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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Weltlage.

jedes Jahr der Erhaltung des Friedens macht diesen auch in den Augen kriegerischer
Nachbarn zu einem wertvollen Gegenstande und bestärkt die Hoffnung, die
Störung des Weltfriedens werde mit der größern Entwicklung seiner Vorzüge
immer gefürchteter werden. Aber bei der politischen Weltlage ist diese Er¬
haltung nur unter Aufwendung aller Machtmittel möglich. Nie sind die Opfer
für die Aufbringung derselben so groß, um die Folgen eines unglücklichen Krieges
aufzuwiegen, und selbst ein glücklicher Krieg zerstört in dem Lande der allge¬
meinen Wehrpflicht so kostbare Elemente, daß für deren Schonung keine Militär¬
forderung in Betracht kommen kann.

Um sich diese Machtstellung zu erhalten und der Sicherung des Friedens
die allein feste Grundlage zu geben, die in der Furcht unsrer Nachbarn, mit
uns anzubinden, liegt, hatten die verbündete" Regierungen bei dem Reichstage
die Erhöhung des Militärbudgets ans sieben Jahre eingebracht. Bei allen An¬
feindungen ist doch die Meinung, daß zu viel gefordert wordeu sei, nicht auf-
geworfen worden, und in der That, es wäre ein Verbrechen, auch nur vermuten
zu wollen, daß die Regierungen unnütze Opfer der Nation auferlegen möchten.
Aber das Schauspiel, welches die Reichstagsmchrheit dieser Forderung gegeuüber
bot, ist geeignet, unsre Feinde zu ermutigen. Während in Frankreich die Par¬
teien ihren Hader beiseite setzen, vereinigt sich im deutschen Reichstage alles,
was Opposition heißt, um der nötig gewordenen Schutzwehr der Reichs¬
existenz entgegenzutreten. Fortschritt und Zentrum haben es mit Hilfe
der Sozialdemokratie durchzusetzen gewußt, daß die Verhandlungen der Mili-
tcirkommissivn verzögert worden sind und zu einem Ergebnis geführt haben,
welches das Zustandekommen der Vorlage in Zweifel stellt. Diese Verzö¬
gerung kaun zur Folge haben, daß die notwendige Ergänzung der Kriegs¬
bereitschaft nicht rechtzeitig hergestellt werden kauu, und daß somit im Falle
der Not Deutschland schwächer ist als diejenigen Völker, die es mit Krieg
überziehen.

Alle Sophistik, mit der die Wortführer des Fortschritts und des Zentrums
diese Folgen zu beschönigen suchen, kauu sie nicht beseitigen, und wenn das
deutsche Volk die Weihnachtszeit, die Zeit der Verkündigung des Friedens für
die Völker auf Erden, in Unruhe zubringt, wenn es das neue Jahr mit
drückenden Sorgen für seine Zukunft begeht, so muß es sich klar machen, wem
es dieselben verdankt. Man lasse sich nicht dadurch täuschen, daß es während der
Verhandlungen über die Militärvorlage auf dieser und jeuer Seite im Ausland
an Friedensbeteuerungen nicht gefehlt hat. Denn für die unserm Reiche feindlichen
Nationen ist es von Interesse, daß die Militärerhöhnng nicht zu stände komme.
Aber daß wiederum Deutsche es sind, welche diesen Bemühungen in die Hände
arbeiten, das ist nicht bloß eine Schmach, sondern ein Jammer, und wenn der¬
einst Rechenschaft gefordert werden sollte, daß das Blut deutscher Söhne im
Jahre 1870/71 umsonst geflossen ist, so wird die Nation diese Rechenschaft bei


Die Weltlage.

jedes Jahr der Erhaltung des Friedens macht diesen auch in den Augen kriegerischer
Nachbarn zu einem wertvollen Gegenstande und bestärkt die Hoffnung, die
Störung des Weltfriedens werde mit der größern Entwicklung seiner Vorzüge
immer gefürchteter werden. Aber bei der politischen Weltlage ist diese Er¬
haltung nur unter Aufwendung aller Machtmittel möglich. Nie sind die Opfer
für die Aufbringung derselben so groß, um die Folgen eines unglücklichen Krieges
aufzuwiegen, und selbst ein glücklicher Krieg zerstört in dem Lande der allge¬
meinen Wehrpflicht so kostbare Elemente, daß für deren Schonung keine Militär¬
forderung in Betracht kommen kann.

Um sich diese Machtstellung zu erhalten und der Sicherung des Friedens
die allein feste Grundlage zu geben, die in der Furcht unsrer Nachbarn, mit
uns anzubinden, liegt, hatten die verbündete» Regierungen bei dem Reichstage
die Erhöhung des Militärbudgets ans sieben Jahre eingebracht. Bei allen An¬
feindungen ist doch die Meinung, daß zu viel gefordert wordeu sei, nicht auf-
geworfen worden, und in der That, es wäre ein Verbrechen, auch nur vermuten
zu wollen, daß die Regierungen unnütze Opfer der Nation auferlegen möchten.
Aber das Schauspiel, welches die Reichstagsmchrheit dieser Forderung gegeuüber
bot, ist geeignet, unsre Feinde zu ermutigen. Während in Frankreich die Par¬
teien ihren Hader beiseite setzen, vereinigt sich im deutschen Reichstage alles,
was Opposition heißt, um der nötig gewordenen Schutzwehr der Reichs¬
existenz entgegenzutreten. Fortschritt und Zentrum haben es mit Hilfe
der Sozialdemokratie durchzusetzen gewußt, daß die Verhandlungen der Mili-
tcirkommissivn verzögert worden sind und zu einem Ergebnis geführt haben,
welches das Zustandekommen der Vorlage in Zweifel stellt. Diese Verzö¬
gerung kaun zur Folge haben, daß die notwendige Ergänzung der Kriegs¬
bereitschaft nicht rechtzeitig hergestellt werden kauu, und daß somit im Falle
der Not Deutschland schwächer ist als diejenigen Völker, die es mit Krieg
überziehen.

Alle Sophistik, mit der die Wortführer des Fortschritts und des Zentrums
diese Folgen zu beschönigen suchen, kauu sie nicht beseitigen, und wenn das
deutsche Volk die Weihnachtszeit, die Zeit der Verkündigung des Friedens für
die Völker auf Erden, in Unruhe zubringt, wenn es das neue Jahr mit
drückenden Sorgen für seine Zukunft begeht, so muß es sich klar machen, wem
es dieselben verdankt. Man lasse sich nicht dadurch täuschen, daß es während der
Verhandlungen über die Militärvorlage auf dieser und jeuer Seite im Ausland
an Friedensbeteuerungen nicht gefehlt hat. Denn für die unserm Reiche feindlichen
Nationen ist es von Interesse, daß die Militärerhöhnng nicht zu stände komme.
Aber daß wiederum Deutsche es sind, welche diesen Bemühungen in die Hände
arbeiten, das ist nicht bloß eine Schmach, sondern ein Jammer, und wenn der¬
einst Rechenschaft gefordert werden sollte, daß das Blut deutscher Söhne im
Jahre 1870/71 umsonst geflossen ist, so wird die Nation diese Rechenschaft bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/12>, abgerufen am 22.07.2024.