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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe,

Noch deutlicher wird das große Übergewicht des deutschen Elements, wenn mau
sieht, daß die sächsische Nation bei weitem die stärkste war und 1390 bis 1408
fast die Hälfte aller Studenten umfaßte, wogegen die böhmische in dieser Zeit
nur ein Sechstel ausmachte.

Die Deutschböhmen erkannten frühzeitig den Wert guter Schulen, und da
die vorhandnen Kloster- und Domschulen nicht genügten, so gründeten sie nach
dem Muster solcher Anstalten in Deutschland schon im dreizehnten Jahrhundert
Bürgerschulen. Wenigstens wissen wir, daß dies bei der Anlegung der Neustadt
bei Se, Gallus mit Erlaubnis Ottokars II, geschah, und daß die betreffende
Urkunde auf Schulen Bezug nimmt, die anderwärts im Königreiche bestanden.
Einige von diesen Stiftungen aber überflügelten später die der Klöster, wozu
die Gründung der Universität beigetragen haben wird, deren Magister und
Vaeealauren zeitweilig mit einer Nektorstelle an einer Mittelschule vorlieb nahmen.

So erreichte denn das Deutschtum Böhmens im Laufe des Vierzehnten
Jahrhunderts, jetzt mehr durch eigne Kraft als durch Negierungshilfe, seine
höchste Blüte. Die Zeiten massenhafter Einwanderung, ausgedehnter Bauern-
ansicdelung und vielfacher Städtegründung waren vorüber. Die Könige gaben
wiederholt dem zu größerer Macht gelangten deutschfeiudlichen Adel nach, dem
das Bürgertum ein Dorn im Auge war. Aber das unter den Premysliden fest¬
gewurzelte deutsche Element war bereits so erstarkt, daß es den Beistand der
Fürsten entbehren konnte. Es bedürfte auch keines Zuzuges aus dein Mutterlande
mehr, und so beschäftigte es sich jetzt weniger mit Veranstaltungen in dieser
Richtung als mit der Ausbildung und Hebung der bereits vorhandnen Gemeinden.
Deutschland gewahrte die wichtige moralische Hilfe von selbst; denn zu keiner
Zeit war Böhmen so eng mit dem deutscheu Reiche verbunden als in dieser, wo
es als dessen Vorland angesehen wurde, und wo Karl IV. Prag zu dessen
Hauptstadt zu machen gedachte. Die Deutschböhmcu bildeten eine nationale
Grenzmark, eine Vorhut gegen die Slawe", und selbst von dieser Seite mußte
gern oder ungern die Thatsache zugestanden werden, daß das Land zwischen den
Sudeten und dein Böhmerwalde und Fichtelgebirge jetzt vou zwei Völker"
bewohnt war, daß die Deutschen die Slawen in einem breiten und kompakten
Grenzgürtcl umschlossen, daß sie in den Städten fast allenthalben die große
Mehrzahl der Bewohnerschaft bildeten, und daß sie das, was die Tschechen
bei Betrachtung des ganzen Landes an Zahl voraus hatten, durch größern
Reichtum und höhere Bildung mehr als genügend ausglichen. Jener Reichtum
erweckte den Neid der Tschechen, die Vorrechte der Deutschen verstimmten sie
noch mehr, jene als Bauern grollten diesen als Städtern. Im allgemeinen aber
lebten die beiden Nationen Böhmens in diesem Zeiträume friedlich nebeneinander,
wenn sie sich auch sehr von einander unterschieden und der Gegensatz sich ge¬
legentlich geltend machte und allmählich auf tschechischer Seite stärker hervortrat,
sodaß gegen das Ende des Jahrhunderts die Frage, ob er sich ausgleichen oder


Grenzlwwn I. 1887. 34
Deutsch-böhmische Briefe,

Noch deutlicher wird das große Übergewicht des deutschen Elements, wenn mau
sieht, daß die sächsische Nation bei weitem die stärkste war und 1390 bis 1408
fast die Hälfte aller Studenten umfaßte, wogegen die böhmische in dieser Zeit
nur ein Sechstel ausmachte.

Die Deutschböhmen erkannten frühzeitig den Wert guter Schulen, und da
die vorhandnen Kloster- und Domschulen nicht genügten, so gründeten sie nach
dem Muster solcher Anstalten in Deutschland schon im dreizehnten Jahrhundert
Bürgerschulen. Wenigstens wissen wir, daß dies bei der Anlegung der Neustadt
bei Se, Gallus mit Erlaubnis Ottokars II, geschah, und daß die betreffende
Urkunde auf Schulen Bezug nimmt, die anderwärts im Königreiche bestanden.
Einige von diesen Stiftungen aber überflügelten später die der Klöster, wozu
die Gründung der Universität beigetragen haben wird, deren Magister und
Vaeealauren zeitweilig mit einer Nektorstelle an einer Mittelschule vorlieb nahmen.

So erreichte denn das Deutschtum Böhmens im Laufe des Vierzehnten
Jahrhunderts, jetzt mehr durch eigne Kraft als durch Negierungshilfe, seine
höchste Blüte. Die Zeiten massenhafter Einwanderung, ausgedehnter Bauern-
ansicdelung und vielfacher Städtegründung waren vorüber. Die Könige gaben
wiederholt dem zu größerer Macht gelangten deutschfeiudlichen Adel nach, dem
das Bürgertum ein Dorn im Auge war. Aber das unter den Premysliden fest¬
gewurzelte deutsche Element war bereits so erstarkt, daß es den Beistand der
Fürsten entbehren konnte. Es bedürfte auch keines Zuzuges aus dein Mutterlande
mehr, und so beschäftigte es sich jetzt weniger mit Veranstaltungen in dieser
Richtung als mit der Ausbildung und Hebung der bereits vorhandnen Gemeinden.
Deutschland gewahrte die wichtige moralische Hilfe von selbst; denn zu keiner
Zeit war Böhmen so eng mit dem deutscheu Reiche verbunden als in dieser, wo
es als dessen Vorland angesehen wurde, und wo Karl IV. Prag zu dessen
Hauptstadt zu machen gedachte. Die Deutschböhmcu bildeten eine nationale
Grenzmark, eine Vorhut gegen die Slawe», und selbst von dieser Seite mußte
gern oder ungern die Thatsache zugestanden werden, daß das Land zwischen den
Sudeten und dein Böhmerwalde und Fichtelgebirge jetzt vou zwei Völker»
bewohnt war, daß die Deutschen die Slawen in einem breiten und kompakten
Grenzgürtcl umschlossen, daß sie in den Städten fast allenthalben die große
Mehrzahl der Bewohnerschaft bildeten, und daß sie das, was die Tschechen
bei Betrachtung des ganzen Landes an Zahl voraus hatten, durch größern
Reichtum und höhere Bildung mehr als genügend ausglichen. Jener Reichtum
erweckte den Neid der Tschechen, die Vorrechte der Deutschen verstimmten sie
noch mehr, jene als Bauern grollten diesen als Städtern. Im allgemeinen aber
lebten die beiden Nationen Böhmens in diesem Zeiträume friedlich nebeneinander,
wenn sie sich auch sehr von einander unterschieden und der Gegensatz sich ge¬
legentlich geltend machte und allmählich auf tschechischer Seite stärker hervortrat,
sodaß gegen das Ende des Jahrhunderts die Frage, ob er sich ausgleichen oder


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[0273] Deutsch-böhmische Briefe, Noch deutlicher wird das große Übergewicht des deutschen Elements, wenn mau sieht, daß die sächsische Nation bei weitem die stärkste war und 1390 bis 1408 fast die Hälfte aller Studenten umfaßte, wogegen die böhmische in dieser Zeit nur ein Sechstel ausmachte. Die Deutschböhmen erkannten frühzeitig den Wert guter Schulen, und da die vorhandnen Kloster- und Domschulen nicht genügten, so gründeten sie nach dem Muster solcher Anstalten in Deutschland schon im dreizehnten Jahrhundert Bürgerschulen. Wenigstens wissen wir, daß dies bei der Anlegung der Neustadt bei Se, Gallus mit Erlaubnis Ottokars II, geschah, und daß die betreffende Urkunde auf Schulen Bezug nimmt, die anderwärts im Königreiche bestanden. Einige von diesen Stiftungen aber überflügelten später die der Klöster, wozu die Gründung der Universität beigetragen haben wird, deren Magister und Vaeealauren zeitweilig mit einer Nektorstelle an einer Mittelschule vorlieb nahmen. So erreichte denn das Deutschtum Böhmens im Laufe des Vierzehnten Jahrhunderts, jetzt mehr durch eigne Kraft als durch Negierungshilfe, seine höchste Blüte. Die Zeiten massenhafter Einwanderung, ausgedehnter Bauern- ansicdelung und vielfacher Städtegründung waren vorüber. Die Könige gaben wiederholt dem zu größerer Macht gelangten deutschfeiudlichen Adel nach, dem das Bürgertum ein Dorn im Auge war. Aber das unter den Premysliden fest¬ gewurzelte deutsche Element war bereits so erstarkt, daß es den Beistand der Fürsten entbehren konnte. Es bedürfte auch keines Zuzuges aus dein Mutterlande mehr, und so beschäftigte es sich jetzt weniger mit Veranstaltungen in dieser Richtung als mit der Ausbildung und Hebung der bereits vorhandnen Gemeinden. Deutschland gewahrte die wichtige moralische Hilfe von selbst; denn zu keiner Zeit war Böhmen so eng mit dem deutscheu Reiche verbunden als in dieser, wo es als dessen Vorland angesehen wurde, und wo Karl IV. Prag zu dessen Hauptstadt zu machen gedachte. Die Deutschböhmcu bildeten eine nationale Grenzmark, eine Vorhut gegen die Slawe», und selbst von dieser Seite mußte gern oder ungern die Thatsache zugestanden werden, daß das Land zwischen den Sudeten und dein Böhmerwalde und Fichtelgebirge jetzt vou zwei Völker» bewohnt war, daß die Deutschen die Slawen in einem breiten und kompakten Grenzgürtcl umschlossen, daß sie in den Städten fast allenthalben die große Mehrzahl der Bewohnerschaft bildeten, und daß sie das, was die Tschechen bei Betrachtung des ganzen Landes an Zahl voraus hatten, durch größern Reichtum und höhere Bildung mehr als genügend ausglichen. Jener Reichtum erweckte den Neid der Tschechen, die Vorrechte der Deutschen verstimmten sie noch mehr, jene als Bauern grollten diesen als Städtern. Im allgemeinen aber lebten die beiden Nationen Böhmens in diesem Zeiträume friedlich nebeneinander, wenn sie sich auch sehr von einander unterschieden und der Gegensatz sich ge¬ legentlich geltend machte und allmählich auf tschechischer Seite stärker hervortrat, sodaß gegen das Ende des Jahrhunderts die Frage, ob er sich ausgleichen oder Grenzlwwn I. 1887. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/273>, abgerufen am 23.12.2024.