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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugonderimierungen.

etwas unheimlich, weshalb er es für geraten hielt, eine offene Frage an deu
Obersten zu richten.

Dieser, der überhaupt ein wohlwollender Manu war, welcher auf strenge
Mannszucht bei den ihm untergebenen Truppen hielt, stand nicht an, die ge¬
wünschte Auskunft zu geben, die ungefähr auf folgendes hinauslief.

Die nächsten Umgebungen Zittaus -- äußerte sich der kriegserfahrene
Mann -- sind wie wenige Gegenden von der Natur ganz dazu geschaffen, ein
Heer, welches aus den Gebirgspässe" Böhmens hervorbrechen sollte, vollständig
zu vernichten. Insbesondre bildet das Dorf, deu? Sie als Prediger vorstehen,
von der Thalsohle des Flusses bis zum letzten Hanse dort oben im Norden
der waldigen Höhe einen natürlichen Laufgraben, der durch keinen Spatenstich
verbessert werdeu könnte. Den neuesten Erkundigungen zufolge haben wir einen
Vorstoß der Feinde von Böhmen ans zu gewärtigen. Wir würden uns demselben
nur schwach widersetzen, um ihn ans dem Schutz der Bergschluchten heraus und
in die vielen so verdeckt gelegnen Dcfileen zu locken, wo er unrettbar verloren
wäre. Freilich würde es der Bevölkerung und um die Stadt, wohl auch Zittau
selbst, bei einem solchen Zusammentreffen bedeutender Heeresmassen traurig
ergehen. Das läßt sich eben im Kriege nicht ändern, weshalb ich auch weiter
nichts für Sie thun kann, als Ihnen einen guten Rat geben, den Sie eintretenden
Falles so schnell wie möglich befolgen wollen.

Und worin würde dieser Rat bestehen, Herr Oberst?

Sobald Sie gewahren, daß ans jenen Höhen oberhalb der letzten Häuser
des Ortes Schanzen aufgeworfen werden, so zögern Sie nicht, Ihre Familie
in Sicherheit zu bringen. Denn greift der Feind uus an, so lasse" wir ihn,
uns langsam zurückziehend, bis unter den Schutz dieser Höhen Vordringen.
Hier empfangen wir ihn mit einem vernichtenden Kreuzfeuer aus den verdeckten
Batterien, schießen aber zugleich, um ihm jede" Ausweg zu verlegen und einen
Sturm auf unsre beherrschende Stellung unmöglich zu machen, das ganze Dorf
in Brand.

Es kam nicht zu diesem Äußersten. Die Vorgänge ans der politischen
Schaubühne gestalteten sich für unsern abgelegenen Weltwinkel insofern günstig,
als die Kriegsereignisse sich mehr und mehr von uns entfernte". Der Einfall
vou Böhmen her unterblieb, und es hatte in den ersten Tagen nach Abzug der
Polen den Anschein, als sollte die altgewohnte Ruhe wiederkehren.

Dies war jedoch eine Täuschung. Bald stellten sich andre Truppen ein,
meistenteils nur in kleinen Abteilungen, die auf eigne Faust zu leben schienen,
sehr brutal auftraten, bald Pferde, Wagen oder Lebensmittel forderten und,
wenn ihnen nicht sofort gewillfahrt wurde, in die Häuser einbrachen und alles,
was ihnen wertvoll dünkte, mitnahmen. Mit einem Worte, der friedliche Bauer
ward bei Tage wie bei Nacht überfallen, geplündert und, wenn er Vorstellungen
machte, auch gemißhandelt.


Jugonderimierungen.

etwas unheimlich, weshalb er es für geraten hielt, eine offene Frage an deu
Obersten zu richten.

Dieser, der überhaupt ein wohlwollender Manu war, welcher auf strenge
Mannszucht bei den ihm untergebenen Truppen hielt, stand nicht an, die ge¬
wünschte Auskunft zu geben, die ungefähr auf folgendes hinauslief.

Die nächsten Umgebungen Zittaus — äußerte sich der kriegserfahrene
Mann — sind wie wenige Gegenden von der Natur ganz dazu geschaffen, ein
Heer, welches aus den Gebirgspässe» Böhmens hervorbrechen sollte, vollständig
zu vernichten. Insbesondre bildet das Dorf, deu? Sie als Prediger vorstehen,
von der Thalsohle des Flusses bis zum letzten Hanse dort oben im Norden
der waldigen Höhe einen natürlichen Laufgraben, der durch keinen Spatenstich
verbessert werdeu könnte. Den neuesten Erkundigungen zufolge haben wir einen
Vorstoß der Feinde von Böhmen ans zu gewärtigen. Wir würden uns demselben
nur schwach widersetzen, um ihn ans dem Schutz der Bergschluchten heraus und
in die vielen so verdeckt gelegnen Dcfileen zu locken, wo er unrettbar verloren
wäre. Freilich würde es der Bevölkerung und um die Stadt, wohl auch Zittau
selbst, bei einem solchen Zusammentreffen bedeutender Heeresmassen traurig
ergehen. Das läßt sich eben im Kriege nicht ändern, weshalb ich auch weiter
nichts für Sie thun kann, als Ihnen einen guten Rat geben, den Sie eintretenden
Falles so schnell wie möglich befolgen wollen.

Und worin würde dieser Rat bestehen, Herr Oberst?

Sobald Sie gewahren, daß ans jenen Höhen oberhalb der letzten Häuser
des Ortes Schanzen aufgeworfen werden, so zögern Sie nicht, Ihre Familie
in Sicherheit zu bringen. Denn greift der Feind uus an, so lasse» wir ihn,
uns langsam zurückziehend, bis unter den Schutz dieser Höhen Vordringen.
Hier empfangen wir ihn mit einem vernichtenden Kreuzfeuer aus den verdeckten
Batterien, schießen aber zugleich, um ihm jede» Ausweg zu verlegen und einen
Sturm auf unsre beherrschende Stellung unmöglich zu machen, das ganze Dorf
in Brand.

Es kam nicht zu diesem Äußersten. Die Vorgänge ans der politischen
Schaubühne gestalteten sich für unsern abgelegenen Weltwinkel insofern günstig,
als die Kriegsereignisse sich mehr und mehr von uns entfernte». Der Einfall
vou Böhmen her unterblieb, und es hatte in den ersten Tagen nach Abzug der
Polen den Anschein, als sollte die altgewohnte Ruhe wiederkehren.

Dies war jedoch eine Täuschung. Bald stellten sich andre Truppen ein,
meistenteils nur in kleinen Abteilungen, die auf eigne Faust zu leben schienen,
sehr brutal auftraten, bald Pferde, Wagen oder Lebensmittel forderten und,
wenn ihnen nicht sofort gewillfahrt wurde, in die Häuser einbrachen und alles,
was ihnen wertvoll dünkte, mitnahmen. Mit einem Worte, der friedliche Bauer
ward bei Tage wie bei Nacht überfallen, geplündert und, wenn er Vorstellungen
machte, auch gemißhandelt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/248>, abgerufen am 23.12.2024.