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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches, romanisches und preußisches Königtum.

fremder Heere zu werden und ähnliches zu erleben, wie Frankreich unter
Karl VII. erlitten hatte.

Welch stolzen Aufschwung nahm dagegen Frankreich seit Karl VII.! Des
englischen Krieges ledig und in ungestörtem Besitz seines Gebietes, gewinnt es eine
leitende Stellung unter den europäischen Mächte,?. Mit der sichern Hand des
Politischen Genies vollendet der im übrigen so nnkönigliche Ludwig XI. den innern
Ausbau des französischen Staates: 1468 entzieht die gesetzlich anerkannte Uuab-
setzbarkeit der Richter und der Beamten die Rechtspflege und die Verwaltung der
Willkür der Krone ebenso wie dem Treiben der Parteien. Selbst die Religions- und
Bürgerkriege des sechzehnten Jahrhunderts halten diese Entwicklung l'arm auf,
da hier die religiöse Spaltung die nationale Einheit nicht bedrohte. Einig waren
Hugenotten und Katholiken in der Hingebung an die Ehre und die Macht des
gemeinsamen Vaterlands, und selbst die Augenblicke der leidenschaftlichsten Er¬
bitterung stellten das nationale Königtum nicht wesentlich in Frage. Die
deutschen Protestanten haben den Fremden den Weg in das Herz ihres Vater¬
lands geöffnet; die Theorie von Frankreichs natürlichen Grenzen und mit ihr
die Eroberungspolitik der Bourbonen entstammte den hugeuottischen Kreisen
und hatte Coligny zum geistigen Vater. Glückliche Kriege lösten hier die innere
Spannung, welche die letzte Erhebung der feudalen Gewalten gegen das
Königtum in Frankreich zurückließ, und häuften neue Ehre und neue Macht
auf das Königtum, das die Nation so ruhmreich vertrat. Dieses erlangte
damit eine wenigstens in der Theorie unumschränkte Autorität. Das absolute
Königtum des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts war die folgerechte
Fortbildung der mit Karls VII. Ordonnanzen begonnenen Organisation: dem in
dem Herrscher verkörperten Staat wurde dieselbe Gewalt, die er zuerst über
Finanzen und Heerwesen erlangt hatte, unter Beseitigung aller ständischen
Schranken nun auch über Verwaltung und Gesetzgebung eingeräumt.

Auch an dieser Entwicklung hat Deutschland keinen Anteil gehabt. Wohl
aber fühlte man dort in den einzelnen Territorien unter dein Einflüsse der ver¬
änderten Verhältnisse das Bedürfnis nach Stärkung der staatlichen Autorität
durch Zentralisation der Verwaltung. Nicht bloß ähnliche Mittel wie in Frank¬
reich wandte man duzn an: mit Bewußtsein und Absicht hat man Frankreichs
Vorbild nachgeahmt. Der Verwaltung des Herzogtums Burgund, welche die
Frankreichs wiederholte, bildete Maximilian die seiner Erdtaube nach. Sein
Beispiel gab wieder andern dentschen Fürsten Anregung und Anleitung. Dazu
kam die Steigerung der fürstliche" Autorität durch die Reformation, welche die
christliche Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit mit einem bisher unbe¬
kannten Nachdruck betonte: auch den katholischen Fürsten kam diese lutherische
Lehre zu Gute. Aber erst als der westfälische Friede ihnen die volle Souveränität
gewährte, lenkten die Territorien des Reiches gleichmäßig in die Entwicklung ein,
die im Westen Europas bereits zum Abschluß gelangt war.


Deutsches, romanisches und preußisches Königtum.

fremder Heere zu werden und ähnliches zu erleben, wie Frankreich unter
Karl VII. erlitten hatte.

Welch stolzen Aufschwung nahm dagegen Frankreich seit Karl VII.! Des
englischen Krieges ledig und in ungestörtem Besitz seines Gebietes, gewinnt es eine
leitende Stellung unter den europäischen Mächte,?. Mit der sichern Hand des
Politischen Genies vollendet der im übrigen so nnkönigliche Ludwig XI. den innern
Ausbau des französischen Staates: 1468 entzieht die gesetzlich anerkannte Uuab-
setzbarkeit der Richter und der Beamten die Rechtspflege und die Verwaltung der
Willkür der Krone ebenso wie dem Treiben der Parteien. Selbst die Religions- und
Bürgerkriege des sechzehnten Jahrhunderts halten diese Entwicklung l'arm auf,
da hier die religiöse Spaltung die nationale Einheit nicht bedrohte. Einig waren
Hugenotten und Katholiken in der Hingebung an die Ehre und die Macht des
gemeinsamen Vaterlands, und selbst die Augenblicke der leidenschaftlichsten Er¬
bitterung stellten das nationale Königtum nicht wesentlich in Frage. Die
deutschen Protestanten haben den Fremden den Weg in das Herz ihres Vater¬
lands geöffnet; die Theorie von Frankreichs natürlichen Grenzen und mit ihr
die Eroberungspolitik der Bourbonen entstammte den hugeuottischen Kreisen
und hatte Coligny zum geistigen Vater. Glückliche Kriege lösten hier die innere
Spannung, welche die letzte Erhebung der feudalen Gewalten gegen das
Königtum in Frankreich zurückließ, und häuften neue Ehre und neue Macht
auf das Königtum, das die Nation so ruhmreich vertrat. Dieses erlangte
damit eine wenigstens in der Theorie unumschränkte Autorität. Das absolute
Königtum des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts war die folgerechte
Fortbildung der mit Karls VII. Ordonnanzen begonnenen Organisation: dem in
dem Herrscher verkörperten Staat wurde dieselbe Gewalt, die er zuerst über
Finanzen und Heerwesen erlangt hatte, unter Beseitigung aller ständischen
Schranken nun auch über Verwaltung und Gesetzgebung eingeräumt.

Auch an dieser Entwicklung hat Deutschland keinen Anteil gehabt. Wohl
aber fühlte man dort in den einzelnen Territorien unter dein Einflüsse der ver¬
änderten Verhältnisse das Bedürfnis nach Stärkung der staatlichen Autorität
durch Zentralisation der Verwaltung. Nicht bloß ähnliche Mittel wie in Frank¬
reich wandte man duzn an: mit Bewußtsein und Absicht hat man Frankreichs
Vorbild nachgeahmt. Der Verwaltung des Herzogtums Burgund, welche die
Frankreichs wiederholte, bildete Maximilian die seiner Erdtaube nach. Sein
Beispiel gab wieder andern dentschen Fürsten Anregung und Anleitung. Dazu
kam die Steigerung der fürstliche» Autorität durch die Reformation, welche die
christliche Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit mit einem bisher unbe¬
kannten Nachdruck betonte: auch den katholischen Fürsten kam diese lutherische
Lehre zu Gute. Aber erst als der westfälische Friede ihnen die volle Souveränität
gewährte, lenkten die Territorien des Reiches gleichmäßig in die Entwicklung ein,
die im Westen Europas bereits zum Abschluß gelangt war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/219>, abgerufen am 03.07.2024.