Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-böhmische Briefe.

Durch sie mehrte sich fortwährend die Anzahl der deutschböhmischen Dörfer im
Norden, Südwesten und Osten bis an die mährische Grenze, wohin auch von
den Fürsten deutsche Lcindslcutc verpflanzt wurden und wohl gediehen. Die
Lage der deutschböhmischeu Bauern unterschied sich wesentlich von derjenigen
der tschechischen: die letztern waren Hörige und im günstigen Falle Pächter, die
erstern freie Eigentümer, die nur einen feststehenden Erbzins zahlten. Die nach
"deutschem Rechte" angelegten Dörfer waren unabhängig von den Gauvögteu
und frei von den Lasten der Gesamtbürgschaft und der Staatsfrvhnden. Die
niedere Gerichtsbarkeit übte ihr "Schults" aus, die höhere der Magistrat der
uächstgeleguen Stadt, die damals immer deutsch war. Deal das Slawentum
des Mittelalters kennt kein eigentliches Städtewesen und kein Bürgertum, nnr
Dörfer am Fuße einer Burg oder befestigte Ortschaften, in denen das Knegsvolk
sich sammelte, deren ständige Bewohner aber Staats- und privatrechtlich sich nicht
von der Landbevölkerung unterschieden und auch sonst in keiner Weise städtisch
lebten.

Unter dem Schutze der letzten Premysliden entwickelte sich die kleine
Kaufmannskolonie am Porschitsch allmählich zu der mächtigen Stadt Prag.
Schon unter Ottokar I. breitete sie sich über den Boden der jetzigen Altstadt
aus. Wenzel I. bestätigte ihren Freiheitsbrief und vermehrte ihn durch Be¬
gnadigungen verschiedner Art, welche zeigen, daß sie bereits Dörfer außerhalb
ihres Kreises erworben hatte, und welche mit den feierlichen Worten schließen:
"Wer aber vielleicht unsre königliche Begnadigung zu verletzen wagen und die
genannten Deutschen in den ihnen bewilligten Rechten angreifen sollte, der soll
des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig erkannt und für dasselbe
bestraft werden, und überdies soll ihn der Fluch des allmächtigen Gottes treffen
gleichwie Dathan und Abiram." Fortwährende Verstärkung durch neue Ein¬
wanderer mehrte die deutsche Gemeinde der Altstadt dergestalt, daß für dieselbe
die "Neustadt bei Se. Gallus" hinzugefügt werden mußte, und da uach einiger
Zeit auch diese nicht mehr genügte, so gründete Ottokar II. auf dem linken
Ufer der Moldau für die Deutschen ein drittes Quartier, die "kleinere Stadt,"
deren Bewohner fortan nach Magdeburger Recht lebten, während die ältern
Quartiere auf dem rechten Ufer sich des auf das Privilegium Sobieslaws
basirten Prager Rechtes bedienten. Neben dem Richter finden wir jetzt anch
Schöffen und ein ausgebildetes Gemeindewesen, sowie eine Anzahl von Patrizicr-
familien, von denen ich nur die Tauscntmark, die Friedinger, die Wolfram, die
Watzingcr, die Tafelrunge, die Pusch, die Geunccher, die Korubnhel, die vom
Thurme und die von den Hähnen nenne. Als die Stadt 1291 abbrannte, that
Wenzel II. alles Mögliche für ihren Wiederaufbau und erließ der Bürgerschaft
die Steuern für mehrere Jahre.

Wie unter der Präger Burg wurden auch bei andern königlichen Schlössern
deutsche Vororte ins Leben gerufen, die allmählich zu Städten aufblühten. So


Deutsch-böhmische Briefe.

Durch sie mehrte sich fortwährend die Anzahl der deutschböhmischen Dörfer im
Norden, Südwesten und Osten bis an die mährische Grenze, wohin auch von
den Fürsten deutsche Lcindslcutc verpflanzt wurden und wohl gediehen. Die
Lage der deutschböhmischeu Bauern unterschied sich wesentlich von derjenigen
der tschechischen: die letztern waren Hörige und im günstigen Falle Pächter, die
erstern freie Eigentümer, die nur einen feststehenden Erbzins zahlten. Die nach
„deutschem Rechte" angelegten Dörfer waren unabhängig von den Gauvögteu
und frei von den Lasten der Gesamtbürgschaft und der Staatsfrvhnden. Die
niedere Gerichtsbarkeit übte ihr „Schults" aus, die höhere der Magistrat der
uächstgeleguen Stadt, die damals immer deutsch war. Deal das Slawentum
des Mittelalters kennt kein eigentliches Städtewesen und kein Bürgertum, nnr
Dörfer am Fuße einer Burg oder befestigte Ortschaften, in denen das Knegsvolk
sich sammelte, deren ständige Bewohner aber Staats- und privatrechtlich sich nicht
von der Landbevölkerung unterschieden und auch sonst in keiner Weise städtisch
lebten.

Unter dem Schutze der letzten Premysliden entwickelte sich die kleine
Kaufmannskolonie am Porschitsch allmählich zu der mächtigen Stadt Prag.
Schon unter Ottokar I. breitete sie sich über den Boden der jetzigen Altstadt
aus. Wenzel I. bestätigte ihren Freiheitsbrief und vermehrte ihn durch Be¬
gnadigungen verschiedner Art, welche zeigen, daß sie bereits Dörfer außerhalb
ihres Kreises erworben hatte, und welche mit den feierlichen Worten schließen:
„Wer aber vielleicht unsre königliche Begnadigung zu verletzen wagen und die
genannten Deutschen in den ihnen bewilligten Rechten angreifen sollte, der soll
des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig erkannt und für dasselbe
bestraft werden, und überdies soll ihn der Fluch des allmächtigen Gottes treffen
gleichwie Dathan und Abiram." Fortwährende Verstärkung durch neue Ein¬
wanderer mehrte die deutsche Gemeinde der Altstadt dergestalt, daß für dieselbe
die „Neustadt bei Se. Gallus" hinzugefügt werden mußte, und da uach einiger
Zeit auch diese nicht mehr genügte, so gründete Ottokar II. auf dem linken
Ufer der Moldau für die Deutschen ein drittes Quartier, die „kleinere Stadt,"
deren Bewohner fortan nach Magdeburger Recht lebten, während die ältern
Quartiere auf dem rechten Ufer sich des auf das Privilegium Sobieslaws
basirten Prager Rechtes bedienten. Neben dem Richter finden wir jetzt anch
Schöffen und ein ausgebildetes Gemeindewesen, sowie eine Anzahl von Patrizicr-
familien, von denen ich nur die Tauscntmark, die Friedinger, die Wolfram, die
Watzingcr, die Tafelrunge, die Pusch, die Geunccher, die Korubnhel, die vom
Thurme und die von den Hähnen nenne. Als die Stadt 1291 abbrannte, that
Wenzel II. alles Mögliche für ihren Wiederaufbau und erließ der Bürgerschaft
die Steuern für mehrere Jahre.

Wie unter der Präger Burg wurden auch bei andern königlichen Schlössern
deutsche Vororte ins Leben gerufen, die allmählich zu Städten aufblühten. So


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200373"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_792" prev="#ID_791"> Durch sie mehrte sich fortwährend die Anzahl der deutschböhmischen Dörfer im<lb/>
Norden, Südwesten und Osten bis an die mährische Grenze, wohin auch von<lb/>
den Fürsten deutsche Lcindslcutc verpflanzt wurden und wohl gediehen. Die<lb/>
Lage der deutschböhmischeu Bauern unterschied sich wesentlich von derjenigen<lb/>
der tschechischen: die letztern waren Hörige und im günstigen Falle Pächter, die<lb/>
erstern freie Eigentümer, die nur einen feststehenden Erbzins zahlten. Die nach<lb/>
&#x201E;deutschem Rechte" angelegten Dörfer waren unabhängig von den Gauvögteu<lb/>
und frei von den Lasten der Gesamtbürgschaft und der Staatsfrvhnden. Die<lb/>
niedere Gerichtsbarkeit übte ihr &#x201E;Schults" aus, die höhere der Magistrat der<lb/>
uächstgeleguen Stadt, die damals immer deutsch war. Deal das Slawentum<lb/>
des Mittelalters kennt kein eigentliches Städtewesen und kein Bürgertum, nnr<lb/>
Dörfer am Fuße einer Burg oder befestigte Ortschaften, in denen das Knegsvolk<lb/>
sich sammelte, deren ständige Bewohner aber Staats- und privatrechtlich sich nicht<lb/>
von der Landbevölkerung unterschieden und auch sonst in keiner Weise städtisch<lb/>
lebten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793"> Unter dem Schutze der letzten Premysliden entwickelte sich die kleine<lb/>
Kaufmannskolonie am Porschitsch allmählich zu der mächtigen Stadt Prag.<lb/>
Schon unter Ottokar I. breitete sie sich über den Boden der jetzigen Altstadt<lb/>
aus. Wenzel I. bestätigte ihren Freiheitsbrief und vermehrte ihn durch Be¬<lb/>
gnadigungen verschiedner Art, welche zeigen, daß sie bereits Dörfer außerhalb<lb/>
ihres Kreises erworben hatte, und welche mit den feierlichen Worten schließen:<lb/>
&#x201E;Wer aber vielleicht unsre königliche Begnadigung zu verletzen wagen und die<lb/>
genannten Deutschen in den ihnen bewilligten Rechten angreifen sollte, der soll<lb/>
des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig erkannt und für dasselbe<lb/>
bestraft werden, und überdies soll ihn der Fluch des allmächtigen Gottes treffen<lb/>
gleichwie Dathan und Abiram." Fortwährende Verstärkung durch neue Ein¬<lb/>
wanderer mehrte die deutsche Gemeinde der Altstadt dergestalt, daß für dieselbe<lb/>
die &#x201E;Neustadt bei Se. Gallus" hinzugefügt werden mußte, und da uach einiger<lb/>
Zeit auch diese nicht mehr genügte, so gründete Ottokar II. auf dem linken<lb/>
Ufer der Moldau für die Deutschen ein drittes Quartier, die &#x201E;kleinere Stadt,"<lb/>
deren Bewohner fortan nach Magdeburger Recht lebten, während die ältern<lb/>
Quartiere auf dem rechten Ufer sich des auf das Privilegium Sobieslaws<lb/>
basirten Prager Rechtes bedienten. Neben dem Richter finden wir jetzt anch<lb/>
Schöffen und ein ausgebildetes Gemeindewesen, sowie eine Anzahl von Patrizicr-<lb/>
familien, von denen ich nur die Tauscntmark, die Friedinger, die Wolfram, die<lb/>
Watzingcr, die Tafelrunge, die Pusch, die Geunccher, die Korubnhel, die vom<lb/>
Thurme und die von den Hähnen nenne. Als die Stadt 1291 abbrannte, that<lb/>
Wenzel II. alles Mögliche für ihren Wiederaufbau und erließ der Bürgerschaft<lb/>
die Steuern für mehrere Jahre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_794" next="#ID_795"> Wie unter der Präger Burg wurden auch bei andern königlichen Schlössern<lb/>
deutsche Vororte ins Leben gerufen, die allmählich zu Städten aufblühten. So</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0268] Deutsch-böhmische Briefe. Durch sie mehrte sich fortwährend die Anzahl der deutschböhmischen Dörfer im Norden, Südwesten und Osten bis an die mährische Grenze, wohin auch von den Fürsten deutsche Lcindslcutc verpflanzt wurden und wohl gediehen. Die Lage der deutschböhmischeu Bauern unterschied sich wesentlich von derjenigen der tschechischen: die letztern waren Hörige und im günstigen Falle Pächter, die erstern freie Eigentümer, die nur einen feststehenden Erbzins zahlten. Die nach „deutschem Rechte" angelegten Dörfer waren unabhängig von den Gauvögteu und frei von den Lasten der Gesamtbürgschaft und der Staatsfrvhnden. Die niedere Gerichtsbarkeit übte ihr „Schults" aus, die höhere der Magistrat der uächstgeleguen Stadt, die damals immer deutsch war. Deal das Slawentum des Mittelalters kennt kein eigentliches Städtewesen und kein Bürgertum, nnr Dörfer am Fuße einer Burg oder befestigte Ortschaften, in denen das Knegsvolk sich sammelte, deren ständige Bewohner aber Staats- und privatrechtlich sich nicht von der Landbevölkerung unterschieden und auch sonst in keiner Weise städtisch lebten. Unter dem Schutze der letzten Premysliden entwickelte sich die kleine Kaufmannskolonie am Porschitsch allmählich zu der mächtigen Stadt Prag. Schon unter Ottokar I. breitete sie sich über den Boden der jetzigen Altstadt aus. Wenzel I. bestätigte ihren Freiheitsbrief und vermehrte ihn durch Be¬ gnadigungen verschiedner Art, welche zeigen, daß sie bereits Dörfer außerhalb ihres Kreises erworben hatte, und welche mit den feierlichen Worten schließen: „Wer aber vielleicht unsre königliche Begnadigung zu verletzen wagen und die genannten Deutschen in den ihnen bewilligten Rechten angreifen sollte, der soll des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig erkannt und für dasselbe bestraft werden, und überdies soll ihn der Fluch des allmächtigen Gottes treffen gleichwie Dathan und Abiram." Fortwährende Verstärkung durch neue Ein¬ wanderer mehrte die deutsche Gemeinde der Altstadt dergestalt, daß für dieselbe die „Neustadt bei Se. Gallus" hinzugefügt werden mußte, und da uach einiger Zeit auch diese nicht mehr genügte, so gründete Ottokar II. auf dem linken Ufer der Moldau für die Deutschen ein drittes Quartier, die „kleinere Stadt," deren Bewohner fortan nach Magdeburger Recht lebten, während die ältern Quartiere auf dem rechten Ufer sich des auf das Privilegium Sobieslaws basirten Prager Rechtes bedienten. Neben dem Richter finden wir jetzt anch Schöffen und ein ausgebildetes Gemeindewesen, sowie eine Anzahl von Patrizicr- familien, von denen ich nur die Tauscntmark, die Friedinger, die Wolfram, die Watzingcr, die Tafelrunge, die Pusch, die Geunccher, die Korubnhel, die vom Thurme und die von den Hähnen nenne. Als die Stadt 1291 abbrannte, that Wenzel II. alles Mögliche für ihren Wiederaufbau und erließ der Bürgerschaft die Steuern für mehrere Jahre. Wie unter der Präger Burg wurden auch bei andern königlichen Schlössern deutsche Vororte ins Leben gerufen, die allmählich zu Städten aufblühten. So

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/268
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/268>, abgerufen am 23.12.2024.