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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen,

Es ist mir aus späteren Erzählungen der Eltern noch wohl erinnerlich,
daß diese Marodeure, wie man sie allgemein nannte, Truppen verschiedner
Nationalität angehört haben sollen. Stark unter ihnen vertreten waren Öster¬
reicher, die Sachsen jetzt als feindliches Land behandelten und bei ihren Durch-
zügen sich allerhand Erpressungen erlaubten. Österreichisches Militär, größten¬
teils slawischer Abstammung, war aus die sächsische Bevölkerung, in welcher es
nur Ketzer erblickte, überhaupt nicht gut zu spreche". Mein Vater sollte als¬
bald persönlich erfahren, was von dieser ungebildeten und nndnldsnmen Soldateska
zu erwarten war, wenn sie nicht durch strenge Zucht ihrer Vorgesetzten scharf
gezügelt ward.

Genau im Mittelpunkt des hufeisenförmig gebauten Dorfes lag die Kirche.
Dicht an sie stieß das Pastorat, dessen Hintere Hausthür unmittelbar ans den
Kirchhof führte. Entlang der verwitterten lind bemoosten Kirchhofsmauer und
das Pastorat streifend zog sich die ziemlich stark benutzte, aber entsetzlich schlechte
Landstraße fort, welche die Volk- und gewerblichen großen Dorfschaften, in denen
schon damals die Weberei in hoher Blüte stand, mit der bedeutenden Handels¬
stadt Zittau verband. Zahllose Frachtwagen, fast ausnahmslos mit gewebten
Stoffen beladen, welche für die reichen Kaufherren der Stadt bestimmt waren,
nichr selten mit sechs und acht Pferden bespannt, quälten sich jahraus jahrein
auf diesem zuweilen grundlosen Wege stundenlang ab, um aus einem zu
tiefen Geleise, das mit losen Feldsteinen notdürftig ausgebessert war, wieder
herauszukommen. Gar oft geschah es dann, daß deu verzweifelten Fuhrleute"
nichts übrig blieb, als zu einem unsrer Bauern Zuflucht zu nehmen und diesen
inständigst um Vorspann zu bitten. Allzu freundlich wurde solche Hilfe, wenn
man sich auch dazu verstand, nicht geleistet; denn unsre meistenteils wohlhabenden
Bauern -- wenigstens nach damaligen Begriffen wohlhabend -- hielten auf
gute Pferde und schonten sie oft vielleicht mehr, als nötig war.

Diese etwas ausgesetzte Lage unsers Hauses so unmittelbar an der Haupt¬
verkehrsader des Ortes brachte es mit sich, das; es von jedem von außen
kommenden Anprall zuerst betroffen wurde.

Schon begann das Land an den Bäumen die schillernden Farben des
Herbstes anzunehmen, da wurde in grauer Morgendämmerung mit Gewehr¬
kolben ungestüm an die Hausthür geklopft.

Das sind sicherlich wieder Marodeure, meinte die erschrockene Mutter,
während der Vater, sich eiligst in die Kleider werfend, ohne Rock und bar¬
häuptig die Thür öffnete, um die unliebsamen Gäste in Person zu empfangen
und, wenn möglich, ihre Wünsche zu erfüllen.

Ein ganzer Trupp wüst aussehender und wild blickender Soldaten um¬
ringte ihn sofort und drängte ihn nach der auf die dunkle Hausflur mün-
denden Stallthür, hinter welcher sich das Brummen erwachender Rinder ver¬
nehmen ließ.


Gnmzbown I. 1887. 31
Jugenderinnerungen,

Es ist mir aus späteren Erzählungen der Eltern noch wohl erinnerlich,
daß diese Marodeure, wie man sie allgemein nannte, Truppen verschiedner
Nationalität angehört haben sollen. Stark unter ihnen vertreten waren Öster¬
reicher, die Sachsen jetzt als feindliches Land behandelten und bei ihren Durch-
zügen sich allerhand Erpressungen erlaubten. Österreichisches Militär, größten¬
teils slawischer Abstammung, war aus die sächsische Bevölkerung, in welcher es
nur Ketzer erblickte, überhaupt nicht gut zu spreche». Mein Vater sollte als¬
bald persönlich erfahren, was von dieser ungebildeten und nndnldsnmen Soldateska
zu erwarten war, wenn sie nicht durch strenge Zucht ihrer Vorgesetzten scharf
gezügelt ward.

Genau im Mittelpunkt des hufeisenförmig gebauten Dorfes lag die Kirche.
Dicht an sie stieß das Pastorat, dessen Hintere Hausthür unmittelbar ans den
Kirchhof führte. Entlang der verwitterten lind bemoosten Kirchhofsmauer und
das Pastorat streifend zog sich die ziemlich stark benutzte, aber entsetzlich schlechte
Landstraße fort, welche die Volk- und gewerblichen großen Dorfschaften, in denen
schon damals die Weberei in hoher Blüte stand, mit der bedeutenden Handels¬
stadt Zittau verband. Zahllose Frachtwagen, fast ausnahmslos mit gewebten
Stoffen beladen, welche für die reichen Kaufherren der Stadt bestimmt waren,
nichr selten mit sechs und acht Pferden bespannt, quälten sich jahraus jahrein
auf diesem zuweilen grundlosen Wege stundenlang ab, um aus einem zu
tiefen Geleise, das mit losen Feldsteinen notdürftig ausgebessert war, wieder
herauszukommen. Gar oft geschah es dann, daß deu verzweifelten Fuhrleute»
nichts übrig blieb, als zu einem unsrer Bauern Zuflucht zu nehmen und diesen
inständigst um Vorspann zu bitten. Allzu freundlich wurde solche Hilfe, wenn
man sich auch dazu verstand, nicht geleistet; denn unsre meistenteils wohlhabenden
Bauern — wenigstens nach damaligen Begriffen wohlhabend — hielten auf
gute Pferde und schonten sie oft vielleicht mehr, als nötig war.

Diese etwas ausgesetzte Lage unsers Hauses so unmittelbar an der Haupt¬
verkehrsader des Ortes brachte es mit sich, das; es von jedem von außen
kommenden Anprall zuerst betroffen wurde.

Schon begann das Land an den Bäumen die schillernden Farben des
Herbstes anzunehmen, da wurde in grauer Morgendämmerung mit Gewehr¬
kolben ungestüm an die Hausthür geklopft.

Das sind sicherlich wieder Marodeure, meinte die erschrockene Mutter,
während der Vater, sich eiligst in die Kleider werfend, ohne Rock und bar¬
häuptig die Thür öffnete, um die unliebsamen Gäste in Person zu empfangen
und, wenn möglich, ihre Wünsche zu erfüllen.

Ein ganzer Trupp wüst aussehender und wild blickender Soldaten um¬
ringte ihn sofort und drängte ihn nach der auf die dunkle Hausflur mün-
denden Stallthür, hinter welcher sich das Brummen erwachender Rinder ver¬
nehmen ließ.


Gnmzbown I. 1887. 31
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[0249] Jugenderinnerungen, Es ist mir aus späteren Erzählungen der Eltern noch wohl erinnerlich, daß diese Marodeure, wie man sie allgemein nannte, Truppen verschiedner Nationalität angehört haben sollen. Stark unter ihnen vertreten waren Öster¬ reicher, die Sachsen jetzt als feindliches Land behandelten und bei ihren Durch- zügen sich allerhand Erpressungen erlaubten. Österreichisches Militär, größten¬ teils slawischer Abstammung, war aus die sächsische Bevölkerung, in welcher es nur Ketzer erblickte, überhaupt nicht gut zu spreche». Mein Vater sollte als¬ bald persönlich erfahren, was von dieser ungebildeten und nndnldsnmen Soldateska zu erwarten war, wenn sie nicht durch strenge Zucht ihrer Vorgesetzten scharf gezügelt ward. Genau im Mittelpunkt des hufeisenförmig gebauten Dorfes lag die Kirche. Dicht an sie stieß das Pastorat, dessen Hintere Hausthür unmittelbar ans den Kirchhof führte. Entlang der verwitterten lind bemoosten Kirchhofsmauer und das Pastorat streifend zog sich die ziemlich stark benutzte, aber entsetzlich schlechte Landstraße fort, welche die Volk- und gewerblichen großen Dorfschaften, in denen schon damals die Weberei in hoher Blüte stand, mit der bedeutenden Handels¬ stadt Zittau verband. Zahllose Frachtwagen, fast ausnahmslos mit gewebten Stoffen beladen, welche für die reichen Kaufherren der Stadt bestimmt waren, nichr selten mit sechs und acht Pferden bespannt, quälten sich jahraus jahrein auf diesem zuweilen grundlosen Wege stundenlang ab, um aus einem zu tiefen Geleise, das mit losen Feldsteinen notdürftig ausgebessert war, wieder herauszukommen. Gar oft geschah es dann, daß deu verzweifelten Fuhrleute» nichts übrig blieb, als zu einem unsrer Bauern Zuflucht zu nehmen und diesen inständigst um Vorspann zu bitten. Allzu freundlich wurde solche Hilfe, wenn man sich auch dazu verstand, nicht geleistet; denn unsre meistenteils wohlhabenden Bauern — wenigstens nach damaligen Begriffen wohlhabend — hielten auf gute Pferde und schonten sie oft vielleicht mehr, als nötig war. Diese etwas ausgesetzte Lage unsers Hauses so unmittelbar an der Haupt¬ verkehrsader des Ortes brachte es mit sich, das; es von jedem von außen kommenden Anprall zuerst betroffen wurde. Schon begann das Land an den Bäumen die schillernden Farben des Herbstes anzunehmen, da wurde in grauer Morgendämmerung mit Gewehr¬ kolben ungestüm an die Hausthür geklopft. Das sind sicherlich wieder Marodeure, meinte die erschrockene Mutter, während der Vater, sich eiligst in die Kleider werfend, ohne Rock und bar¬ häuptig die Thür öffnete, um die unliebsamen Gäste in Person zu empfangen und, wenn möglich, ihre Wünsche zu erfüllen. Ein ganzer Trupp wüst aussehender und wild blickender Soldaten um¬ ringte ihn sofort und drängte ihn nach der auf die dunkle Hausflur mün- denden Stallthür, hinter welcher sich das Brummen erwachender Rinder ver¬ nehmen ließ. Gnmzbown I. 1887. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/249>, abgerufen am 23.12.2024.