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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymncisialnnterricht und Fachbildung,

"Sachverständigen" gebunden. Diese "Sachverständigen" aber sind natürlich
Schulmänner, und solange in den Schulkoufereuzeu und Direktorenversammlungen
die philologische Richtung überwiegt, wird dieselbe auch in den eingeforderten
Gutachten und Berichten ihren Ausdruck finden. Ein Kultusminister kaun bei
noch so großem Verständnis und Interesse in dieser Angelegenheit seine persön¬
lichen Anschauungen uicht wohl gegenüber einer geschlossenen Phalanx seiner
Räte und ersten Organe zum Durchbruch bringen. Das treibende Element
wird in diesem Falle die öffentliche Meinung sein müssen. Aufsätze wie der
vorliegende, Zeitungsartikel, Versammlungen und Gelegenheitsredeu werden aber
uicht mehr bieten können als allgemeine Anregung. Die Frage der Schul¬
reform wird daher aus der Region des frommen Wunsches erst dann auf den
festen Boden praktischer Verwirklichung verpflanzt werde", wenn die Landtage
der Einzelstaaten dieselbe in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen, wenn
Petitionen, Anträge und Beratungen sie auch der Erörterung von uichtfach-
männischcu Abgeordneten zugänglich macheu. Ich halte die Wahl dieses Terrains
zum Meinungsaustausch für umso unbedenklicher, als dem Parteigeist durch die
Schulfrage wenig Stoff zur Bethütiguug geboten wird. An der Regelung des
Erziehungswesens haben vielmehr alle gebildeten Stände das gleiche Interesse.
Ich würde es für ein besonderes Glück halten, wenn Kundgebungen dieses
Interesses auch vonseiten solcher Männer erfolgten, die nicht zum Generalstab
des staatlichen Unterrichtswesens gehören und die durch enge Fühlung mit den
Forderungen des öffentlichen Lebens gleichfalls berufen erscheinen, ihre Stimmen
in dieser Frage abzugeben. Ich wünschte, das; viele dieser Stimmen sich in
dem Bestreben vereinigten, unsre Gymnasien dem übermächtig gewordenen Druck
des philologischen Fachstudiums zu entziehen und dieselben, unter treuer Wahrung
des geschichtlich überkommenen humanistischen Grundgedankens, mehr in den
Dienst einer idealen, jedwedem Banausentum abholden Geistesrichtung zu stellen.
Unsre Ghmnasieu würden dann wieder zu Anstalten uicht bloß des Unterrichts,
sondern auch der Erziehung, und aus Gelehrtenschulen zu Pflanzstätte" einer
universellen Bildung werde".




Gymncisialnnterricht und Fachbildung,

„Sachverständigen" gebunden. Diese „Sachverständigen" aber sind natürlich
Schulmänner, und solange in den Schulkoufereuzeu und Direktorenversammlungen
die philologische Richtung überwiegt, wird dieselbe auch in den eingeforderten
Gutachten und Berichten ihren Ausdruck finden. Ein Kultusminister kaun bei
noch so großem Verständnis und Interesse in dieser Angelegenheit seine persön¬
lichen Anschauungen uicht wohl gegenüber einer geschlossenen Phalanx seiner
Räte und ersten Organe zum Durchbruch bringen. Das treibende Element
wird in diesem Falle die öffentliche Meinung sein müssen. Aufsätze wie der
vorliegende, Zeitungsartikel, Versammlungen und Gelegenheitsredeu werden aber
uicht mehr bieten können als allgemeine Anregung. Die Frage der Schul¬
reform wird daher aus der Region des frommen Wunsches erst dann auf den
festen Boden praktischer Verwirklichung verpflanzt werde», wenn die Landtage
der Einzelstaaten dieselbe in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen, wenn
Petitionen, Anträge und Beratungen sie auch der Erörterung von uichtfach-
männischcu Abgeordneten zugänglich macheu. Ich halte die Wahl dieses Terrains
zum Meinungsaustausch für umso unbedenklicher, als dem Parteigeist durch die
Schulfrage wenig Stoff zur Bethütiguug geboten wird. An der Regelung des
Erziehungswesens haben vielmehr alle gebildeten Stände das gleiche Interesse.
Ich würde es für ein besonderes Glück halten, wenn Kundgebungen dieses
Interesses auch vonseiten solcher Männer erfolgten, die nicht zum Generalstab
des staatlichen Unterrichtswesens gehören und die durch enge Fühlung mit den
Forderungen des öffentlichen Lebens gleichfalls berufen erscheinen, ihre Stimmen
in dieser Frage abzugeben. Ich wünschte, das; viele dieser Stimmen sich in
dem Bestreben vereinigten, unsre Gymnasien dem übermächtig gewordenen Druck
des philologischen Fachstudiums zu entziehen und dieselben, unter treuer Wahrung
des geschichtlich überkommenen humanistischen Grundgedankens, mehr in den
Dienst einer idealen, jedwedem Banausentum abholden Geistesrichtung zu stellen.
Unsre Ghmnasieu würden dann wieder zu Anstalten uicht bloß des Unterrichts,
sondern auch der Erziehung, und aus Gelehrtenschulen zu Pflanzstätte» einer
universellen Bildung werde».




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[0232] Gymncisialnnterricht und Fachbildung, „Sachverständigen" gebunden. Diese „Sachverständigen" aber sind natürlich Schulmänner, und solange in den Schulkoufereuzeu und Direktorenversammlungen die philologische Richtung überwiegt, wird dieselbe auch in den eingeforderten Gutachten und Berichten ihren Ausdruck finden. Ein Kultusminister kaun bei noch so großem Verständnis und Interesse in dieser Angelegenheit seine persön¬ lichen Anschauungen uicht wohl gegenüber einer geschlossenen Phalanx seiner Räte und ersten Organe zum Durchbruch bringen. Das treibende Element wird in diesem Falle die öffentliche Meinung sein müssen. Aufsätze wie der vorliegende, Zeitungsartikel, Versammlungen und Gelegenheitsredeu werden aber uicht mehr bieten können als allgemeine Anregung. Die Frage der Schul¬ reform wird daher aus der Region des frommen Wunsches erst dann auf den festen Boden praktischer Verwirklichung verpflanzt werde», wenn die Landtage der Einzelstaaten dieselbe in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen, wenn Petitionen, Anträge und Beratungen sie auch der Erörterung von uichtfach- männischcu Abgeordneten zugänglich macheu. Ich halte die Wahl dieses Terrains zum Meinungsaustausch für umso unbedenklicher, als dem Parteigeist durch die Schulfrage wenig Stoff zur Bethütiguug geboten wird. An der Regelung des Erziehungswesens haben vielmehr alle gebildeten Stände das gleiche Interesse. Ich würde es für ein besonderes Glück halten, wenn Kundgebungen dieses Interesses auch vonseiten solcher Männer erfolgten, die nicht zum Generalstab des staatlichen Unterrichtswesens gehören und die durch enge Fühlung mit den Forderungen des öffentlichen Lebens gleichfalls berufen erscheinen, ihre Stimmen in dieser Frage abzugeben. Ich wünschte, das; viele dieser Stimmen sich in dem Bestreben vereinigten, unsre Gymnasien dem übermächtig gewordenen Druck des philologischen Fachstudiums zu entziehen und dieselben, unter treuer Wahrung des geschichtlich überkommenen humanistischen Grundgedankens, mehr in den Dienst einer idealen, jedwedem Banausentum abholden Geistesrichtung zu stellen. Unsre Ghmnasieu würden dann wieder zu Anstalten uicht bloß des Unterrichts, sondern auch der Erziehung, und aus Gelehrtenschulen zu Pflanzstätte» einer universellen Bildung werde».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/232>, abgerufen am 23.12.2024.