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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden der Airche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

sistoriums oder durch Beschlüsse eines Gcmeindekirchenrates ersetzt werden kann,
zeigt die Erfahrung täglich. Daher fordert man episkopale Verfassung, Bischöfe
mit bischöflicher Gewalt, Superintendenten und Geistliche mit persönlicher oder
vielmehr amtlicher Autorität. Man erstrebt die Stärkung der Autorität nach
allen Seiten, derjenigen des Staates, der Obrigkeit, des Hausvaters, des
Meisters, des Herrn u. s. w. In der That, wenn dies Ziel erreicht würde, so
würde viel erreicht worden sein, denn der Widerwille gegen Unterordnung und
Einordnung des Einzelnen, der rücksichtslose Eigenwille des Individuums, das
ist der Grund vieler, ja man kann sagen aller Mißstände unsrer Tage.

Aber wird eine Verlorne Autorität wieder gewonnen werden, wenn man
dekretirt und in eine Verfassung, der sich jeder entziehen kann, schreibt: Das
Pfarramt ist autoritativ? Ist es nicht wahrscheinlich, daß der autokratisch
vorgehende Pfarrer sich die Gemeinde entfremden und seine Autorität erst recht
verlieren werde? Welche Mittel hat er, sein Ansehen geltend zu mache" bei
solchen, die es nicht wollen gelten lassen? Nur das letzte Mittel, die Ausschließung
aus der Gemeinde. Aber nach welchen Normen kann diese Ausschließung ge¬
schehen, wenn nicht die Lehre festgelegt wird und die Verfassung ein Teil der
Lehre wird? Dies aber ist der direkte Weg uach Rom.

Wir begegnen hier jener abstrakten Denkweise, welche extremen Parteien
eigentümlich zu sein pflegt. Man vernachlässigt (um die Sache durch die logische
Formel auszudrücken) die Mittelsätze und kommt bei aller Konsequenz des
Schlußsatzes zu einem fehlerhaften Ergebnis. Man kann z. B. schließen: Brot
ist ein Nahrungsmittel -- Kurz hat Hunger -- also gebe man ihm Brot. Ja,
wenn aber Kunz einen schwachen Magen hat und Brot nicht vertragen kann, so
ist für ihn Brot kein Nahrungsmittel. Ich fürchte sehr, daß der Schluß: Es ist
die Stärkung der Autorität nötig, also rüste mau den Pfarrer mit Autorität aus,
doch ein falsches Ergebnis hervorbringen würde, wenn die der Autorität ent¬
wöhnte Gemeinde den kraft seines Amtes auftretenden Herrn Pastor nicht ver¬
tragen kann.

Leider ist es so geworden, aber vor der Hemd nicht zu ändern: das Amt
trägt den Mann nicht, der Mann muß das Amt tragen. Die Bürde ist fast
zu schwer, und sie wird es erst recht durch die zahlreichen neuen Anforderungen,
welche die Gegenwart an das geistliche Amt stellt. Die idyllischen Zeiten, in
denen der Pfarrer ein beschaulich-andächtiges Stillleben in seiner Gemeinde führen
konnte, sind vorüber, es handelt sich gegenwärtig um eine Thätigkeit, die die
Anspannung aller Kräfte fordert. Man kann die Frage aufstellen, ob unsre
Geistlichkeit diesen Anforderungen ihres Amtes, wie sie die Gegenwart mit sich
bringt, gewachsen sei. Ein ungenannt gebliebener Theolog ist vor kurzem mit
einer Schrift'") an die Öffentlichkeit getreten, in der er den Nachweis führt, daß



*) Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart. Ein
Wort an Dozenten, Pfarrer und Studenten. Leipzig, I. Lehmami, 1886. 109 S.
Die Schäden der Airche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

sistoriums oder durch Beschlüsse eines Gcmeindekirchenrates ersetzt werden kann,
zeigt die Erfahrung täglich. Daher fordert man episkopale Verfassung, Bischöfe
mit bischöflicher Gewalt, Superintendenten und Geistliche mit persönlicher oder
vielmehr amtlicher Autorität. Man erstrebt die Stärkung der Autorität nach
allen Seiten, derjenigen des Staates, der Obrigkeit, des Hausvaters, des
Meisters, des Herrn u. s. w. In der That, wenn dies Ziel erreicht würde, so
würde viel erreicht worden sein, denn der Widerwille gegen Unterordnung und
Einordnung des Einzelnen, der rücksichtslose Eigenwille des Individuums, das
ist der Grund vieler, ja man kann sagen aller Mißstände unsrer Tage.

Aber wird eine Verlorne Autorität wieder gewonnen werden, wenn man
dekretirt und in eine Verfassung, der sich jeder entziehen kann, schreibt: Das
Pfarramt ist autoritativ? Ist es nicht wahrscheinlich, daß der autokratisch
vorgehende Pfarrer sich die Gemeinde entfremden und seine Autorität erst recht
verlieren werde? Welche Mittel hat er, sein Ansehen geltend zu mache» bei
solchen, die es nicht wollen gelten lassen? Nur das letzte Mittel, die Ausschließung
aus der Gemeinde. Aber nach welchen Normen kann diese Ausschließung ge¬
schehen, wenn nicht die Lehre festgelegt wird und die Verfassung ein Teil der
Lehre wird? Dies aber ist der direkte Weg uach Rom.

Wir begegnen hier jener abstrakten Denkweise, welche extremen Parteien
eigentümlich zu sein pflegt. Man vernachlässigt (um die Sache durch die logische
Formel auszudrücken) die Mittelsätze und kommt bei aller Konsequenz des
Schlußsatzes zu einem fehlerhaften Ergebnis. Man kann z. B. schließen: Brot
ist ein Nahrungsmittel — Kurz hat Hunger — also gebe man ihm Brot. Ja,
wenn aber Kunz einen schwachen Magen hat und Brot nicht vertragen kann, so
ist für ihn Brot kein Nahrungsmittel. Ich fürchte sehr, daß der Schluß: Es ist
die Stärkung der Autorität nötig, also rüste mau den Pfarrer mit Autorität aus,
doch ein falsches Ergebnis hervorbringen würde, wenn die der Autorität ent¬
wöhnte Gemeinde den kraft seines Amtes auftretenden Herrn Pastor nicht ver¬
tragen kann.

Leider ist es so geworden, aber vor der Hemd nicht zu ändern: das Amt
trägt den Mann nicht, der Mann muß das Amt tragen. Die Bürde ist fast
zu schwer, und sie wird es erst recht durch die zahlreichen neuen Anforderungen,
welche die Gegenwart an das geistliche Amt stellt. Die idyllischen Zeiten, in
denen der Pfarrer ein beschaulich-andächtiges Stillleben in seiner Gemeinde führen
konnte, sind vorüber, es handelt sich gegenwärtig um eine Thätigkeit, die die
Anspannung aller Kräfte fordert. Man kann die Frage aufstellen, ob unsre
Geistlichkeit diesen Anforderungen ihres Amtes, wie sie die Gegenwart mit sich
bringt, gewachsen sei. Ein ungenannt gebliebener Theolog ist vor kurzem mit
einer Schrift'") an die Öffentlichkeit getreten, in der er den Nachweis führt, daß



*) Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart. Ein
Wort an Dozenten, Pfarrer und Studenten. Leipzig, I. Lehmami, 1886. 109 S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/14>, abgerufen am 23.12.2024.