Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsches, romanisches und preußisches" Königtum.

war die gleichmäßige Verpflichtung aller Unterthanen dein Staate gegenüber
anerkannt: die neue Grund- und Kopfsteuer, deren Ertrag ausschließlich dem
Unterhalte des Heeres und der Kriegführung dienen sollte, wurde den Unter¬
thanen der Feudalherren so gut wie den königlichen Unterthanen aufgelegt. Frei
von allen verdunkelnden feudalrechtlichen Theorien, wurde damit der große
Grundsatz der gleichen Staatsuuterthäuigkeit aller Franzosen zur Geltung
gebracht. Auch brach man mit der verkehrten privatrechtlichen Auffassung des
Staates und seines Besitzes, indem man den Ertrag der Domänen, der Salz-
stener, der Ausfuhrzölle und der von Kauf und Verkauf erhobenen Abgaben
zum Unterhalt des Hofes und der Verwaltung bestimmte, die Kontrole des
gesamten Finanzwesens aber einer Oberrechnungskammer übertrug, die sich an
das Parlament, das höchste Gericht des Landes, anlehnte. So kam in Frankreich
zuerst die Fiuanzhohcit des modernen Staates zur Anerkennung. Und auch
das zweite wesentliche Erfordernis desselben, die ausschließliche Kriegshoheit
des Königs, wurde damals und dort zuerst geltend gemacht: die Ordonanz-
kompagnien der Reiter- und Bogenschützen, für den König in Eid und Pflicht
genommen, wurden der Kern eines stehenden Heeres, welches die feudale Ordnung
auch in militärischer Hinsicht vollends entwertete. Dazu kamen bald darnach
als Anfänge eines nationalen Heeres die Freischützen, welche in den einzelnen
Bezirken nach der Zahl der Feuerstellen ciusgehoben und militärisch eingeübt,
aber nur im Falle eines Krieges aufgeboten und für ihre Dienste dnrch
Steuerfreiheit belohnt wurden. So sonderten sich gleich hier in dem werdenden
modernen Staat Zivil- und Militärstaat.

Die Bedeutung des Geleisteten erweist man wiederum am besten, wenn
man die Zustände Deutschlands dagegen hält. Was Karl VII. ans Rat des
Kaufmannes von Bourges durch die Ordonnanzen vom 2. November 1439 ins
Leben rief, war noch ein halbes Jahrhundert später in Deutschland das Ziel
der Sehnsucht, mühevollen und doch vergeblichen Ringens der besten Patrioten.
Hier scheiterte die Anerkennung der gleichen Ncichsunterthänigkeit aller Deutschen,
auf welche die unter Maximilian geplante Ncichsstcucr hinauslief, an dem
Widerstande weniger der Reichsfürsten als des Adels, der zu "ziuseu" für
unvereinbar hielt mit seiner Ehre. Trotz aller NeichStagsschlüsse blieb der
"gemeine Pfennig," soweit er überhaupt gezahlt wurde, ein dem bedürftigen
Reiche gewahrtes Almosen, und daher scheiterte anch die Wehrhaftmachung des
Reiches trotz der neuen Matrikel. Deutschland blieb eben ausgeschlossen von
der Entwicklung, welche deu Übergang vom mittelalterlichen zum modernen
Staate bewirkte. Schwer hat es das in der Reformation gebüßt: an die Spitze
der geistigen Entwicklung gestellt, war es doch den politischen und sozialen
Aufgabe" nicht gewachsen, welche die große Zeit mit sich brachte. Daher wurde
es der spanisch-habsburgischen Politik und durch diese der Gegenreformation
dienstbar, um in deu Schrecknissen des dreißigjährigen Krieges der Tummelplatz


Deutsches, romanisches und preußisches" Königtum.

war die gleichmäßige Verpflichtung aller Unterthanen dein Staate gegenüber
anerkannt: die neue Grund- und Kopfsteuer, deren Ertrag ausschließlich dem
Unterhalte des Heeres und der Kriegführung dienen sollte, wurde den Unter¬
thanen der Feudalherren so gut wie den königlichen Unterthanen aufgelegt. Frei
von allen verdunkelnden feudalrechtlichen Theorien, wurde damit der große
Grundsatz der gleichen Staatsuuterthäuigkeit aller Franzosen zur Geltung
gebracht. Auch brach man mit der verkehrten privatrechtlichen Auffassung des
Staates und seines Besitzes, indem man den Ertrag der Domänen, der Salz-
stener, der Ausfuhrzölle und der von Kauf und Verkauf erhobenen Abgaben
zum Unterhalt des Hofes und der Verwaltung bestimmte, die Kontrole des
gesamten Finanzwesens aber einer Oberrechnungskammer übertrug, die sich an
das Parlament, das höchste Gericht des Landes, anlehnte. So kam in Frankreich
zuerst die Fiuanzhohcit des modernen Staates zur Anerkennung. Und auch
das zweite wesentliche Erfordernis desselben, die ausschließliche Kriegshoheit
des Königs, wurde damals und dort zuerst geltend gemacht: die Ordonanz-
kompagnien der Reiter- und Bogenschützen, für den König in Eid und Pflicht
genommen, wurden der Kern eines stehenden Heeres, welches die feudale Ordnung
auch in militärischer Hinsicht vollends entwertete. Dazu kamen bald darnach
als Anfänge eines nationalen Heeres die Freischützen, welche in den einzelnen
Bezirken nach der Zahl der Feuerstellen ciusgehoben und militärisch eingeübt,
aber nur im Falle eines Krieges aufgeboten und für ihre Dienste dnrch
Steuerfreiheit belohnt wurden. So sonderten sich gleich hier in dem werdenden
modernen Staat Zivil- und Militärstaat.

Die Bedeutung des Geleisteten erweist man wiederum am besten, wenn
man die Zustände Deutschlands dagegen hält. Was Karl VII. ans Rat des
Kaufmannes von Bourges durch die Ordonnanzen vom 2. November 1439 ins
Leben rief, war noch ein halbes Jahrhundert später in Deutschland das Ziel
der Sehnsucht, mühevollen und doch vergeblichen Ringens der besten Patrioten.
Hier scheiterte die Anerkennung der gleichen Ncichsunterthänigkeit aller Deutschen,
auf welche die unter Maximilian geplante Ncichsstcucr hinauslief, an dem
Widerstande weniger der Reichsfürsten als des Adels, der zu „ziuseu" für
unvereinbar hielt mit seiner Ehre. Trotz aller NeichStagsschlüsse blieb der
„gemeine Pfennig," soweit er überhaupt gezahlt wurde, ein dem bedürftigen
Reiche gewahrtes Almosen, und daher scheiterte anch die Wehrhaftmachung des
Reiches trotz der neuen Matrikel. Deutschland blieb eben ausgeschlossen von
der Entwicklung, welche deu Übergang vom mittelalterlichen zum modernen
Staate bewirkte. Schwer hat es das in der Reformation gebüßt: an die Spitze
der geistigen Entwicklung gestellt, war es doch den politischen und sozialen
Aufgabe» nicht gewachsen, welche die große Zeit mit sich brachte. Daher wurde
es der spanisch-habsburgischen Politik und durch diese der Gegenreformation
dienstbar, um in deu Schrecknissen des dreißigjährigen Krieges der Tummelplatz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200323"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsches, romanisches und preußisches" Königtum.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_630" prev="#ID_629"> war die gleichmäßige Verpflichtung aller Unterthanen dein Staate gegenüber<lb/>
anerkannt: die neue Grund- und Kopfsteuer, deren Ertrag ausschließlich dem<lb/>
Unterhalte des Heeres und der Kriegführung dienen sollte, wurde den Unter¬<lb/>
thanen der Feudalherren so gut wie den königlichen Unterthanen aufgelegt. Frei<lb/>
von allen verdunkelnden feudalrechtlichen Theorien, wurde damit der große<lb/>
Grundsatz der gleichen Staatsuuterthäuigkeit aller Franzosen zur Geltung<lb/>
gebracht. Auch brach man mit der verkehrten privatrechtlichen Auffassung des<lb/>
Staates und seines Besitzes, indem man den Ertrag der Domänen, der Salz-<lb/>
stener, der Ausfuhrzölle und der von Kauf und Verkauf erhobenen Abgaben<lb/>
zum Unterhalt des Hofes und der Verwaltung bestimmte, die Kontrole des<lb/>
gesamten Finanzwesens aber einer Oberrechnungskammer übertrug, die sich an<lb/>
das Parlament, das höchste Gericht des Landes, anlehnte. So kam in Frankreich<lb/>
zuerst die Fiuanzhohcit des modernen Staates zur Anerkennung. Und auch<lb/>
das zweite wesentliche Erfordernis desselben, die ausschließliche Kriegshoheit<lb/>
des Königs, wurde damals und dort zuerst geltend gemacht: die Ordonanz-<lb/>
kompagnien der Reiter- und Bogenschützen, für den König in Eid und Pflicht<lb/>
genommen, wurden der Kern eines stehenden Heeres, welches die feudale Ordnung<lb/>
auch in militärischer Hinsicht vollends entwertete. Dazu kamen bald darnach<lb/>
als Anfänge eines nationalen Heeres die Freischützen, welche in den einzelnen<lb/>
Bezirken nach der Zahl der Feuerstellen ciusgehoben und militärisch eingeübt,<lb/>
aber nur im Falle eines Krieges aufgeboten und für ihre Dienste dnrch<lb/>
Steuerfreiheit belohnt wurden. So sonderten sich gleich hier in dem werdenden<lb/>
modernen Staat Zivil- und Militärstaat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631" next="#ID_632"> Die Bedeutung des Geleisteten erweist man wiederum am besten, wenn<lb/>
man die Zustände Deutschlands dagegen hält. Was Karl VII. ans Rat des<lb/>
Kaufmannes von Bourges durch die Ordonnanzen vom 2. November 1439 ins<lb/>
Leben rief, war noch ein halbes Jahrhundert später in Deutschland das Ziel<lb/>
der Sehnsucht, mühevollen und doch vergeblichen Ringens der besten Patrioten.<lb/>
Hier scheiterte die Anerkennung der gleichen Ncichsunterthänigkeit aller Deutschen,<lb/>
auf welche die unter Maximilian geplante Ncichsstcucr hinauslief, an dem<lb/>
Widerstande weniger der Reichsfürsten als des Adels, der zu &#x201E;ziuseu" für<lb/>
unvereinbar hielt mit seiner Ehre. Trotz aller NeichStagsschlüsse blieb der<lb/>
&#x201E;gemeine Pfennig," soweit er überhaupt gezahlt wurde, ein dem bedürftigen<lb/>
Reiche gewahrtes Almosen, und daher scheiterte anch die Wehrhaftmachung des<lb/>
Reiches trotz der neuen Matrikel. Deutschland blieb eben ausgeschlossen von<lb/>
der Entwicklung, welche deu Übergang vom mittelalterlichen zum modernen<lb/>
Staate bewirkte. Schwer hat es das in der Reformation gebüßt: an die Spitze<lb/>
der geistigen Entwicklung gestellt, war es doch den politischen und sozialen<lb/>
Aufgabe» nicht gewachsen, welche die große Zeit mit sich brachte. Daher wurde<lb/>
es der spanisch-habsburgischen Politik und durch diese der Gegenreformation<lb/>
dienstbar, um in deu Schrecknissen des dreißigjährigen Krieges der Tummelplatz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] Deutsches, romanisches und preußisches" Königtum. war die gleichmäßige Verpflichtung aller Unterthanen dein Staate gegenüber anerkannt: die neue Grund- und Kopfsteuer, deren Ertrag ausschließlich dem Unterhalte des Heeres und der Kriegführung dienen sollte, wurde den Unter¬ thanen der Feudalherren so gut wie den königlichen Unterthanen aufgelegt. Frei von allen verdunkelnden feudalrechtlichen Theorien, wurde damit der große Grundsatz der gleichen Staatsuuterthäuigkeit aller Franzosen zur Geltung gebracht. Auch brach man mit der verkehrten privatrechtlichen Auffassung des Staates und seines Besitzes, indem man den Ertrag der Domänen, der Salz- stener, der Ausfuhrzölle und der von Kauf und Verkauf erhobenen Abgaben zum Unterhalt des Hofes und der Verwaltung bestimmte, die Kontrole des gesamten Finanzwesens aber einer Oberrechnungskammer übertrug, die sich an das Parlament, das höchste Gericht des Landes, anlehnte. So kam in Frankreich zuerst die Fiuanzhohcit des modernen Staates zur Anerkennung. Und auch das zweite wesentliche Erfordernis desselben, die ausschließliche Kriegshoheit des Königs, wurde damals und dort zuerst geltend gemacht: die Ordonanz- kompagnien der Reiter- und Bogenschützen, für den König in Eid und Pflicht genommen, wurden der Kern eines stehenden Heeres, welches die feudale Ordnung auch in militärischer Hinsicht vollends entwertete. Dazu kamen bald darnach als Anfänge eines nationalen Heeres die Freischützen, welche in den einzelnen Bezirken nach der Zahl der Feuerstellen ciusgehoben und militärisch eingeübt, aber nur im Falle eines Krieges aufgeboten und für ihre Dienste dnrch Steuerfreiheit belohnt wurden. So sonderten sich gleich hier in dem werdenden modernen Staat Zivil- und Militärstaat. Die Bedeutung des Geleisteten erweist man wiederum am besten, wenn man die Zustände Deutschlands dagegen hält. Was Karl VII. ans Rat des Kaufmannes von Bourges durch die Ordonnanzen vom 2. November 1439 ins Leben rief, war noch ein halbes Jahrhundert später in Deutschland das Ziel der Sehnsucht, mühevollen und doch vergeblichen Ringens der besten Patrioten. Hier scheiterte die Anerkennung der gleichen Ncichsunterthänigkeit aller Deutschen, auf welche die unter Maximilian geplante Ncichsstcucr hinauslief, an dem Widerstande weniger der Reichsfürsten als des Adels, der zu „ziuseu" für unvereinbar hielt mit seiner Ehre. Trotz aller NeichStagsschlüsse blieb der „gemeine Pfennig," soweit er überhaupt gezahlt wurde, ein dem bedürftigen Reiche gewahrtes Almosen, und daher scheiterte anch die Wehrhaftmachung des Reiches trotz der neuen Matrikel. Deutschland blieb eben ausgeschlossen von der Entwicklung, welche deu Übergang vom mittelalterlichen zum modernen Staate bewirkte. Schwer hat es das in der Reformation gebüßt: an die Spitze der geistigen Entwicklung gestellt, war es doch den politischen und sozialen Aufgabe» nicht gewachsen, welche die große Zeit mit sich brachte. Daher wurde es der spanisch-habsburgischen Politik und durch diese der Gegenreformation dienstbar, um in deu Schrecknissen des dreißigjährigen Krieges der Tummelplatz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/218>, abgerufen am 03.07.2024.