu etwas zu kommen, worauf gegen ihre Verbindung
mit den reichen Mädchen kein Einwand würde erhoben werden können. Sie
sehen ein, daß sie beide bei derselben Partei nicht so viel Vorteile ge¬
winnen könnten, als wenn jeder sich einer andern anschlösse, um mit den Kennt¬
nissen der Gegner sich jeweilig zu unterstützen; so würfeln sie denn um die
"Gesinnung." zu der jeder Bruder sich bekennen soll. Mit der demokratischen
Gesinnung legt sich der eine, Jsidor, einen Hut breit wie ein Wagenrad zu.
auch läßt er sich nun das Haar lang wachsen; der altliberale Julian trägt
dagegen ein zierliches Hütchen kaum von Tcllergrösze und kleidet sich stutzerhaft.
Erst nach dieser Maskerade vermag man die Zwillinge von einander zu unter¬
scheiden. Köstlich wird geschildert, wie sie in Wählervcrsammlungen den Versuch
machen, den politisch ehrgeizige" Martin Salander zu fördern. So sehr dieser
in seiner bescheidenen Eitelkeit sich geschmeichelt sühlt, so ist er doch zu vornehm,
sich diesem Kvmödicnspicl anzuschließen. Die Zwillinge aber gelangen durch ihre
schlauen Manöver nach und nach zu ihren Zielen: sie erhalten beide selbständige
Notarstellen, sie werden in den großen Rat gewählt. Die Schilderung der
ersten Ratssitzung ist eine der beißendsten Satiren: die jüngsten Großräte be¬
nehmen sich mit der Ungenirtheit der ältesten Parlamentarier: sie hören mit
halbem Ohre dem jeweiligen Sprecher zu, sie laufen aus und ein aus dem
Sitzungssaale, sie versorgen ihre Geschäftskorrespondenz während der Ver¬
handlungen des Rates u. dergl. Sie benutzen alle Begünstigungen eines
Ratsherrn, ohne eine seiner Pflichten zu erfüllen. Endlich führen sie auch die
angestrebten reichen Töchter beim. Allein nun, nachdem sie in den Besitz alles
dessen gelangt sind, was sie gewollt hatten, offenbart sich ihre armselige Natur.
Die Frauen, welche auf die jüngeren Gatten einen erzieherisch wohlthätigen
Einfluß zu gewinnen hofften, werden tyrannisirt; die getrcinmtc Liebe verflüchtigt
sich in Kürze, denn die Brüder haben ja "keine Seele." Die meiste Zeit ver¬
bringen die Herren Notare außer dem Hanse, sei es, daß sie sogenannten politischen
Versammlungen beiwohnen, sei es, daß sie sich von einem Schützenfeste zum
andern herumtreiben und mit sehr viel Geld, da sie schlechte Schützen sind, sehr
kleine Becher erringen. Um die vielen Ausgaben zu decken, geraten sie in Be¬
trügereien, indem sie systematisch einen ausgedehnten Hhpvthekenschwinde'l be¬
treiben. Das Schlimmste offenbar, was Keller ihnen nachzusagen weiß, ist, daß
sie ihre Zeit der eine mit dem Fischfang, der andre, höhere, mit dem Fange
von Singvögeln, die, gegessen werden sollen, schließlich totschlagen. Endlich
aber kommen mit dem allgemeinen Krach alle ihre Betrügereien zu Tage, sie
werden verhaftet. Jetzt, bemerkt der Dichter, zeigte sich zum erstenmale eine
kleine Differenz in den sonst identischen Charakteren der Brüder: Julian ist "och
im rechten Augenblicke ins Ausland durchgebrannt, wo er indes auch bald ab-


Martin Salander.

erbung androht, wissen sich die Zwillinge schnell zu fassen. Des Besitzes der
Töchter jedenfalls sicher, werfen sie sich auf das politische Strebertum, um
vorerst durch eigene Kraft zu etwas zu kommen, worauf gegen ihre Verbindung
mit den reichen Mädchen kein Einwand würde erhoben werden können. Sie
sehen ein, daß sie beide bei derselben Partei nicht so viel Vorteile ge¬
winnen könnten, als wenn jeder sich einer andern anschlösse, um mit den Kennt¬
nissen der Gegner sich jeweilig zu unterstützen; so würfeln sie denn um die
„Gesinnung." zu der jeder Bruder sich bekennen soll. Mit der demokratischen
Gesinnung legt sich der eine, Jsidor, einen Hut breit wie ein Wagenrad zu.
auch läßt er sich nun das Haar lang wachsen; der altliberale Julian trägt
dagegen ein zierliches Hütchen kaum von Tcllergrösze und kleidet sich stutzerhaft.
Erst nach dieser Maskerade vermag man die Zwillinge von einander zu unter¬
scheiden. Köstlich wird geschildert, wie sie in Wählervcrsammlungen den Versuch
machen, den politisch ehrgeizige» Martin Salander zu fördern. So sehr dieser
in seiner bescheidenen Eitelkeit sich geschmeichelt sühlt, so ist er doch zu vornehm,
sich diesem Kvmödicnspicl anzuschließen. Die Zwillinge aber gelangen durch ihre
schlauen Manöver nach und nach zu ihren Zielen: sie erhalten beide selbständige
Notarstellen, sie werden in den großen Rat gewählt. Die Schilderung der
ersten Ratssitzung ist eine der beißendsten Satiren: die jüngsten Großräte be¬
nehmen sich mit der Ungenirtheit der ältesten Parlamentarier: sie hören mit
halbem Ohre dem jeweiligen Sprecher zu, sie laufen aus und ein aus dem
Sitzungssaale, sie versorgen ihre Geschäftskorrespondenz während der Ver¬
handlungen des Rates u. dergl. Sie benutzen alle Begünstigungen eines
Ratsherrn, ohne eine seiner Pflichten zu erfüllen. Endlich führen sie auch die
angestrebten reichen Töchter beim. Allein nun, nachdem sie in den Besitz alles
dessen gelangt sind, was sie gewollt hatten, offenbart sich ihre armselige Natur.
Die Frauen, welche auf die jüngeren Gatten einen erzieherisch wohlthätigen
Einfluß zu gewinnen hofften, werden tyrannisirt; die getrcinmtc Liebe verflüchtigt
sich in Kürze, denn die Brüder haben ja „keine Seele." Die meiste Zeit ver¬
bringen die Herren Notare außer dem Hanse, sei es, daß sie sogenannten politischen
Versammlungen beiwohnen, sei es, daß sie sich von einem Schützenfeste zum
andern herumtreiben und mit sehr viel Geld, da sie schlechte Schützen sind, sehr
kleine Becher erringen. Um die vielen Ausgaben zu decken, geraten sie in Be¬
trügereien, indem sie systematisch einen ausgedehnten Hhpvthekenschwinde'l be¬
treiben. Das Schlimmste offenbar, was Keller ihnen nachzusagen weiß, ist, daß
sie ihre Zeit der eine mit dem Fischfang, der andre, höhere, mit dem Fange
von Singvögeln, die, gegessen werden sollen, schließlich totschlagen. Endlich
aber kommen mit dem allgemeinen Krach alle ihre Betrügereien zu Tage, sie
werden verhaftet. Jetzt, bemerkt der Dichter, zeigte sich zum erstenmale eine
kleine Differenz in den sonst identischen Charakteren der Brüder: Julian ist »och
im rechten Augenblicke ins Ausland durchgebrannt, wo er indes auch bald ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/286>, abgerufen am 03.07.2024.