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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot.

Wohnungen betreiben. Mit der thatkräftigen Durchfiihrung gesundheitspolizei¬
licher Maßregeln muß die Beschaffung neuer Wvhnnngsgelegenheit Hand in Hand
gehen, wenn diese Maßregeln Erfolg haben und nicht größeres Elend herbei¬
führen sollen.

Den Anstoß zur Abfassung dieses Aufsatzes hat mir eine Mitteilung über
die Bestrebungen des "Tübinger HilfsVereins" gegeben, welcher neuerdings
auch die Verbesserung der Wohnuugsznstcinde in den Kreis seiner Thätigkeit
gezogen hat. Was dieser Verein auf diesem Gebiete erreicht hat, mag vielleicht
manchem geringfügig erscheinen, aber es ist nicht geringfügig im Verhältnis zu
den zu Gebote stehenden Mitteln. Mau kann das dort erreichte mit einer
bescheidenen Pflanze vergleichen, die an ihrem gegenwärtigen Standort noch
erheblichen Wachstums sähig ist, und deren Ableger oder Samenkörner
an andern Orten bei geeigneter Pflege zu großen Bäumen werde" und in
kommenden Jahrzehnten reiche Frucht tragen können. In der Bedeutung eines
Vorbildes, eines Beispiels ist der Hauptwert der Tübinger Bestrebungen,
wenigstens für alle übrigen Orte unsers Vaterlandes, zu suchen. Aller Anfang
ist schwer -- der Anfang ist gelungen.

Der "Tübinger Hilfsverein"*) besteht hauptsächlich aus Damen der höhern
Stände, die von einigen Herren unterstützt werden. Eine vernünftige Armen¬
pflege ist sein Hauptziel. Neuerdings hat der Verein zwei Häuser mit je sechs
Familienwohnungen zur Vermietung an ordentliche Leute aus dem Arbeiter¬
stande gebaut und wird, da der Erfolg befriedigend ist, in nicht langer Zeit
den Ban eines dritten beginnen. Günstig liegen die Verhältnisse in Tübingen
insofern, als die Boden-"") und Baupreise nicht die einer Großstadt sind. Ander¬
seits sind aber auch die Löhne und damit die Fähigkeit zur Mietzahlnng ge¬
ringer, und, was bei Begründung gemeinnütziger Unternehmungen sehr ins
Gewicht fällt, die Zahl der reichbegüterten Leute, welche ihren dauernden Wohnsitz
in Tübingen haben, ist nicht sehr groß. Man kann daher wohl annehmen, daß
der Tübinger Hilfsverein seine Thätigkeit unter Umständen entwickelt hat, welche
als "mittlere" zu bezeichnen sind.

Die Mittel zum Hausbau hat der Hilfsverein, welcher seit Jahren juristische
Person ist, auf folgende Weise zusammengebracht. Als Grundstock dienten der
Ertrag eines großen Bazars und einige Stiftungen, welche sich zusammen auf
7000 Mark beliefen. Das weitere Kapital, mehr als 20 000 Mark, ist zu vier
Prozent Zinsen aufgenommen. Da Kapital zu diesem Zinsfuß genügend an¬
geboten wird -- ein Zeichen, für wie sicher man die Kapitalanlage hält --, so




*) Näheres über ihn sowie über andre verwandte Bestrebungen in Mathilde Webers
im vorigen Jahre in zweiter Auflage erschienener Schrift: "Über die sozialen Pflichten der
Familie" (Berlin, Th. Hofmann).
Der Bauplatz von sechs Ar kostete 1000 Mark, ein Haus für sechs Familien kostete
mit dem Grundstücke fix und fertig Is200 Mark.
Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot.

Wohnungen betreiben. Mit der thatkräftigen Durchfiihrung gesundheitspolizei¬
licher Maßregeln muß die Beschaffung neuer Wvhnnngsgelegenheit Hand in Hand
gehen, wenn diese Maßregeln Erfolg haben und nicht größeres Elend herbei¬
führen sollen.

Den Anstoß zur Abfassung dieses Aufsatzes hat mir eine Mitteilung über
die Bestrebungen des „Tübinger HilfsVereins" gegeben, welcher neuerdings
auch die Verbesserung der Wohnuugsznstcinde in den Kreis seiner Thätigkeit
gezogen hat. Was dieser Verein auf diesem Gebiete erreicht hat, mag vielleicht
manchem geringfügig erscheinen, aber es ist nicht geringfügig im Verhältnis zu
den zu Gebote stehenden Mitteln. Mau kann das dort erreichte mit einer
bescheidenen Pflanze vergleichen, die an ihrem gegenwärtigen Standort noch
erheblichen Wachstums sähig ist, und deren Ableger oder Samenkörner
an andern Orten bei geeigneter Pflege zu großen Bäumen werde» und in
kommenden Jahrzehnten reiche Frucht tragen können. In der Bedeutung eines
Vorbildes, eines Beispiels ist der Hauptwert der Tübinger Bestrebungen,
wenigstens für alle übrigen Orte unsers Vaterlandes, zu suchen. Aller Anfang
ist schwer — der Anfang ist gelungen.

Der „Tübinger Hilfsverein"*) besteht hauptsächlich aus Damen der höhern
Stände, die von einigen Herren unterstützt werden. Eine vernünftige Armen¬
pflege ist sein Hauptziel. Neuerdings hat der Verein zwei Häuser mit je sechs
Familienwohnungen zur Vermietung an ordentliche Leute aus dem Arbeiter¬
stande gebaut und wird, da der Erfolg befriedigend ist, in nicht langer Zeit
den Ban eines dritten beginnen. Günstig liegen die Verhältnisse in Tübingen
insofern, als die Boden-"") und Baupreise nicht die einer Großstadt sind. Ander¬
seits sind aber auch die Löhne und damit die Fähigkeit zur Mietzahlnng ge¬
ringer, und, was bei Begründung gemeinnütziger Unternehmungen sehr ins
Gewicht fällt, die Zahl der reichbegüterten Leute, welche ihren dauernden Wohnsitz
in Tübingen haben, ist nicht sehr groß. Man kann daher wohl annehmen, daß
der Tübinger Hilfsverein seine Thätigkeit unter Umständen entwickelt hat, welche
als „mittlere" zu bezeichnen sind.

Die Mittel zum Hausbau hat der Hilfsverein, welcher seit Jahren juristische
Person ist, auf folgende Weise zusammengebracht. Als Grundstock dienten der
Ertrag eines großen Bazars und einige Stiftungen, welche sich zusammen auf
7000 Mark beliefen. Das weitere Kapital, mehr als 20 000 Mark, ist zu vier
Prozent Zinsen aufgenommen. Da Kapital zu diesem Zinsfuß genügend an¬
geboten wird — ein Zeichen, für wie sicher man die Kapitalanlage hält —, so




*) Näheres über ihn sowie über andre verwandte Bestrebungen in Mathilde Webers
im vorigen Jahre in zweiter Auflage erschienener Schrift: „Über die sozialen Pflichten der
Familie" (Berlin, Th. Hofmann).
Der Bauplatz von sechs Ar kostete 1000 Mark, ein Haus für sechs Familien kostete
mit dem Grundstücke fix und fertig Is200 Mark.
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[0275] Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot. Wohnungen betreiben. Mit der thatkräftigen Durchfiihrung gesundheitspolizei¬ licher Maßregeln muß die Beschaffung neuer Wvhnnngsgelegenheit Hand in Hand gehen, wenn diese Maßregeln Erfolg haben und nicht größeres Elend herbei¬ führen sollen. Den Anstoß zur Abfassung dieses Aufsatzes hat mir eine Mitteilung über die Bestrebungen des „Tübinger HilfsVereins" gegeben, welcher neuerdings auch die Verbesserung der Wohnuugsznstcinde in den Kreis seiner Thätigkeit gezogen hat. Was dieser Verein auf diesem Gebiete erreicht hat, mag vielleicht manchem geringfügig erscheinen, aber es ist nicht geringfügig im Verhältnis zu den zu Gebote stehenden Mitteln. Mau kann das dort erreichte mit einer bescheidenen Pflanze vergleichen, die an ihrem gegenwärtigen Standort noch erheblichen Wachstums sähig ist, und deren Ableger oder Samenkörner an andern Orten bei geeigneter Pflege zu großen Bäumen werde» und in kommenden Jahrzehnten reiche Frucht tragen können. In der Bedeutung eines Vorbildes, eines Beispiels ist der Hauptwert der Tübinger Bestrebungen, wenigstens für alle übrigen Orte unsers Vaterlandes, zu suchen. Aller Anfang ist schwer — der Anfang ist gelungen. Der „Tübinger Hilfsverein"*) besteht hauptsächlich aus Damen der höhern Stände, die von einigen Herren unterstützt werden. Eine vernünftige Armen¬ pflege ist sein Hauptziel. Neuerdings hat der Verein zwei Häuser mit je sechs Familienwohnungen zur Vermietung an ordentliche Leute aus dem Arbeiter¬ stande gebaut und wird, da der Erfolg befriedigend ist, in nicht langer Zeit den Ban eines dritten beginnen. Günstig liegen die Verhältnisse in Tübingen insofern, als die Boden-"") und Baupreise nicht die einer Großstadt sind. Ander¬ seits sind aber auch die Löhne und damit die Fähigkeit zur Mietzahlnng ge¬ ringer, und, was bei Begründung gemeinnütziger Unternehmungen sehr ins Gewicht fällt, die Zahl der reichbegüterten Leute, welche ihren dauernden Wohnsitz in Tübingen haben, ist nicht sehr groß. Man kann daher wohl annehmen, daß der Tübinger Hilfsverein seine Thätigkeit unter Umständen entwickelt hat, welche als „mittlere" zu bezeichnen sind. Die Mittel zum Hausbau hat der Hilfsverein, welcher seit Jahren juristische Person ist, auf folgende Weise zusammengebracht. Als Grundstock dienten der Ertrag eines großen Bazars und einige Stiftungen, welche sich zusammen auf 7000 Mark beliefen. Das weitere Kapital, mehr als 20 000 Mark, ist zu vier Prozent Zinsen aufgenommen. Da Kapital zu diesem Zinsfuß genügend an¬ geboten wird — ein Zeichen, für wie sicher man die Kapitalanlage hält —, so *) Näheres über ihn sowie über andre verwandte Bestrebungen in Mathilde Webers im vorigen Jahre in zweiter Auflage erschienener Schrift: „Über die sozialen Pflichten der Familie" (Berlin, Th. Hofmann). Der Bauplatz von sechs Ar kostete 1000 Mark, ein Haus für sechs Familien kostete mit dem Grundstücke fix und fertig Is200 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/275>, abgerufen am 22.07.2024.