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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Jammer von Reichstag.

elendester Fraktionspolitik gleich am Anfange dieser Reichstagssession, wie in den
letzten Tagen derselben die Worte Moltkes, daß er sich freue über die Aner¬
kennung der Notwendigkeit einer Verstärkung der deutschen Wehrkräfte vonseiten
aller größern Parteien, durch die Presse der Verbündeten Ultramontanen
und Freisinnigen dahin gedeutet wurden, daß Moltke selbst gegen die Notwen¬
digkeit des Scptennats gezeugt habe.

Nun kommt die erste Sitzung. In ihr stimmen die Freisinnigen mit dem
Zentrum und als dessen treue Gehilfen gegen den sofortigen Beginn der Etats¬
beratung, um einen Antrag auf Diäten zu beraten. Der Antrag wird ange¬
nommen von Zentrum, Freisinn, Protestiern, Polen, Welsen, Volkspartei und
Sozialisten. Nach Annahme dieses Antrags meldet das Blatt des Herrn Hänel:
"Das Zentrum stimmte mit der entschiednen Linken." Natürlich lag die Sache
umgekehrt: die entschiedne Linke (sonst heißt es meist: die wirklich Liberalen)
stimmte mit dem Zentrum. Aber davon abgesehen: was uns die Hauptsache
ist, ist das, daß hier alle Vaterlandsloscn zur entschiednen Linken gerechnet
werden. Mit dieser Gesellschaft zieht der deutsche Freisinn einher. Was den
Beschluß selbst anlangt, so sagte die Nativnalzcitnng darüber: "Herr Windthorst
wollte seine Macht gleich beim Beginn des Reichstags beweisen, eine oppo¬
sitionelle Mehrheit zu schaffen!" Der Freisinn mußte natürlich dem wölfischen
Intriganten helfen. Ging es doch gegen Bismarck!

Nun kommt die Debatte über den Etat. Während zum großen Leidwesen
des tapfern Herrn Bcunberger keine der großen Kolonialmächte sich dem Neuling
Deutschland gegenüber zu deu vom Freisinn erwarteten Nasenstübern aufgelegt
gefühlt hatte, wollte der Fortschritt diese Rolle übernehmen und versagte darum
im Blinde mit dem Zentrum die zur Fortführung einer erfolgreichen deutschen
Kolonialpolitik nötigen Mittel. Um 8000 Mark zu sparen, drückte man an
dem wichtigsten Punkte Südafrikas, in Kapstadt, den Generalkonsul zum Konsul
herab und wollte deu Vertreter des deutschen Reiches wie einen jünger" Hand¬
lungsgehilfen eines großen Hauses honorirt sehen. Aus demselben Sparsam¬
keitssinn wurden noch ähnliche Hcrabdrücknngeu für Korea und Scunva vorge¬
nommen. Was hieß das anders und was wollte man auch anders, als dein
Auswärtigen Amte die erforderlichen Arbeitskräfte und der deutschen Vertretung
an den für die Zukunft wichtigsten Plätzen die Bedingungen zu ihrer äußern
Position versagen? Ein Feilschen, zu dem selbst französische Blätter, wie die
UuMvIicirw t'riuieÄisö, ihre spottenden Bemerkungen machten über unsre "kluge
und patriotische Landesvertretung."

Nur nebenbei mag bemerkt werden, daß die Freisinnigen auch bei dem
wiederholten Antrage des Zentrums auf Aufhebung des Expatriirnngsgcsetzes
gegen renitente Geistliche dem Herr" Windthorst die Pflicht gehorsamer Ge¬
folgschaft zu leisten hatten und dies bereitwillig thaten. Es paßt ja so schön,
von dem Bundesrate zu verlangen, daß er den Willen einer zusammengewürfelten


Der Jammer von Reichstag.

elendester Fraktionspolitik gleich am Anfange dieser Reichstagssession, wie in den
letzten Tagen derselben die Worte Moltkes, daß er sich freue über die Aner¬
kennung der Notwendigkeit einer Verstärkung der deutschen Wehrkräfte vonseiten
aller größern Parteien, durch die Presse der Verbündeten Ultramontanen
und Freisinnigen dahin gedeutet wurden, daß Moltke selbst gegen die Notwen¬
digkeit des Scptennats gezeugt habe.

Nun kommt die erste Sitzung. In ihr stimmen die Freisinnigen mit dem
Zentrum und als dessen treue Gehilfen gegen den sofortigen Beginn der Etats¬
beratung, um einen Antrag auf Diäten zu beraten. Der Antrag wird ange¬
nommen von Zentrum, Freisinn, Protestiern, Polen, Welsen, Volkspartei und
Sozialisten. Nach Annahme dieses Antrags meldet das Blatt des Herrn Hänel:
„Das Zentrum stimmte mit der entschiednen Linken." Natürlich lag die Sache
umgekehrt: die entschiedne Linke (sonst heißt es meist: die wirklich Liberalen)
stimmte mit dem Zentrum. Aber davon abgesehen: was uns die Hauptsache
ist, ist das, daß hier alle Vaterlandsloscn zur entschiednen Linken gerechnet
werden. Mit dieser Gesellschaft zieht der deutsche Freisinn einher. Was den
Beschluß selbst anlangt, so sagte die Nativnalzcitnng darüber: „Herr Windthorst
wollte seine Macht gleich beim Beginn des Reichstags beweisen, eine oppo¬
sitionelle Mehrheit zu schaffen!" Der Freisinn mußte natürlich dem wölfischen
Intriganten helfen. Ging es doch gegen Bismarck!

Nun kommt die Debatte über den Etat. Während zum großen Leidwesen
des tapfern Herrn Bcunberger keine der großen Kolonialmächte sich dem Neuling
Deutschland gegenüber zu deu vom Freisinn erwarteten Nasenstübern aufgelegt
gefühlt hatte, wollte der Fortschritt diese Rolle übernehmen und versagte darum
im Blinde mit dem Zentrum die zur Fortführung einer erfolgreichen deutschen
Kolonialpolitik nötigen Mittel. Um 8000 Mark zu sparen, drückte man an
dem wichtigsten Punkte Südafrikas, in Kapstadt, den Generalkonsul zum Konsul
herab und wollte deu Vertreter des deutschen Reiches wie einen jünger» Hand¬
lungsgehilfen eines großen Hauses honorirt sehen. Aus demselben Sparsam¬
keitssinn wurden noch ähnliche Hcrabdrücknngeu für Korea und Scunva vorge¬
nommen. Was hieß das anders und was wollte man auch anders, als dein
Auswärtigen Amte die erforderlichen Arbeitskräfte und der deutschen Vertretung
an den für die Zukunft wichtigsten Plätzen die Bedingungen zu ihrer äußern
Position versagen? Ein Feilschen, zu dem selbst französische Blätter, wie die
UuMvIicirw t'riuieÄisö, ihre spottenden Bemerkungen machten über unsre „kluge
und patriotische Landesvertretung."

Nur nebenbei mag bemerkt werden, daß die Freisinnigen auch bei dem
wiederholten Antrage des Zentrums auf Aufhebung des Expatriirnngsgcsetzes
gegen renitente Geistliche dem Herr» Windthorst die Pflicht gehorsamer Ge¬
folgschaft zu leisten hatten und dies bereitwillig thaten. Es paßt ja so schön,
von dem Bundesrate zu verlangen, daß er den Willen einer zusammengewürfelten


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[0202] Der Jammer von Reichstag. elendester Fraktionspolitik gleich am Anfange dieser Reichstagssession, wie in den letzten Tagen derselben die Worte Moltkes, daß er sich freue über die Aner¬ kennung der Notwendigkeit einer Verstärkung der deutschen Wehrkräfte vonseiten aller größern Parteien, durch die Presse der Verbündeten Ultramontanen und Freisinnigen dahin gedeutet wurden, daß Moltke selbst gegen die Notwen¬ digkeit des Scptennats gezeugt habe. Nun kommt die erste Sitzung. In ihr stimmen die Freisinnigen mit dem Zentrum und als dessen treue Gehilfen gegen den sofortigen Beginn der Etats¬ beratung, um einen Antrag auf Diäten zu beraten. Der Antrag wird ange¬ nommen von Zentrum, Freisinn, Protestiern, Polen, Welsen, Volkspartei und Sozialisten. Nach Annahme dieses Antrags meldet das Blatt des Herrn Hänel: „Das Zentrum stimmte mit der entschiednen Linken." Natürlich lag die Sache umgekehrt: die entschiedne Linke (sonst heißt es meist: die wirklich Liberalen) stimmte mit dem Zentrum. Aber davon abgesehen: was uns die Hauptsache ist, ist das, daß hier alle Vaterlandsloscn zur entschiednen Linken gerechnet werden. Mit dieser Gesellschaft zieht der deutsche Freisinn einher. Was den Beschluß selbst anlangt, so sagte die Nativnalzcitnng darüber: „Herr Windthorst wollte seine Macht gleich beim Beginn des Reichstags beweisen, eine oppo¬ sitionelle Mehrheit zu schaffen!" Der Freisinn mußte natürlich dem wölfischen Intriganten helfen. Ging es doch gegen Bismarck! Nun kommt die Debatte über den Etat. Während zum großen Leidwesen des tapfern Herrn Bcunberger keine der großen Kolonialmächte sich dem Neuling Deutschland gegenüber zu deu vom Freisinn erwarteten Nasenstübern aufgelegt gefühlt hatte, wollte der Fortschritt diese Rolle übernehmen und versagte darum im Blinde mit dem Zentrum die zur Fortführung einer erfolgreichen deutschen Kolonialpolitik nötigen Mittel. Um 8000 Mark zu sparen, drückte man an dem wichtigsten Punkte Südafrikas, in Kapstadt, den Generalkonsul zum Konsul herab und wollte deu Vertreter des deutschen Reiches wie einen jünger» Hand¬ lungsgehilfen eines großen Hauses honorirt sehen. Aus demselben Sparsam¬ keitssinn wurden noch ähnliche Hcrabdrücknngeu für Korea und Scunva vorge¬ nommen. Was hieß das anders und was wollte man auch anders, als dein Auswärtigen Amte die erforderlichen Arbeitskräfte und der deutschen Vertretung an den für die Zukunft wichtigsten Plätzen die Bedingungen zu ihrer äußern Position versagen? Ein Feilschen, zu dem selbst französische Blätter, wie die UuMvIicirw t'riuieÄisö, ihre spottenden Bemerkungen machten über unsre „kluge und patriotische Landesvertretung." Nur nebenbei mag bemerkt werden, daß die Freisinnigen auch bei dem wiederholten Antrage des Zentrums auf Aufhebung des Expatriirnngsgcsetzes gegen renitente Geistliche dem Herr» Windthorst die Pflicht gehorsamer Ge¬ folgschaft zu leisten hatten und dies bereitwillig thaten. Es paßt ja so schön, von dem Bundesrate zu verlangen, daß er den Willen einer zusammengewürfelten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/202>, abgerufen am 25.08.2024.