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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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der deutschen Siege, und das genügte ihm, sich für einen großen Propheten an¬
zusehen. Auf ihn beruft sich denn auch sehr passend der kleine Prophet Virchow!

Propheten von solchem Kaliber müssen sich allerdings durch das Wort
Bismarcks von der Verantwortlichkeit der Abgeordneten höchst unangenehm be¬
rührt fühlen. Es ist von einer empörenden Logik: wollt ihr verantwortliche
Minister, so übernehme mich die Verantwortlichkeit für eure Reden und Thaten.
Ans dieses Wort müssen sie festgenagelt werden, die Herren, welche verlangen,
reden und beschließen zu dürfen, was sie wollen, verlangen, daß nach ihren
Beschlüssen regiert werde, aber für den Schaden, den sie etwa anrichten, nicht
aufkommen wollen. Natürlich werden sie sich darauf ausreden, daß in den
Lehrbüchern des Verfassungsrechtes ein solcher Paragraph nicht vorkomme. Und
davon, daß auch mit dem heutigen Geschlecht ein Recht geboren, wiewohl noch
nicht kodifizirt ist, davon haben sie keine Ahnung. Mit den traurigsten Späßen
will Herr Richter sein Publikum darüber täuschen, daß auch das Wort
"Kaiserheer oder Parlamentshecr" ein Schuß ins Schwarze ist. Wie anders
würde er sprechen, wenn er nicht wüßte, daß die "Entrüstungskomödie" für ihn
und die Seinen einen sehr ernsthaften Ausgang nehmen könnte. Jetzt ist es
ihm niemals in den Sinn gekommen, die Wehrkraft des Reiches schmälern zu
wollen. Aber in demselben Atem entschlüpfen ihm immer wieder die alten
"parlamentarischen" Redensarten. Wird ihm auch nur ein Mensch glauben,
daß er sich die "Zukunft," die ihm gehören soll, anders ausmale als in Gestalt
einer Nedcversammlung, welche Regierungen ein- und absetzt, die auSivärtige wie
die innere Politik bestimmt, und das alles mit der Weisheit, welche der liebe
Gott bekanntlich der größten Mnndfertigleit zu verleihen liebt? Ein Parla¬
mentshecr? bei Leibe nicht! Aber ein Parlament, welches von Berlin aus,
wie dereinst der Hofkriegsrat in Wien oder das Direktorium in Paris, das
Heerwesen leitet und den Feldherren die Schlachtplätte vorschreibt. Nur schade,
daß überall, wo die Politiker etwas aus der Geschichte und aus eigner Er¬
fahrung gelernt haben, von den Hofkricgsrätcn nicht viel gehalten wird, und
man auch von der Führung der auswärtigen Politik durch öffentlich diskntircnde
Versammlungen, die von zufälligen Mehrheiten gewählt sind, wenig wissen mag.
Die Engländer selbst werden stutzig angesichts der Haltlosigkeit, welche durch das
Stürzen der Regierungen bei läppischen Anlässe" in ihre Politik gebracht
worden ist. Sie erinnern sich auch, daß die Wahlen von 1710 die Erlösung
Europas von der Übermacht Frankreichs verhinderten, und andrer Ereignisse
mehr. Davon wissen die Herren Fortschrittler oder Freisinnigen schwerlich
etwas, und salls sie Gottfried Kellers Romane lesen, so werden sie den präch¬
tigen (neuen) Schluß des "Grünen Heinrich" und den ganzen "Martin Sa-
lnndcr" wohl nicht verstehen -- wollen, oder sie müßten den Dichter, welcher
republikanische Zustünde so wahrheitsgetreu zu schildern wagt, in den Bann
thun. Vielleicht ist das schon geschehen!


der deutschen Siege, und das genügte ihm, sich für einen großen Propheten an¬
zusehen. Auf ihn beruft sich denn auch sehr passend der kleine Prophet Virchow!

Propheten von solchem Kaliber müssen sich allerdings durch das Wort
Bismarcks von der Verantwortlichkeit der Abgeordneten höchst unangenehm be¬
rührt fühlen. Es ist von einer empörenden Logik: wollt ihr verantwortliche
Minister, so übernehme mich die Verantwortlichkeit für eure Reden und Thaten.
Ans dieses Wort müssen sie festgenagelt werden, die Herren, welche verlangen,
reden und beschließen zu dürfen, was sie wollen, verlangen, daß nach ihren
Beschlüssen regiert werde, aber für den Schaden, den sie etwa anrichten, nicht
aufkommen wollen. Natürlich werden sie sich darauf ausreden, daß in den
Lehrbüchern des Verfassungsrechtes ein solcher Paragraph nicht vorkomme. Und
davon, daß auch mit dem heutigen Geschlecht ein Recht geboren, wiewohl noch
nicht kodifizirt ist, davon haben sie keine Ahnung. Mit den traurigsten Späßen
will Herr Richter sein Publikum darüber täuschen, daß auch das Wort
„Kaiserheer oder Parlamentshecr" ein Schuß ins Schwarze ist. Wie anders
würde er sprechen, wenn er nicht wüßte, daß die „Entrüstungskomödie" für ihn
und die Seinen einen sehr ernsthaften Ausgang nehmen könnte. Jetzt ist es
ihm niemals in den Sinn gekommen, die Wehrkraft des Reiches schmälern zu
wollen. Aber in demselben Atem entschlüpfen ihm immer wieder die alten
„parlamentarischen" Redensarten. Wird ihm auch nur ein Mensch glauben,
daß er sich die „Zukunft," die ihm gehören soll, anders ausmale als in Gestalt
einer Nedcversammlung, welche Regierungen ein- und absetzt, die auSivärtige wie
die innere Politik bestimmt, und das alles mit der Weisheit, welche der liebe
Gott bekanntlich der größten Mnndfertigleit zu verleihen liebt? Ein Parla¬
mentshecr? bei Leibe nicht! Aber ein Parlament, welches von Berlin aus,
wie dereinst der Hofkriegsrat in Wien oder das Direktorium in Paris, das
Heerwesen leitet und den Feldherren die Schlachtplätte vorschreibt. Nur schade,
daß überall, wo die Politiker etwas aus der Geschichte und aus eigner Er¬
fahrung gelernt haben, von den Hofkricgsrätcn nicht viel gehalten wird, und
man auch von der Führung der auswärtigen Politik durch öffentlich diskntircnde
Versammlungen, die von zufälligen Mehrheiten gewählt sind, wenig wissen mag.
Die Engländer selbst werden stutzig angesichts der Haltlosigkeit, welche durch das
Stürzen der Regierungen bei läppischen Anlässe» in ihre Politik gebracht
worden ist. Sie erinnern sich auch, daß die Wahlen von 1710 die Erlösung
Europas von der Übermacht Frankreichs verhinderten, und andrer Ereignisse
mehr. Davon wissen die Herren Fortschrittler oder Freisinnigen schwerlich
etwas, und salls sie Gottfried Kellers Romane lesen, so werden sie den präch¬
tigen (neuen) Schluß des „Grünen Heinrich" und den ganzen „Martin Sa-
lnndcr" wohl nicht verstehen — wollen, oder sie müßten den Dichter, welcher
republikanische Zustünde so wahrheitsgetreu zu schildern wagt, in den Bann
thun. Vielleicht ist das schon geschehen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/186>, abgerufen am 23.12.2024.