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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalena von Witscht,

mit der heiligen Madlene von Witscht kongeniale Weib hieß, wenn es der Leser
nicht längst erraten hat, Kaiserin Eugenie. Verschiedenheit herrschte nur in
der Art der Machtmittel, die uns der einen Seite überwiegend geistige, auf der
andern Seite schon mehr geistliche und noch mehr weltliche waren. Daher die
praktische Behandlung hier, die ganz unpraktische, idealische dort. Ob die beiden
zu einander in diplomatische Beziehung getreten sind zu dem Zwecke, ihren ge¬
meinsamen Plan durch genieinsames Handeln ins Werk zu setzen, läßt sich nicht
feststellen. Wenn sie es versäumten, haben sie sich gegenseitig Unrecht gethan,
sie hätten sich gewiß verständigt. streitig war nur die Nationalitätenfrage.
Nach dem Plane Engeniens konnte nur Napoleon III. oder Loulou Weltherrscher
werden; in der Idee der heiligen Madlene aber mußte der weltliche Herrscher
des "tausendjährigen Reiches" gleich Karl dem Großen ein Germane sein, und
zwar der bekannte blonde Prinz. Dieser Differenzpunkt konnte Schwierigkeiten
machen. Aber da die Deutschen in ihren idealen Weltbeglücknngsthevrien stets
sehr wenig Wert auf ihre eigne Nationalität gelegt und deshalb nie hartnäckig
auf dieselbe versessen waren, die Frommen mit ihrem Vaterland im Himmel
naturgemäß noch mehr als die andern, so wäre eine Einigung der heiligen Madlene
mit der heiligen, will heißen der Kaiserin Eugenie gewiß nicht allzu schwer
geworden. Daß beide Teile eine solche nicht versucht haben, war vielleicht der
Hauptgrund dafür, daß ihr großer Plan beiderseitig und gleichzeitig gescheitert
ist. Die Geschichte der Kaiserin Eugenie ist bekannt, die heilige Madlene war
nicht weniger unglücklich. Der Verlauf des großen deutsch-französischen Krieges
schlug ihr bedenklich in die Glieder, und als dann das Jahr des Heils 1871
kam und die Welt das alte "tausendjährige Reich" wirklich neu erstehen sah,
ohne daß die heilige Madlene von Witscht eine Jeanne-d'Arc-, der heilige Josef eine
Erzengel-Michaels-Rolle dabei zu spielen bekamen, da -- starb die heilige Madlene.
Es muß dahingestellt bleiben, ob dieser Nachsatz in bloß temporaler oder auch
in kausaler Beziehung zu seinem Vordersatze steht. Ich glaube das letztere nicht
und mag es deshalb auch nicht behaupten, so pragmatisch schön es auch hier
klingen würde. Es ist mir wahrscheinlich, daß nichts, auch nicht die Ereignisse
des Jahres 1871, den Glauben der Heiligen zu erschüttern vermochten. Sie
wird in jenen Ereignissen eben einen wettern noch von Gott zugelassenen Sieg
des Antichrists gesehen haben. Die Neugründung des germanischen Kaiserreichs
durch einen Protestanten konnte sie nur so auffassen, als wenn damit der Teufel
den Herrn nochmals habe foppen dürfen, allerdings ein wenig stark, aber jeden¬
falls zum letztenmnle. Und gestorben ist die heilige Madlene wohl, weil sie
in ihrem eignen Fett erstickte. Begraben liegt sie unter dem Titel einer "hoch-
seligen Jungfrau" auf dem Kirchhofe zu Witscht, gegenüber dem Kirliberge und der
Burg Zion in einer mächtigen Gruft, der ersten und einzigen in Witscht, von drei
Särgen umschlossen gleich einem Monarchen, und unter einem hohen Mausoleum.

Gleichzeitig erlebte ihre Anhängerschaft eine schmerzliche Enttäuschung


Die heilige Magdalena von Witscht,

mit der heiligen Madlene von Witscht kongeniale Weib hieß, wenn es der Leser
nicht längst erraten hat, Kaiserin Eugenie. Verschiedenheit herrschte nur in
der Art der Machtmittel, die uns der einen Seite überwiegend geistige, auf der
andern Seite schon mehr geistliche und noch mehr weltliche waren. Daher die
praktische Behandlung hier, die ganz unpraktische, idealische dort. Ob die beiden
zu einander in diplomatische Beziehung getreten sind zu dem Zwecke, ihren ge¬
meinsamen Plan durch genieinsames Handeln ins Werk zu setzen, läßt sich nicht
feststellen. Wenn sie es versäumten, haben sie sich gegenseitig Unrecht gethan,
sie hätten sich gewiß verständigt. streitig war nur die Nationalitätenfrage.
Nach dem Plane Engeniens konnte nur Napoleon III. oder Loulou Weltherrscher
werden; in der Idee der heiligen Madlene aber mußte der weltliche Herrscher
des „tausendjährigen Reiches" gleich Karl dem Großen ein Germane sein, und
zwar der bekannte blonde Prinz. Dieser Differenzpunkt konnte Schwierigkeiten
machen. Aber da die Deutschen in ihren idealen Weltbeglücknngsthevrien stets
sehr wenig Wert auf ihre eigne Nationalität gelegt und deshalb nie hartnäckig
auf dieselbe versessen waren, die Frommen mit ihrem Vaterland im Himmel
naturgemäß noch mehr als die andern, so wäre eine Einigung der heiligen Madlene
mit der heiligen, will heißen der Kaiserin Eugenie gewiß nicht allzu schwer
geworden. Daß beide Teile eine solche nicht versucht haben, war vielleicht der
Hauptgrund dafür, daß ihr großer Plan beiderseitig und gleichzeitig gescheitert
ist. Die Geschichte der Kaiserin Eugenie ist bekannt, die heilige Madlene war
nicht weniger unglücklich. Der Verlauf des großen deutsch-französischen Krieges
schlug ihr bedenklich in die Glieder, und als dann das Jahr des Heils 1871
kam und die Welt das alte „tausendjährige Reich" wirklich neu erstehen sah,
ohne daß die heilige Madlene von Witscht eine Jeanne-d'Arc-, der heilige Josef eine
Erzengel-Michaels-Rolle dabei zu spielen bekamen, da — starb die heilige Madlene.
Es muß dahingestellt bleiben, ob dieser Nachsatz in bloß temporaler oder auch
in kausaler Beziehung zu seinem Vordersatze steht. Ich glaube das letztere nicht
und mag es deshalb auch nicht behaupten, so pragmatisch schön es auch hier
klingen würde. Es ist mir wahrscheinlich, daß nichts, auch nicht die Ereignisse
des Jahres 1871, den Glauben der Heiligen zu erschüttern vermochten. Sie
wird in jenen Ereignissen eben einen wettern noch von Gott zugelassenen Sieg
des Antichrists gesehen haben. Die Neugründung des germanischen Kaiserreichs
durch einen Protestanten konnte sie nur so auffassen, als wenn damit der Teufel
den Herrn nochmals habe foppen dürfen, allerdings ein wenig stark, aber jeden¬
falls zum letztenmnle. Und gestorben ist die heilige Madlene wohl, weil sie
in ihrem eignen Fett erstickte. Begraben liegt sie unter dem Titel einer „hoch-
seligen Jungfrau" auf dem Kirchhofe zu Witscht, gegenüber dem Kirliberge und der
Burg Zion in einer mächtigen Gruft, der ersten und einzigen in Witscht, von drei
Särgen umschlossen gleich einem Monarchen, und unter einem hohen Mausoleum.

Gleichzeitig erlebte ihre Anhängerschaft eine schmerzliche Enttäuschung


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[0148] Die heilige Magdalena von Witscht, mit der heiligen Madlene von Witscht kongeniale Weib hieß, wenn es der Leser nicht längst erraten hat, Kaiserin Eugenie. Verschiedenheit herrschte nur in der Art der Machtmittel, die uns der einen Seite überwiegend geistige, auf der andern Seite schon mehr geistliche und noch mehr weltliche waren. Daher die praktische Behandlung hier, die ganz unpraktische, idealische dort. Ob die beiden zu einander in diplomatische Beziehung getreten sind zu dem Zwecke, ihren ge¬ meinsamen Plan durch genieinsames Handeln ins Werk zu setzen, läßt sich nicht feststellen. Wenn sie es versäumten, haben sie sich gegenseitig Unrecht gethan, sie hätten sich gewiß verständigt. streitig war nur die Nationalitätenfrage. Nach dem Plane Engeniens konnte nur Napoleon III. oder Loulou Weltherrscher werden; in der Idee der heiligen Madlene aber mußte der weltliche Herrscher des „tausendjährigen Reiches" gleich Karl dem Großen ein Germane sein, und zwar der bekannte blonde Prinz. Dieser Differenzpunkt konnte Schwierigkeiten machen. Aber da die Deutschen in ihren idealen Weltbeglücknngsthevrien stets sehr wenig Wert auf ihre eigne Nationalität gelegt und deshalb nie hartnäckig auf dieselbe versessen waren, die Frommen mit ihrem Vaterland im Himmel naturgemäß noch mehr als die andern, so wäre eine Einigung der heiligen Madlene mit der heiligen, will heißen der Kaiserin Eugenie gewiß nicht allzu schwer geworden. Daß beide Teile eine solche nicht versucht haben, war vielleicht der Hauptgrund dafür, daß ihr großer Plan beiderseitig und gleichzeitig gescheitert ist. Die Geschichte der Kaiserin Eugenie ist bekannt, die heilige Madlene war nicht weniger unglücklich. Der Verlauf des großen deutsch-französischen Krieges schlug ihr bedenklich in die Glieder, und als dann das Jahr des Heils 1871 kam und die Welt das alte „tausendjährige Reich" wirklich neu erstehen sah, ohne daß die heilige Madlene von Witscht eine Jeanne-d'Arc-, der heilige Josef eine Erzengel-Michaels-Rolle dabei zu spielen bekamen, da — starb die heilige Madlene. Es muß dahingestellt bleiben, ob dieser Nachsatz in bloß temporaler oder auch in kausaler Beziehung zu seinem Vordersatze steht. Ich glaube das letztere nicht und mag es deshalb auch nicht behaupten, so pragmatisch schön es auch hier klingen würde. Es ist mir wahrscheinlich, daß nichts, auch nicht die Ereignisse des Jahres 1871, den Glauben der Heiligen zu erschüttern vermochten. Sie wird in jenen Ereignissen eben einen wettern noch von Gott zugelassenen Sieg des Antichrists gesehen haben. Die Neugründung des germanischen Kaiserreichs durch einen Protestanten konnte sie nur so auffassen, als wenn damit der Teufel den Herrn nochmals habe foppen dürfen, allerdings ein wenig stark, aber jeden¬ falls zum letztenmnle. Und gestorben ist die heilige Madlene wohl, weil sie in ihrem eignen Fett erstickte. Begraben liegt sie unter dem Titel einer „hoch- seligen Jungfrau" auf dem Kirchhofe zu Witscht, gegenüber dem Kirliberge und der Burg Zion in einer mächtigen Gruft, der ersten und einzigen in Witscht, von drei Särgen umschlossen gleich einem Monarchen, und unter einem hohen Mausoleum. Gleichzeitig erlebte ihre Anhängerschaft eine schmerzliche Enttäuschung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/148>, abgerufen am 01.10.2024.