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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Lriefe.

Wanderer und Fremde, gleichviel, woher sie stammten, falls sie in der Gemeinde
zu wohnen verlangten, aller Rechte derselben teilhaftig werden sollten.

- So wurden die Dcutschböhmen schon vor mehr als siebenhundert Jahren
von der Landesregierung ausdrücklich als Landesangehörige betrachtet, die man
vor den übrigen auszeichnete und deshalb mit besondern Rechten und Freiheiten
ausstattete. Die Kolonie am Porschitsch blühte unter dem Schutze des Frei-
heitsbricfcs und fortdauernder Begünstigung der Fürsten aus dem Geschlechte
der Prcmyslideu rasch ans. Sehr wahrscheinlich kamen ihr auch die Verfolgungen
zu Gute, welche zu Eude des elften und zu Anfang des zwölften Jahrhunderts
die Prager Juden trafen. Schon 1090 hatte die Fürstin Hilburgis ihrem
Schwager, dem Herzog Wradislaw, gesagt: "Nirgend kannst du dich besser be¬
reichern und verherrlichen als im Burgfleckeu von Prag oder in der Gasse vom
Whschehrad. Dort giebt es Juden voll Gold und Silber, wohlhabende Kauf¬
leute, reiche Münzer, einen Markt mit unermeßlicher Beute für deine Kriegs¬
leute." 1096 kam eine Schaar Kreuzfahrer uach Prag, forderte die dortigen
Juden ans, sich taufen zu lassen, und erschlug die, welche sich dessen weigerten.
Als die übrigen nach dein Abzuge der Unholde zum Glauben ihrer Väter
zurückkehrten, erhob sich das Prager Volk gegen sie und nötigte die, welche
nicht wieder Christen werden wollten, zur Flucht nach Pole" und Ungarn.
Der Herzog Bretislaw aber befahl seinem Kämmerer, allen Juden ohne Unter¬
schied ihr Hab und Gut wegzunehmen, und dieser that, wie ihm geheißen, nach¬
dem er den Ältesten der Gemeinde erklärt hatte: "Leer seid ihr ins Land ge¬
kommen, und leer sollt ihr es verlassen." Die Getauften blieben und wurden
nach ihrer Art bald wieder reich. 1124 kaufte" sie einen von ihren Leuten,
welcher den 1096 in ihre Shnagoge gesetzten christlichen Altar zerstört und
dessen Reliquien in eine Kloake geworfen hatte, mit dreitausend Pfund Silber
und hundert Pfund Gold von der Todesstrafe los. Die Verarmung der Juden
und die Auswanderung eines großen Teils derselben beseitigte gefährliche Kon¬
kurrenten der Deutschen am Porschitsch, und ihre Privilegien führten ihnen
Zuzug aus Deutschland zu, ja selbst slawische Bewohner des Landes bemühten
sich um Aufnahme in ihre Gemeinde, um dort aus Leibeignen des Adels freie
Leute zu werden, der Bedrückung durch die Gauvögte zu entgehen und nnter
gerechten Gesetzen zu leben. Sie gingen wohl meist in der Nationalität der
Gemeinde auf, die so auf doppelte Weise wuchs. Schon unter Boriwoj II.
(um IlOI) bildete diese Nationalität die Mehrheit im Burgfleckeu. Während
unter König Wradislaw noch von einer Gasse der Deutschen die Rede ist,
werden unter dessen Enkel Sobieslaw bereits mehrere Gassen erwähut, und
allmählich überschritt die Kolonie die engen Grenzen ihres anfänglichen Bezirks
nach verschiednen Richtungen hin.

Wenn ich über die Entwicklung dieser deutschen Gemeinde Böhmens so
ausführlich berichte, so geschieht es, weil dieselbe von hoher Bedeutung nicht


Deutsch-böhmische Lriefe.

Wanderer und Fremde, gleichviel, woher sie stammten, falls sie in der Gemeinde
zu wohnen verlangten, aller Rechte derselben teilhaftig werden sollten.

- So wurden die Dcutschböhmen schon vor mehr als siebenhundert Jahren
von der Landesregierung ausdrücklich als Landesangehörige betrachtet, die man
vor den übrigen auszeichnete und deshalb mit besondern Rechten und Freiheiten
ausstattete. Die Kolonie am Porschitsch blühte unter dem Schutze des Frei-
heitsbricfcs und fortdauernder Begünstigung der Fürsten aus dem Geschlechte
der Prcmyslideu rasch ans. Sehr wahrscheinlich kamen ihr auch die Verfolgungen
zu Gute, welche zu Eude des elften und zu Anfang des zwölften Jahrhunderts
die Prager Juden trafen. Schon 1090 hatte die Fürstin Hilburgis ihrem
Schwager, dem Herzog Wradislaw, gesagt: „Nirgend kannst du dich besser be¬
reichern und verherrlichen als im Burgfleckeu von Prag oder in der Gasse vom
Whschehrad. Dort giebt es Juden voll Gold und Silber, wohlhabende Kauf¬
leute, reiche Münzer, einen Markt mit unermeßlicher Beute für deine Kriegs¬
leute." 1096 kam eine Schaar Kreuzfahrer uach Prag, forderte die dortigen
Juden ans, sich taufen zu lassen, und erschlug die, welche sich dessen weigerten.
Als die übrigen nach dein Abzuge der Unholde zum Glauben ihrer Väter
zurückkehrten, erhob sich das Prager Volk gegen sie und nötigte die, welche
nicht wieder Christen werden wollten, zur Flucht nach Pole» und Ungarn.
Der Herzog Bretislaw aber befahl seinem Kämmerer, allen Juden ohne Unter¬
schied ihr Hab und Gut wegzunehmen, und dieser that, wie ihm geheißen, nach¬
dem er den Ältesten der Gemeinde erklärt hatte: „Leer seid ihr ins Land ge¬
kommen, und leer sollt ihr es verlassen." Die Getauften blieben und wurden
nach ihrer Art bald wieder reich. 1124 kaufte» sie einen von ihren Leuten,
welcher den 1096 in ihre Shnagoge gesetzten christlichen Altar zerstört und
dessen Reliquien in eine Kloake geworfen hatte, mit dreitausend Pfund Silber
und hundert Pfund Gold von der Todesstrafe los. Die Verarmung der Juden
und die Auswanderung eines großen Teils derselben beseitigte gefährliche Kon¬
kurrenten der Deutschen am Porschitsch, und ihre Privilegien führten ihnen
Zuzug aus Deutschland zu, ja selbst slawische Bewohner des Landes bemühten
sich um Aufnahme in ihre Gemeinde, um dort aus Leibeignen des Adels freie
Leute zu werden, der Bedrückung durch die Gauvögte zu entgehen und nnter
gerechten Gesetzen zu leben. Sie gingen wohl meist in der Nationalität der
Gemeinde auf, die so auf doppelte Weise wuchs. Schon unter Boriwoj II.
(um IlOI) bildete diese Nationalität die Mehrheit im Burgfleckeu. Während
unter König Wradislaw noch von einer Gasse der Deutschen die Rede ist,
werden unter dessen Enkel Sobieslaw bereits mehrere Gassen erwähut, und
allmählich überschritt die Kolonie die engen Grenzen ihres anfänglichen Bezirks
nach verschiednen Richtungen hin.

Wenn ich über die Entwicklung dieser deutschen Gemeinde Böhmens so
ausführlich berichte, so geschieht es, weil dieselbe von hoher Bedeutung nicht


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[0159] Deutsch-böhmische Lriefe. Wanderer und Fremde, gleichviel, woher sie stammten, falls sie in der Gemeinde zu wohnen verlangten, aller Rechte derselben teilhaftig werden sollten. - So wurden die Dcutschböhmen schon vor mehr als siebenhundert Jahren von der Landesregierung ausdrücklich als Landesangehörige betrachtet, die man vor den übrigen auszeichnete und deshalb mit besondern Rechten und Freiheiten ausstattete. Die Kolonie am Porschitsch blühte unter dem Schutze des Frei- heitsbricfcs und fortdauernder Begünstigung der Fürsten aus dem Geschlechte der Prcmyslideu rasch ans. Sehr wahrscheinlich kamen ihr auch die Verfolgungen zu Gute, welche zu Eude des elften und zu Anfang des zwölften Jahrhunderts die Prager Juden trafen. Schon 1090 hatte die Fürstin Hilburgis ihrem Schwager, dem Herzog Wradislaw, gesagt: „Nirgend kannst du dich besser be¬ reichern und verherrlichen als im Burgfleckeu von Prag oder in der Gasse vom Whschehrad. Dort giebt es Juden voll Gold und Silber, wohlhabende Kauf¬ leute, reiche Münzer, einen Markt mit unermeßlicher Beute für deine Kriegs¬ leute." 1096 kam eine Schaar Kreuzfahrer uach Prag, forderte die dortigen Juden ans, sich taufen zu lassen, und erschlug die, welche sich dessen weigerten. Als die übrigen nach dein Abzuge der Unholde zum Glauben ihrer Väter zurückkehrten, erhob sich das Prager Volk gegen sie und nötigte die, welche nicht wieder Christen werden wollten, zur Flucht nach Pole» und Ungarn. Der Herzog Bretislaw aber befahl seinem Kämmerer, allen Juden ohne Unter¬ schied ihr Hab und Gut wegzunehmen, und dieser that, wie ihm geheißen, nach¬ dem er den Ältesten der Gemeinde erklärt hatte: „Leer seid ihr ins Land ge¬ kommen, und leer sollt ihr es verlassen." Die Getauften blieben und wurden nach ihrer Art bald wieder reich. 1124 kaufte» sie einen von ihren Leuten, welcher den 1096 in ihre Shnagoge gesetzten christlichen Altar zerstört und dessen Reliquien in eine Kloake geworfen hatte, mit dreitausend Pfund Silber und hundert Pfund Gold von der Todesstrafe los. Die Verarmung der Juden und die Auswanderung eines großen Teils derselben beseitigte gefährliche Kon¬ kurrenten der Deutschen am Porschitsch, und ihre Privilegien führten ihnen Zuzug aus Deutschland zu, ja selbst slawische Bewohner des Landes bemühten sich um Aufnahme in ihre Gemeinde, um dort aus Leibeignen des Adels freie Leute zu werden, der Bedrückung durch die Gauvögte zu entgehen und nnter gerechten Gesetzen zu leben. Sie gingen wohl meist in der Nationalität der Gemeinde auf, die so auf doppelte Weise wuchs. Schon unter Boriwoj II. (um IlOI) bildete diese Nationalität die Mehrheit im Burgfleckeu. Während unter König Wradislaw noch von einer Gasse der Deutschen die Rede ist, werden unter dessen Enkel Sobieslaw bereits mehrere Gassen erwähut, und allmählich überschritt die Kolonie die engen Grenzen ihres anfänglichen Bezirks nach verschiednen Richtungen hin. Wenn ich über die Entwicklung dieser deutschen Gemeinde Böhmens so ausführlich berichte, so geschieht es, weil dieselbe von hoher Bedeutung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/159>, abgerufen am 23.12.2024.