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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Rriegswolke im Westen.

Hinblick auf die Stimmung des Volkes sie davon abgebracht, da diese Stimmung
bei einer Auflösung und neuen Wahlen das geliebte Mandat versagen konnte,
weigerte sie sich, die Friedenspräscnz der Armee, wie sie bisher im Einvernehmen
der Regierung mit der Volksvertretung bestanden hat, weiter zu bewilligen und
wollte statt der verlangten sieben Jahre nur eine Frist von dreien zugestehen, an
geblich um ein Volksrecht zu wahren, in Wahrheit, um möglichst bald wieder in
Dinge hineinreden zu können, von denen sie nichts versteht und die zu ihrer gedeih¬
lichen Entwicklung davor gesichert sein müssen, daß sie häufig in Frage gestellt
werden können. Sie hat damit zwei Gefahren heraufbeschworen: die eines
baldigen Krieges mit dem uns jetzt, wie es scheint, in verschiednen Beziehungen
überlegnen Frankreich und die eines innern Konfliktes, der vor den Wahlen
eine Möglichkeit ist, nach den Wahlen zur Wahrscheinlichkeit werden und, wenn
er ausbricht und gefährliche Dauer hat, eine Stunde herbeiführen kann, wo zur
Rettung des Vaterlandes vor äußern Feinden die innern, sehende und ver¬
blendete, in eine Lage versetzt werden müssen, wo sie mit ihrem Mundwerk als
Oppositionsredner und ihrem Votum nicht mehr zu schaden vermögen. Man
denke für diesen Fall, den wir jetzt nicht herbeiwünschen, an das "Glück von
Edenhall," an das Bismarck vor einiger Zeit warnend erinnerte, und man rufe
sich das Wort Schwarzenbergs ins Gedächtnis: "Diese Einrichtung hat sich nicht
bewährt." Not bricht Eisen! Das erste und wichtigste, was wir brauchen,
ist ein starkes, festes Heer -- so könnte man sich eines Tages sagen --, denn
es verbürgt unsre Existenz, unsre höchste und wichtigste Freiheit- Wir könnten
am Ende auch ohne die jetzige Verfassung uns die Freiheit von der Herrschaft
des Auslandes wahren und gewiß besser ohne einen solchen Reichstag, wie der
letzte war, der sast nur als Hemmschuh am Wagen unsrer Lebensinteressen wirkte.
Die Wähler mögen sich das, wenn sie nicht bessere Motive, z. B. Vaterlands¬
liebe, klare Vorstellungen vom Werte des Friedens und Achtung vor dem Urteile
Moltkes und Bismarcks mitbringen, recht deutlich vor die Augen halten, bevor
sie ihren Stimmzettel in die Urne werfen. Sie mögen sich nicht irremachen
lassen durch die Ausstreuungen verlogener Parlamentsredner und lügengewohnter
Verfasser von Leitartikeln und Flugblättern, die trotz authentischer und zweifel¬
loser Widerlegungen vonseiten der Regierung immer wiederkehren und sich mit
neuen verbinden. Sie glauben selbst nicht daran. Sie gehen in Masken,
Bismarck ist der einzige in diesem Mummenschanz, der keine Larve trägt. Es
ist Heuchelei, jenes Gebahren. Es ist dreister, frecher Wahlschwindel, wenn
geweissagt wird, der Kanzler beabsichtige und hoffe, mit einem in der Militär¬
frage gefügigen Reichstage auch die früher beantragten und abgelehnten Monopole
durchzusetzen, das allgemeine Wahlrecht zu beseitigen, und was dergleichen Ab¬
geschmacktheiten mehr in die einfältige und leichtgläubige Welt gegangen sind,
aus welcher die Opposition bisher ihre Mandate fischte, um sich dann zu
brüsten, sie vertrete das "Volk." Es wäre tief traurig, es wäre doppelt ver-


Grenzbotm I. 1337. 33
Die Rriegswolke im Westen.

Hinblick auf die Stimmung des Volkes sie davon abgebracht, da diese Stimmung
bei einer Auflösung und neuen Wahlen das geliebte Mandat versagen konnte,
weigerte sie sich, die Friedenspräscnz der Armee, wie sie bisher im Einvernehmen
der Regierung mit der Volksvertretung bestanden hat, weiter zu bewilligen und
wollte statt der verlangten sieben Jahre nur eine Frist von dreien zugestehen, an
geblich um ein Volksrecht zu wahren, in Wahrheit, um möglichst bald wieder in
Dinge hineinreden zu können, von denen sie nichts versteht und die zu ihrer gedeih¬
lichen Entwicklung davor gesichert sein müssen, daß sie häufig in Frage gestellt
werden können. Sie hat damit zwei Gefahren heraufbeschworen: die eines
baldigen Krieges mit dem uns jetzt, wie es scheint, in verschiednen Beziehungen
überlegnen Frankreich und die eines innern Konfliktes, der vor den Wahlen
eine Möglichkeit ist, nach den Wahlen zur Wahrscheinlichkeit werden und, wenn
er ausbricht und gefährliche Dauer hat, eine Stunde herbeiführen kann, wo zur
Rettung des Vaterlandes vor äußern Feinden die innern, sehende und ver¬
blendete, in eine Lage versetzt werden müssen, wo sie mit ihrem Mundwerk als
Oppositionsredner und ihrem Votum nicht mehr zu schaden vermögen. Man
denke für diesen Fall, den wir jetzt nicht herbeiwünschen, an das „Glück von
Edenhall," an das Bismarck vor einiger Zeit warnend erinnerte, und man rufe
sich das Wort Schwarzenbergs ins Gedächtnis: „Diese Einrichtung hat sich nicht
bewährt." Not bricht Eisen! Das erste und wichtigste, was wir brauchen,
ist ein starkes, festes Heer — so könnte man sich eines Tages sagen —, denn
es verbürgt unsre Existenz, unsre höchste und wichtigste Freiheit- Wir könnten
am Ende auch ohne die jetzige Verfassung uns die Freiheit von der Herrschaft
des Auslandes wahren und gewiß besser ohne einen solchen Reichstag, wie der
letzte war, der sast nur als Hemmschuh am Wagen unsrer Lebensinteressen wirkte.
Die Wähler mögen sich das, wenn sie nicht bessere Motive, z. B. Vaterlands¬
liebe, klare Vorstellungen vom Werte des Friedens und Achtung vor dem Urteile
Moltkes und Bismarcks mitbringen, recht deutlich vor die Augen halten, bevor
sie ihren Stimmzettel in die Urne werfen. Sie mögen sich nicht irremachen
lassen durch die Ausstreuungen verlogener Parlamentsredner und lügengewohnter
Verfasser von Leitartikeln und Flugblättern, die trotz authentischer und zweifel¬
loser Widerlegungen vonseiten der Regierung immer wiederkehren und sich mit
neuen verbinden. Sie glauben selbst nicht daran. Sie gehen in Masken,
Bismarck ist der einzige in diesem Mummenschanz, der keine Larve trägt. Es
ist Heuchelei, jenes Gebahren. Es ist dreister, frecher Wahlschwindel, wenn
geweissagt wird, der Kanzler beabsichtige und hoffe, mit einem in der Militär¬
frage gefügigen Reichstage auch die früher beantragten und abgelehnten Monopole
durchzusetzen, das allgemeine Wahlrecht zu beseitigen, und was dergleichen Ab¬
geschmacktheiten mehr in die einfältige und leichtgläubige Welt gegangen sind,
aus welcher die Opposition bisher ihre Mandate fischte, um sich dann zu
brüsten, sie vertrete das „Volk." Es wäre tief traurig, es wäre doppelt ver-


Grenzbotm I. 1337. 33
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[0265] Die Rriegswolke im Westen. Hinblick auf die Stimmung des Volkes sie davon abgebracht, da diese Stimmung bei einer Auflösung und neuen Wahlen das geliebte Mandat versagen konnte, weigerte sie sich, die Friedenspräscnz der Armee, wie sie bisher im Einvernehmen der Regierung mit der Volksvertretung bestanden hat, weiter zu bewilligen und wollte statt der verlangten sieben Jahre nur eine Frist von dreien zugestehen, an geblich um ein Volksrecht zu wahren, in Wahrheit, um möglichst bald wieder in Dinge hineinreden zu können, von denen sie nichts versteht und die zu ihrer gedeih¬ lichen Entwicklung davor gesichert sein müssen, daß sie häufig in Frage gestellt werden können. Sie hat damit zwei Gefahren heraufbeschworen: die eines baldigen Krieges mit dem uns jetzt, wie es scheint, in verschiednen Beziehungen überlegnen Frankreich und die eines innern Konfliktes, der vor den Wahlen eine Möglichkeit ist, nach den Wahlen zur Wahrscheinlichkeit werden und, wenn er ausbricht und gefährliche Dauer hat, eine Stunde herbeiführen kann, wo zur Rettung des Vaterlandes vor äußern Feinden die innern, sehende und ver¬ blendete, in eine Lage versetzt werden müssen, wo sie mit ihrem Mundwerk als Oppositionsredner und ihrem Votum nicht mehr zu schaden vermögen. Man denke für diesen Fall, den wir jetzt nicht herbeiwünschen, an das „Glück von Edenhall," an das Bismarck vor einiger Zeit warnend erinnerte, und man rufe sich das Wort Schwarzenbergs ins Gedächtnis: „Diese Einrichtung hat sich nicht bewährt." Not bricht Eisen! Das erste und wichtigste, was wir brauchen, ist ein starkes, festes Heer — so könnte man sich eines Tages sagen —, denn es verbürgt unsre Existenz, unsre höchste und wichtigste Freiheit- Wir könnten am Ende auch ohne die jetzige Verfassung uns die Freiheit von der Herrschaft des Auslandes wahren und gewiß besser ohne einen solchen Reichstag, wie der letzte war, der sast nur als Hemmschuh am Wagen unsrer Lebensinteressen wirkte. Die Wähler mögen sich das, wenn sie nicht bessere Motive, z. B. Vaterlands¬ liebe, klare Vorstellungen vom Werte des Friedens und Achtung vor dem Urteile Moltkes und Bismarcks mitbringen, recht deutlich vor die Augen halten, bevor sie ihren Stimmzettel in die Urne werfen. Sie mögen sich nicht irremachen lassen durch die Ausstreuungen verlogener Parlamentsredner und lügengewohnter Verfasser von Leitartikeln und Flugblättern, die trotz authentischer und zweifel¬ loser Widerlegungen vonseiten der Regierung immer wiederkehren und sich mit neuen verbinden. Sie glauben selbst nicht daran. Sie gehen in Masken, Bismarck ist der einzige in diesem Mummenschanz, der keine Larve trägt. Es ist Heuchelei, jenes Gebahren. Es ist dreister, frecher Wahlschwindel, wenn geweissagt wird, der Kanzler beabsichtige und hoffe, mit einem in der Militär¬ frage gefügigen Reichstage auch die früher beantragten und abgelehnten Monopole durchzusetzen, das allgemeine Wahlrecht zu beseitigen, und was dergleichen Ab¬ geschmacktheiten mehr in die einfältige und leichtgläubige Welt gegangen sind, aus welcher die Opposition bisher ihre Mandate fischte, um sich dann zu brüsten, sie vertrete das „Volk." Es wäre tief traurig, es wäre doppelt ver- Grenzbotm I. 1337. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/265>, abgerufen am 23.12.2024.