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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Meine Mutter wandte sich an unsre Stallmngd, um zu hören, ob diese,
eine sehr resolute Person, die mit jedermann fertig zu werden wuszte, Rat zu
schaffen wüßte.

Wie leicht, Frau Magister! gab die Magd zur Antwort. Ich nehme deu
Ernst mit, daß er pflücken hilft. Da sind wir in einer Viertelstunde fertig.

Die Mutter lachte, ich aber trottete mit der redseligen und immer lustigen
Magd, die voller Schelmereien steckte, nach dem Baumgarten, um für den pol¬
nischen Koch des hochgräflichen Obersten Sauerampfer zu pflücke". Auf meine
Frage: wo man das gewünschte Kraut finde? lautete die Antwort der Magd:
Alles da herum ist Sauerampfer. Darauf begann ich denn auszurupfen, was
mir unter die Hände kam. Meine bejahrte Begleiterin machte es nicht viel
besser, indem sie mehrmals ärgerlich und doch mit schadenfrohem Lächeln die
Bemerkung hören ließ: Für das pol'sche Volk ist alles gut!

Das mitgenommene Henkelfaß war demnach bald genug bis zum Rande
voll, jedenfalls aber barg sich unter der Menge ausgerupften Grases, dem auch
erdige Teile anhingen, sehr wenig Sauerampfer.

Die Mutter erschrak sichtlich beim Anblicke dieses vollständig nnbrmichbaren
Gcmengsels und fürchtete eine Szene, wenn der Koch das Kraut einer genauen
Prüfung unterwerfen würde, was man doch annehmen mußte. Unsre Magd
aber ließ sich nicht irre machen, trat mit dem vollen Fasse dreist zu dem Koch,
der, auf dem großen offnen Herde sitzend, Hühner rupfte, und sagte trotzig: Da
ist Sauerampfer! Dodro, clodrv! lautete die Antwort des Koches, der sofort
vom Herde sprang, das Huhn beiseite legte, der Magd das Faß abnahm und
dessen Inhalt anf einen kleinen Tisch schüttete, der zur Reinigung des gebrauchten
Geschirres benutzt ward und infolge dessen nicht immer ganz sauber war. Hier
wurde" Gras und Kräuter, ohne vorher gereinigt oder "ur besichtigt worden
zu sein, vou dem polnischen Kochkünstler ausgebreitet, dann eine ziemliche Anzahl
Eier hineingeschlagen, Mehl und frisch gepflückte, halbreife Äpfel dazu gethan,
alles zusammen mittels eines Wiegemessers klein gehackt und zuletzt von den
Händen des Kochs zu einem Klöße geformt, der dann gebacken oder gebraten
wurde.

Meine Mutter, welche dem sehr beschäftigten Koch noch allerhand Ge¬
würze zu diesem kostbaren Zwischengericht reichen mußte, sah dieser Beschäftigung
mit steigender Verwunderung zu und gedachte mit gerechtfertigten Bangen der
Tafelzcit, wo dies unvergleichliche Gebäck von den Gästen des Obersten verzehrt
werden sollte; denn -- welches Unglück -- meinem Vater war ebenfalls die
Ehre einer Einladung zu Teil geworden! Wodurch es der Mutter gelang,
den Vater diesem Hochgenusse zu entziehen, ist mir nicht mehr erinnerlich.

Es mußten bei unsern edeln Gästen eigentümliche Begriffe von Reinlichkeit
herrschen. Diese Begriffe kamen nie mehr zur Geltung als im Küchendepartement
und bei der Speisebercitung. Ein Ga"g bei dem erwähnten Schmause bestand


Meine Mutter wandte sich an unsre Stallmngd, um zu hören, ob diese,
eine sehr resolute Person, die mit jedermann fertig zu werden wuszte, Rat zu
schaffen wüßte.

Wie leicht, Frau Magister! gab die Magd zur Antwort. Ich nehme deu
Ernst mit, daß er pflücken hilft. Da sind wir in einer Viertelstunde fertig.

Die Mutter lachte, ich aber trottete mit der redseligen und immer lustigen
Magd, die voller Schelmereien steckte, nach dem Baumgarten, um für den pol¬
nischen Koch des hochgräflichen Obersten Sauerampfer zu pflücke». Auf meine
Frage: wo man das gewünschte Kraut finde? lautete die Antwort der Magd:
Alles da herum ist Sauerampfer. Darauf begann ich denn auszurupfen, was
mir unter die Hände kam. Meine bejahrte Begleiterin machte es nicht viel
besser, indem sie mehrmals ärgerlich und doch mit schadenfrohem Lächeln die
Bemerkung hören ließ: Für das pol'sche Volk ist alles gut!

Das mitgenommene Henkelfaß war demnach bald genug bis zum Rande
voll, jedenfalls aber barg sich unter der Menge ausgerupften Grases, dem auch
erdige Teile anhingen, sehr wenig Sauerampfer.

Die Mutter erschrak sichtlich beim Anblicke dieses vollständig nnbrmichbaren
Gcmengsels und fürchtete eine Szene, wenn der Koch das Kraut einer genauen
Prüfung unterwerfen würde, was man doch annehmen mußte. Unsre Magd
aber ließ sich nicht irre machen, trat mit dem vollen Fasse dreist zu dem Koch,
der, auf dem großen offnen Herde sitzend, Hühner rupfte, und sagte trotzig: Da
ist Sauerampfer! Dodro, clodrv! lautete die Antwort des Koches, der sofort
vom Herde sprang, das Huhn beiseite legte, der Magd das Faß abnahm und
dessen Inhalt anf einen kleinen Tisch schüttete, der zur Reinigung des gebrauchten
Geschirres benutzt ward und infolge dessen nicht immer ganz sauber war. Hier
wurde» Gras und Kräuter, ohne vorher gereinigt oder »ur besichtigt worden
zu sein, vou dem polnischen Kochkünstler ausgebreitet, dann eine ziemliche Anzahl
Eier hineingeschlagen, Mehl und frisch gepflückte, halbreife Äpfel dazu gethan,
alles zusammen mittels eines Wiegemessers klein gehackt und zuletzt von den
Händen des Kochs zu einem Klöße geformt, der dann gebacken oder gebraten
wurde.

Meine Mutter, welche dem sehr beschäftigten Koch noch allerhand Ge¬
würze zu diesem kostbaren Zwischengericht reichen mußte, sah dieser Beschäftigung
mit steigender Verwunderung zu und gedachte mit gerechtfertigten Bangen der
Tafelzcit, wo dies unvergleichliche Gebäck von den Gästen des Obersten verzehrt
werden sollte; denn — welches Unglück — meinem Vater war ebenfalls die
Ehre einer Einladung zu Teil geworden! Wodurch es der Mutter gelang,
den Vater diesem Hochgenusse zu entziehen, ist mir nicht mehr erinnerlich.

Es mußten bei unsern edeln Gästen eigentümliche Begriffe von Reinlichkeit
herrschen. Diese Begriffe kamen nie mehr zur Geltung als im Küchendepartement
und bei der Speisebercitung. Ein Ga»g bei dem erwähnten Schmause bestand


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[0246] Meine Mutter wandte sich an unsre Stallmngd, um zu hören, ob diese, eine sehr resolute Person, die mit jedermann fertig zu werden wuszte, Rat zu schaffen wüßte. Wie leicht, Frau Magister! gab die Magd zur Antwort. Ich nehme deu Ernst mit, daß er pflücken hilft. Da sind wir in einer Viertelstunde fertig. Die Mutter lachte, ich aber trottete mit der redseligen und immer lustigen Magd, die voller Schelmereien steckte, nach dem Baumgarten, um für den pol¬ nischen Koch des hochgräflichen Obersten Sauerampfer zu pflücke». Auf meine Frage: wo man das gewünschte Kraut finde? lautete die Antwort der Magd: Alles da herum ist Sauerampfer. Darauf begann ich denn auszurupfen, was mir unter die Hände kam. Meine bejahrte Begleiterin machte es nicht viel besser, indem sie mehrmals ärgerlich und doch mit schadenfrohem Lächeln die Bemerkung hören ließ: Für das pol'sche Volk ist alles gut! Das mitgenommene Henkelfaß war demnach bald genug bis zum Rande voll, jedenfalls aber barg sich unter der Menge ausgerupften Grases, dem auch erdige Teile anhingen, sehr wenig Sauerampfer. Die Mutter erschrak sichtlich beim Anblicke dieses vollständig nnbrmichbaren Gcmengsels und fürchtete eine Szene, wenn der Koch das Kraut einer genauen Prüfung unterwerfen würde, was man doch annehmen mußte. Unsre Magd aber ließ sich nicht irre machen, trat mit dem vollen Fasse dreist zu dem Koch, der, auf dem großen offnen Herde sitzend, Hühner rupfte, und sagte trotzig: Da ist Sauerampfer! Dodro, clodrv! lautete die Antwort des Koches, der sofort vom Herde sprang, das Huhn beiseite legte, der Magd das Faß abnahm und dessen Inhalt anf einen kleinen Tisch schüttete, der zur Reinigung des gebrauchten Geschirres benutzt ward und infolge dessen nicht immer ganz sauber war. Hier wurde» Gras und Kräuter, ohne vorher gereinigt oder »ur besichtigt worden zu sein, vou dem polnischen Kochkünstler ausgebreitet, dann eine ziemliche Anzahl Eier hineingeschlagen, Mehl und frisch gepflückte, halbreife Äpfel dazu gethan, alles zusammen mittels eines Wiegemessers klein gehackt und zuletzt von den Händen des Kochs zu einem Klöße geformt, der dann gebacken oder gebraten wurde. Meine Mutter, welche dem sehr beschäftigten Koch noch allerhand Ge¬ würze zu diesem kostbaren Zwischengericht reichen mußte, sah dieser Beschäftigung mit steigender Verwunderung zu und gedachte mit gerechtfertigten Bangen der Tafelzcit, wo dies unvergleichliche Gebäck von den Gästen des Obersten verzehrt werden sollte; denn — welches Unglück — meinem Vater war ebenfalls die Ehre einer Einladung zu Teil geworden! Wodurch es der Mutter gelang, den Vater diesem Hochgenusse zu entziehen, ist mir nicht mehr erinnerlich. Es mußten bei unsern edeln Gästen eigentümliche Begriffe von Reinlichkeit herrschen. Diese Begriffe kamen nie mehr zur Geltung als im Küchendepartement und bei der Speisebercitung. Ein Ga»g bei dem erwähnten Schmause bestand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/246>, abgerufen am 23.12.2024.