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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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legenden gegenüber den rasch entstandenen Forderungen der modernen Kultur.
Endlich berührt er auch die persönlichen Verhältnisse der Geistlichen. Manche
von letzteren sind aus kleinen Verhältnissen hergekommen, andre sind nicht hervor¬
ragend bcanlngt, viele unter dem Banne einer gewissen Tradition etwas steif
und wenig gewandt. Die Kandidatenjahrc wurden in beschränkten Kreisen, ohne
besondre geistige Anregung zugebracht, und das geistliche Amt zeitig und ohne
jegliche Lebenserfahrung angetreten. Dies Amt isolirt aber ganz außerordentlich.
Der Pfarrer soll geistige Anregung geben, leidet aber selbst durch den Mangel
einer solchen. In den Städten ist auf einzelne Geistliche eine schier unmensch¬
liche Arbeitslast gehäuft, welche die innere Ausbildung lahmt. Und nun be¬
denke man den gewaltigen Umschwung unsrer Zeit. Unsre Zeit lebt fieberhaft,
sie wartet nicht, bis man erwacht ist oder sich besinnt. Wir brauchen für unsre
Sache trotz alledem nicht zu fürchten; aber eine Frage drängt sich immer wieder
auf. Das theologische Studium hat den Zweck, vorzubereiten auf die gegen¬
wärtigen Aufgaben des Amtes -- erfüllt es heutzutage diesen Zweck? Der
Verfasser kann die Frage nicht bejahen; er findet vielmehr große Mängel.

Eine Hauptschwierigkeit im Berufe des theologischen Professors liegt darin,
daß er zugleich Fachgelehrter und Dozent sein soll. Er soll Bücher schreiben,
sein Fach, die übergroße Literatur beherrschen, soll aber auch durch seine Person
und das lebendige Wort dem Studenten den Wissensstoff übermitteln, oder viel¬
mehr er soll ihn mit der wissenschaftlichen Methode vertraut macheu. Vor¬
lesungen abzulesen, sich mit der Mitteilung des Materials zu begnügen ist
gänzlich unzulänglich. Es fehlt aber vielfach an der pädagogischen Begabung
und Bemühung des Dozenten. Er hat keine Ahnung von Unterrichtsmethode.
Merkwürdig: in der Elementarschule findet man die Methode am ausgebildetsten,
im Gymnasium nur wenig, auf der Universität fehlt sie gänzlich.

Der Professor sollte sich persönlich um seine Schüler bekümmern. Es ist
Thatsache, daß ziemlich alle Studenten dem akademischen Studium zunächst
ratlos gegenüberstehen. Dem soll eine Encyklopädie der Wissenschaft abhelfen;
aber von viel größer": Einflüsse ist der Umgangskreis, der Verein, die Ver¬
bindung des Studenten. Die Tradition, die dort herrscht, entscheidet über
Personen und Sachen. Oft genug erhalten die Worte und Ausführungen der
akademischen Lehrer erst Wert und Bedeutung durch den lebendigen Gedanken¬
austausch unter Studiengenossen. Dies kann zum Nutzen, aber mich ebenso¬
sehr zum Schaden ausschlagen. Der Professor hat offenbar die Pflicht, diesen
Einfluß zu ordnen und durch persönliches Eingreifen zu ersetzen und zu er¬
gänzen.

Väter und Freunde des Studenten thun Unrecht, ihn mit seinem Studium
in feste Schranken zu stellen und von der wissenschaftlichen Kritik abzuschließen.
Der junge Theologe muß, soll er anders ein guter Pfarrer werden, auch ins
Wasser hinabsteigen, wenn er im Strome des modernen Lebens, wo es nötig


Grenzboten I. 1887. 2

legenden gegenüber den rasch entstandenen Forderungen der modernen Kultur.
Endlich berührt er auch die persönlichen Verhältnisse der Geistlichen. Manche
von letzteren sind aus kleinen Verhältnissen hergekommen, andre sind nicht hervor¬
ragend bcanlngt, viele unter dem Banne einer gewissen Tradition etwas steif
und wenig gewandt. Die Kandidatenjahrc wurden in beschränkten Kreisen, ohne
besondre geistige Anregung zugebracht, und das geistliche Amt zeitig und ohne
jegliche Lebenserfahrung angetreten. Dies Amt isolirt aber ganz außerordentlich.
Der Pfarrer soll geistige Anregung geben, leidet aber selbst durch den Mangel
einer solchen. In den Städten ist auf einzelne Geistliche eine schier unmensch¬
liche Arbeitslast gehäuft, welche die innere Ausbildung lahmt. Und nun be¬
denke man den gewaltigen Umschwung unsrer Zeit. Unsre Zeit lebt fieberhaft,
sie wartet nicht, bis man erwacht ist oder sich besinnt. Wir brauchen für unsre
Sache trotz alledem nicht zu fürchten; aber eine Frage drängt sich immer wieder
auf. Das theologische Studium hat den Zweck, vorzubereiten auf die gegen¬
wärtigen Aufgaben des Amtes — erfüllt es heutzutage diesen Zweck? Der
Verfasser kann die Frage nicht bejahen; er findet vielmehr große Mängel.

Eine Hauptschwierigkeit im Berufe des theologischen Professors liegt darin,
daß er zugleich Fachgelehrter und Dozent sein soll. Er soll Bücher schreiben,
sein Fach, die übergroße Literatur beherrschen, soll aber auch durch seine Person
und das lebendige Wort dem Studenten den Wissensstoff übermitteln, oder viel¬
mehr er soll ihn mit der wissenschaftlichen Methode vertraut macheu. Vor¬
lesungen abzulesen, sich mit der Mitteilung des Materials zu begnügen ist
gänzlich unzulänglich. Es fehlt aber vielfach an der pädagogischen Begabung
und Bemühung des Dozenten. Er hat keine Ahnung von Unterrichtsmethode.
Merkwürdig: in der Elementarschule findet man die Methode am ausgebildetsten,
im Gymnasium nur wenig, auf der Universität fehlt sie gänzlich.

Der Professor sollte sich persönlich um seine Schüler bekümmern. Es ist
Thatsache, daß ziemlich alle Studenten dem akademischen Studium zunächst
ratlos gegenüberstehen. Dem soll eine Encyklopädie der Wissenschaft abhelfen;
aber von viel größer»: Einflüsse ist der Umgangskreis, der Verein, die Ver¬
bindung des Studenten. Die Tradition, die dort herrscht, entscheidet über
Personen und Sachen. Oft genug erhalten die Worte und Ausführungen der
akademischen Lehrer erst Wert und Bedeutung durch den lebendigen Gedanken¬
austausch unter Studiengenossen. Dies kann zum Nutzen, aber mich ebenso¬
sehr zum Schaden ausschlagen. Der Professor hat offenbar die Pflicht, diesen
Einfluß zu ordnen und durch persönliches Eingreifen zu ersetzen und zu er¬
gänzen.

Väter und Freunde des Studenten thun Unrecht, ihn mit seinem Studium
in feste Schranken zu stellen und von der wissenschaftlichen Kritik abzuschließen.
Der junge Theologe muß, soll er anders ein guter Pfarrer werden, auch ins
Wasser hinabsteigen, wenn er im Strome des modernen Lebens, wo es nötig


Grenzboten I. 1887. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/17>, abgerufen am 23.12.2024.