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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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unpersönlichen Erforschung des Seienden, ob gut oder schlecht, liegt nichts un¬
christliches; sonst hätte auch er sein Buch ungeschrieben lassen müssen. Denn
viele der darin behandelten Dinge werden in seinem Sinne doch nicht besser
dadurch, daß er sie verdammt. Im Kreise der Forschung gilt es, sie zunächst
zu verstehen. Oder sollte diese Meinung dem wohlunterrichteten Pater auch
schon etwas "pantheistisch" vorkommen? Aber wir machen uns anheischig, nach¬
zuweisen, und haben es zum Teil schon nachgewiesen, daß eine ganze Reihe
künstlerischer Erscheinungen, die er verdammt, nicht schlecht sind, eben weil sie
künstlerisch sind, und unsre Kriterien der Kunst haben wir ausführlich dar¬
gelegt. Die seinigen aber sind nicht immer bloß künstlerisch, sondern, wie wir
zeigen werden, vorzugsweise religiös.

Die Religion als zum Teil sinnliche (symbolische) Darstellung des Wahren,
des transzendental und ethisch Wahren, hat manche Berührungspunkte mit der
Kunst. Namentlich die katholische Religion, in welcher diese symbolische Dar¬
stellung mit starkem äußern Pomp vermittelt wird. Dieser Pomp ist seiner
Idee nach nichts weniger als Prunk und Sinnenkitzel, wie dies von Feinden
der katholischen Religion behauptet wird. Die großen Organisatoren der letztem
haben eben mit feinem Blicke jene Beziehungen zwischen Kunst und Religion erkannt
und die eine für die andre zu verwerten gewußt. Die schone Religion ist unzweifel¬
haft im Vorteile gegen die nicht oder weniger schöne; die Wahrheit muß verteidigt
werden, Schönheit spricht für sich selbst. Der beste Beweis dafür ist der, daß
selbst die Reformation (welche doch die Kirche deutlich genug darauf hinwies,
daß sie Gefahr lief, die Religion über der Kunst zu verlieren), daß gerade sie
nicht imstande war, das Band zwischen Kunst und Religion zu zerreißen. Im
Gegenteil, es wurde (nach kurzen, vorübergehenden Revisionen) noch inniger.
Es erstreckte sich auf Gebiete der Kunst, welche die Religion offenbar aus¬
schließen. Man fühlte das nicht, man lebte in dem guten Glanben, daß die
Kirche alles heilige, und daß es nichts Kostbares und Wirksames gebe, was
man nicht für ihren Triumph verwenden dürfte. Erst in einem kritischen Zeit¬
alter, als die Waffen aller Kirchenfeinde mit Vorliebe aus diesem Stoffe ge¬
schmiedet wurden, erst in einem kunstgläubigcu Zeitalter, als man von einem
möglichen Ersatze der Religion dnrch die Kunst zu träumen begann, kurz, erst
in der Zeit, als es nicht mehr galt, die Ketzerrcligion im Schach zu halten,
sondern die Religion überhaupt zu schützen, erst da wurde auch auf diesem Ge¬
biete aus der "zoolLsin trwinxlrMS eine soolssm irMtAns. Da man die Kunst,
die nun einmal schon organisch mit der Kirche verwachsen war, unmöglich auf¬
geben konnte, so resolvirte man sich kurz und erklärte, um hier von vorn¬
herein jede Bloße zu decken, kurzweg alle wirkliche Kunst für religiös. Mau
bewirkte dies dadurch, daß man das Schöne einfach mit dem Guten eins setzte,
und zwar mit dem spezifisch religiös Guten, ja noch mehr: mit dem kirchlich
anerkannten Guten.


Line christliche Ästhetik.

unpersönlichen Erforschung des Seienden, ob gut oder schlecht, liegt nichts un¬
christliches; sonst hätte auch er sein Buch ungeschrieben lassen müssen. Denn
viele der darin behandelten Dinge werden in seinem Sinne doch nicht besser
dadurch, daß er sie verdammt. Im Kreise der Forschung gilt es, sie zunächst
zu verstehen. Oder sollte diese Meinung dem wohlunterrichteten Pater auch
schon etwas „pantheistisch" vorkommen? Aber wir machen uns anheischig, nach¬
zuweisen, und haben es zum Teil schon nachgewiesen, daß eine ganze Reihe
künstlerischer Erscheinungen, die er verdammt, nicht schlecht sind, eben weil sie
künstlerisch sind, und unsre Kriterien der Kunst haben wir ausführlich dar¬
gelegt. Die seinigen aber sind nicht immer bloß künstlerisch, sondern, wie wir
zeigen werden, vorzugsweise religiös.

Die Religion als zum Teil sinnliche (symbolische) Darstellung des Wahren,
des transzendental und ethisch Wahren, hat manche Berührungspunkte mit der
Kunst. Namentlich die katholische Religion, in welcher diese symbolische Dar¬
stellung mit starkem äußern Pomp vermittelt wird. Dieser Pomp ist seiner
Idee nach nichts weniger als Prunk und Sinnenkitzel, wie dies von Feinden
der katholischen Religion behauptet wird. Die großen Organisatoren der letztem
haben eben mit feinem Blicke jene Beziehungen zwischen Kunst und Religion erkannt
und die eine für die andre zu verwerten gewußt. Die schone Religion ist unzweifel¬
haft im Vorteile gegen die nicht oder weniger schöne; die Wahrheit muß verteidigt
werden, Schönheit spricht für sich selbst. Der beste Beweis dafür ist der, daß
selbst die Reformation (welche doch die Kirche deutlich genug darauf hinwies,
daß sie Gefahr lief, die Religion über der Kunst zu verlieren), daß gerade sie
nicht imstande war, das Band zwischen Kunst und Religion zu zerreißen. Im
Gegenteil, es wurde (nach kurzen, vorübergehenden Revisionen) noch inniger.
Es erstreckte sich auf Gebiete der Kunst, welche die Religion offenbar aus¬
schließen. Man fühlte das nicht, man lebte in dem guten Glanben, daß die
Kirche alles heilige, und daß es nichts Kostbares und Wirksames gebe, was
man nicht für ihren Triumph verwenden dürfte. Erst in einem kritischen Zeit¬
alter, als die Waffen aller Kirchenfeinde mit Vorliebe aus diesem Stoffe ge¬
schmiedet wurden, erst in einem kunstgläubigcu Zeitalter, als man von einem
möglichen Ersatze der Religion dnrch die Kunst zu träumen begann, kurz, erst
in der Zeit, als es nicht mehr galt, die Ketzerrcligion im Schach zu halten,
sondern die Religion überhaupt zu schützen, erst da wurde auch auf diesem Ge¬
biete aus der «zoolLsin trwinxlrMS eine soolssm irMtAns. Da man die Kunst,
die nun einmal schon organisch mit der Kirche verwachsen war, unmöglich auf¬
geben konnte, so resolvirte man sich kurz und erklärte, um hier von vorn¬
herein jede Bloße zu decken, kurzweg alle wirkliche Kunst für religiös. Mau
bewirkte dies dadurch, daß man das Schöne einfach mit dem Guten eins setzte,
und zwar mit dem spezifisch religiös Guten, ja noch mehr: mit dem kirchlich
anerkannten Guten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/132>, abgerufen am 23.12.2024.