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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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sind." Bei vielen der Freisinnigen, wie bei Herrn Hamel, verband sich hier
mit dem Bismarclhciß eine international angehauchte Humanitätsduselei. Aber
die Haltung der ultramontan-freisinnigen Partei war umso bedenklicher, als
sie sich hier mit der direkten Denunziation der eignen Regierung an das Alls¬
land verband. Es war für den Vaterlmidsfreuiid ein tief beschämender Anblick,
dieser Wcttlciuf zwischen den verschiednen Mehrheitsgruppeu, wer das tiefste
Niveau deutsch-patriotischer Gesinnung erreiche. Dieser 15. Januar 188K war
ein Kauossagang des deutsch - nationalen Bewußtseins. Mit Recht wies Bis-
marck in seiner ersten Rede für die Militärvorlage darauf hin, daß dieser
Reichstag, der für die Interessen der Polen eintrat, scholl damals die Auflösung
verdient hatte.

Ehe wir die Schilderung dieser Jammergestalt von Reichstag zu Eude
führen, wollen wir noch einiges aus dem preußischen Abgeordnetenhause vor¬
führe", weil es dieselben Personen sind hier und dort, und dieselben
Szenen. Im Abgeordnetenhause zeigt sich die klerikal - polnisch - freisinnige
Partei in der Minderheit. Auch Herr Hänel war in seinem alten Wahlbezirk
Segeberg durchgefallen. Dafür mußte er sich räche". Sein Frattionsgeuvsse
Uhlendorff brachte darum den ganz nutzlosen Antrag auf geheime Abstimmung
bei den Landtagswahle" ein. Das sollte eine indirekte Kritik der nationalen
Majorität des Abgeordnetenhauses sein. Er ist ein großer Mann, dieser Herr
Hänel! Am 2IZ. Februar stand nun das Gesetz über die Kolonisation der Ost-
Provinzen zur Beratung. Natürlich widersetzte sich Herr Hamel demselben. Er
riet, man solle die Polen "zu assimiliren versuchen" und ihnen "die Überzeugung
beibringen," daß eine Trennung von nus ihnen nur nachteilig sei. Die "Ger¬
mania" lobte "des Professors weitreichenden Standpunkt," nud in der "Kieler
Zeitung," dieser uns "";">' politischen Denkens, erfuhr der unverbesserliche
Doktrinär mit seinem Geschwätz von "Überzeugung beibringen" stramme Be¬
wunderung. Bei der ganzen Debatte aber stellte er sich wieder als Knappe
des Zentrums auf. Ganz im Tone Windthorsts fragte er: "Wer garantirt
denn, daß der Fonds anstatt zur Gennnnisirung zur Prvtestantisirung verwendet
wird?" Herr Hänel thut, als wisse er nicht, daß in Polen Deutscher und
Protestant sich decken. Lieber, als dem verhaßten Kanzler Recht zu geben, macht
er sich zum politischen Jmbecillen und spricht: "Ich halte die Polen nicht etwa
für unschuldige Lümmer; ich erkläre, wir würden in der Verurteilung aller ihrer
landesverräterischen Bestrebungen einig sein; sie aber außer der Verfassung zu
stellen, dazu können wir uns nicht verstehen." Die freihändigen Ankäufe von
Güter" in Polen, die die Regierung beabsichtigte, nannte der große Jurist und
Staatsmann Hänel el" "anßer Verfassung stellen der Polen."

Wir könnten nun zum Reichstage zurückkehren und uns diese Mehrheit noch
ansehen auf ihre staatsmännischen und nationale" Anschauungen hin, die sie bei
der Branntweinmonopvldebatte entwickelten oder bei der über die Verlängerung


Grenzlwwn I. 18L7. ^

sind." Bei vielen der Freisinnigen, wie bei Herrn Hamel, verband sich hier
mit dem Bismarclhciß eine international angehauchte Humanitätsduselei. Aber
die Haltung der ultramontan-freisinnigen Partei war umso bedenklicher, als
sie sich hier mit der direkten Denunziation der eignen Regierung an das Alls¬
land verband. Es war für den Vaterlmidsfreuiid ein tief beschämender Anblick,
dieser Wcttlciuf zwischen den verschiednen Mehrheitsgruppeu, wer das tiefste
Niveau deutsch-patriotischer Gesinnung erreiche. Dieser 15. Januar 188K war
ein Kauossagang des deutsch - nationalen Bewußtseins. Mit Recht wies Bis-
marck in seiner ersten Rede für die Militärvorlage darauf hin, daß dieser
Reichstag, der für die Interessen der Polen eintrat, scholl damals die Auflösung
verdient hatte.

Ehe wir die Schilderung dieser Jammergestalt von Reichstag zu Eude
führen, wollen wir noch einiges aus dem preußischen Abgeordnetenhause vor¬
führe», weil es dieselben Personen sind hier und dort, und dieselben
Szenen. Im Abgeordnetenhause zeigt sich die klerikal - polnisch - freisinnige
Partei in der Minderheit. Auch Herr Hänel war in seinem alten Wahlbezirk
Segeberg durchgefallen. Dafür mußte er sich räche». Sein Frattionsgeuvsse
Uhlendorff brachte darum den ganz nutzlosen Antrag auf geheime Abstimmung
bei den Landtagswahle» ein. Das sollte eine indirekte Kritik der nationalen
Majorität des Abgeordnetenhauses sein. Er ist ein großer Mann, dieser Herr
Hänel! Am 2IZ. Februar stand nun das Gesetz über die Kolonisation der Ost-
Provinzen zur Beratung. Natürlich widersetzte sich Herr Hamel demselben. Er
riet, man solle die Polen „zu assimiliren versuchen" und ihnen „die Überzeugung
beibringen," daß eine Trennung von nus ihnen nur nachteilig sei. Die „Ger¬
mania" lobte „des Professors weitreichenden Standpunkt," nud in der „Kieler
Zeitung," dieser uns »«;»>' politischen Denkens, erfuhr der unverbesserliche
Doktrinär mit seinem Geschwätz von „Überzeugung beibringen" stramme Be¬
wunderung. Bei der ganzen Debatte aber stellte er sich wieder als Knappe
des Zentrums auf. Ganz im Tone Windthorsts fragte er: „Wer garantirt
denn, daß der Fonds anstatt zur Gennnnisirung zur Prvtestantisirung verwendet
wird?" Herr Hänel thut, als wisse er nicht, daß in Polen Deutscher und
Protestant sich decken. Lieber, als dem verhaßten Kanzler Recht zu geben, macht
er sich zum politischen Jmbecillen und spricht: „Ich halte die Polen nicht etwa
für unschuldige Lümmer; ich erkläre, wir würden in der Verurteilung aller ihrer
landesverräterischen Bestrebungen einig sein; sie aber außer der Verfassung zu
stellen, dazu können wir uns nicht verstehen." Die freihändigen Ankäufe von
Güter» in Polen, die die Regierung beabsichtigte, nannte der große Jurist und
Staatsmann Hänel el» „anßer Verfassung stellen der Polen."

Wir könnten nun zum Reichstage zurückkehren und uns diese Mehrheit noch
ansehen auf ihre staatsmännischen und nationale» Anschauungen hin, die sie bei
der Branntweinmonopvldebatte entwickelten oder bei der über die Verlängerung


Grenzlwwn I. 18L7. ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/209>, abgerufen am 23.12.2024.