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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Die Begünstigung der einen Richtung gegenüber der andern, des altsprach¬
lichen Lehrgebietes oder des mathematisch-naturwissenschaftlichen, ließe sich noch
allenfalls rechtfertigen, wenn die auf dem einen gewonnene Förderung formalen
Denkens auch später der Forschung ans dem andern Gebiete zu statten käme.
Dies ist aber nur bis zu einem gewissen Grade der Fall, und es ist einleuchtend,
daß mit der Grenze, wo diese gegenseitige Ergänzung aufhört, auch eine ab¬
wägende Entscheidung über die Verteilung des Lehrstoffes eintreten muß. Die
allgemein grundlegenden Übungen der Grammatik und Logik, welche den alt¬
sprachlichen Unterricht und die Mathematik insoweit verbinden, als sie Klarheit
und Gewandtheit in der Anwendung von Anschauuugskategorien entwickeln
wollen, verlieren ihren allgemeine" Wert mit dem Zeitpunkte, wo ein tieferes
Eingehen in den Stoff anhebt. Es wird niemand behaupten wollen, daß auf
der Oberstufe des Gymnasiums der altsprachliche Unterricht heute in der Weise
gehandhabt werde, daß er auch den NichtPhilologen später in gleichem Maße
zu Gute komme, und das gleiche kaun für Theologen, Juristen und Historiker
von den mathematischen Lehrgegenständen der Prima gesagt werden. Manches,
was zum Verständnis der griechischen und lateinischen Syntax und ihrer Fein¬
heiten gelehrt werden muß, wenn die schwierigeren Klassiker überhaupt und
Nutzen gelesen werden sollen, hat nur für den spätern Philologen Wert, nud
wenn auch die Forscher ans humanistischen Gebiete sicher nicht der grundlegenden
Kenntnisse von den Gesetzen der Zeit und des Raumes auch zum Verständnis
ihrer Wissenschaft entraten können, so sind doch ebenso gewiß die Kenntnisse in
der höhern Algebra und Trigonometrie für sie entbehrlich. Merkwürdigerweise
wird die Erweiterung des mathematischen Unterrichts gerade am heftigsten von
den Philologen bekämpft, und der Ausspruch des Professors Dubois-Reymond:
"Kegelschnitte -- keine griechischen Skripta mehr!" hat von dieser Seite sehr
scharfe Entgegnungen erfahren. Ich sage merkwürdigerweise, weil doch gerade
die Mathematik die Entwicklung logischen Denkens in noch abstrakterer Weise
befördert, als die Grammatik der toten Sprachen. Wenn die Philologen die
geistige Gymnastik als den wesentlichen Gewinn ihrer Methode anpreisen, so
können sie folgerichtig ein ebenso wirksames Zuchtmittel des Verstandes nicht
verwerfen oder doch verdrängen. Auch ist bekannt, daß die Mathematik, sobald
die Elementarstnfe überwunden ist, sehr lebhaft auf die Einbildungskraft ein¬
wirkt und dabei den Forscher häufig so weit der realen Welt entrückt, daß der
Vorwurf, diese Wissenschaft stehe im Dienste der Technik und gehöre zu den
realen Fächern, vollkommen unbegründet ist.

Der Betrieb sowohl des grammatische",, als des mathematischen Studiums
unsrer Prima geht sicher weit über die Grenze des allen Wissensgebieten
gemeinsamen und deshalb unentbehrlichen, kategorialeu Wissens hinaus. Die¬
jenigen, welche den Realschülern erster Ordnung anch die Thüren der Hoch¬
schulen öffnen wollen, müssen also der Ansicht sein, daß die methodische Fertigkeit


Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Die Begünstigung der einen Richtung gegenüber der andern, des altsprach¬
lichen Lehrgebietes oder des mathematisch-naturwissenschaftlichen, ließe sich noch
allenfalls rechtfertigen, wenn die auf dem einen gewonnene Förderung formalen
Denkens auch später der Forschung ans dem andern Gebiete zu statten käme.
Dies ist aber nur bis zu einem gewissen Grade der Fall, und es ist einleuchtend,
daß mit der Grenze, wo diese gegenseitige Ergänzung aufhört, auch eine ab¬
wägende Entscheidung über die Verteilung des Lehrstoffes eintreten muß. Die
allgemein grundlegenden Übungen der Grammatik und Logik, welche den alt¬
sprachlichen Unterricht und die Mathematik insoweit verbinden, als sie Klarheit
und Gewandtheit in der Anwendung von Anschauuugskategorien entwickeln
wollen, verlieren ihren allgemeine» Wert mit dem Zeitpunkte, wo ein tieferes
Eingehen in den Stoff anhebt. Es wird niemand behaupten wollen, daß auf
der Oberstufe des Gymnasiums der altsprachliche Unterricht heute in der Weise
gehandhabt werde, daß er auch den NichtPhilologen später in gleichem Maße
zu Gute komme, und das gleiche kaun für Theologen, Juristen und Historiker
von den mathematischen Lehrgegenständen der Prima gesagt werden. Manches,
was zum Verständnis der griechischen und lateinischen Syntax und ihrer Fein¬
heiten gelehrt werden muß, wenn die schwierigeren Klassiker überhaupt und
Nutzen gelesen werden sollen, hat nur für den spätern Philologen Wert, nud
wenn auch die Forscher ans humanistischen Gebiete sicher nicht der grundlegenden
Kenntnisse von den Gesetzen der Zeit und des Raumes auch zum Verständnis
ihrer Wissenschaft entraten können, so sind doch ebenso gewiß die Kenntnisse in
der höhern Algebra und Trigonometrie für sie entbehrlich. Merkwürdigerweise
wird die Erweiterung des mathematischen Unterrichts gerade am heftigsten von
den Philologen bekämpft, und der Ausspruch des Professors Dubois-Reymond:
„Kegelschnitte — keine griechischen Skripta mehr!" hat von dieser Seite sehr
scharfe Entgegnungen erfahren. Ich sage merkwürdigerweise, weil doch gerade
die Mathematik die Entwicklung logischen Denkens in noch abstrakterer Weise
befördert, als die Grammatik der toten Sprachen. Wenn die Philologen die
geistige Gymnastik als den wesentlichen Gewinn ihrer Methode anpreisen, so
können sie folgerichtig ein ebenso wirksames Zuchtmittel des Verstandes nicht
verwerfen oder doch verdrängen. Auch ist bekannt, daß die Mathematik, sobald
die Elementarstnfe überwunden ist, sehr lebhaft auf die Einbildungskraft ein¬
wirkt und dabei den Forscher häufig so weit der realen Welt entrückt, daß der
Vorwurf, diese Wissenschaft stehe im Dienste der Technik und gehöre zu den
realen Fächern, vollkommen unbegründet ist.

Der Betrieb sowohl des grammatische»,, als des mathematischen Studiums
unsrer Prima geht sicher weit über die Grenze des allen Wissensgebieten
gemeinsamen und deshalb unentbehrlichen, kategorialeu Wissens hinaus. Die¬
jenigen, welche den Realschülern erster Ordnung anch die Thüren der Hoch¬
schulen öffnen wollen, müssen also der Ansicht sein, daß die methodische Fertigkeit


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[0119] Gyinnasialunterricht und Fachbildung. Die Begünstigung der einen Richtung gegenüber der andern, des altsprach¬ lichen Lehrgebietes oder des mathematisch-naturwissenschaftlichen, ließe sich noch allenfalls rechtfertigen, wenn die auf dem einen gewonnene Förderung formalen Denkens auch später der Forschung ans dem andern Gebiete zu statten käme. Dies ist aber nur bis zu einem gewissen Grade der Fall, und es ist einleuchtend, daß mit der Grenze, wo diese gegenseitige Ergänzung aufhört, auch eine ab¬ wägende Entscheidung über die Verteilung des Lehrstoffes eintreten muß. Die allgemein grundlegenden Übungen der Grammatik und Logik, welche den alt¬ sprachlichen Unterricht und die Mathematik insoweit verbinden, als sie Klarheit und Gewandtheit in der Anwendung von Anschauuugskategorien entwickeln wollen, verlieren ihren allgemeine» Wert mit dem Zeitpunkte, wo ein tieferes Eingehen in den Stoff anhebt. Es wird niemand behaupten wollen, daß auf der Oberstufe des Gymnasiums der altsprachliche Unterricht heute in der Weise gehandhabt werde, daß er auch den NichtPhilologen später in gleichem Maße zu Gute komme, und das gleiche kaun für Theologen, Juristen und Historiker von den mathematischen Lehrgegenständen der Prima gesagt werden. Manches, was zum Verständnis der griechischen und lateinischen Syntax und ihrer Fein¬ heiten gelehrt werden muß, wenn die schwierigeren Klassiker überhaupt und Nutzen gelesen werden sollen, hat nur für den spätern Philologen Wert, nud wenn auch die Forscher ans humanistischen Gebiete sicher nicht der grundlegenden Kenntnisse von den Gesetzen der Zeit und des Raumes auch zum Verständnis ihrer Wissenschaft entraten können, so sind doch ebenso gewiß die Kenntnisse in der höhern Algebra und Trigonometrie für sie entbehrlich. Merkwürdigerweise wird die Erweiterung des mathematischen Unterrichts gerade am heftigsten von den Philologen bekämpft, und der Ausspruch des Professors Dubois-Reymond: „Kegelschnitte — keine griechischen Skripta mehr!" hat von dieser Seite sehr scharfe Entgegnungen erfahren. Ich sage merkwürdigerweise, weil doch gerade die Mathematik die Entwicklung logischen Denkens in noch abstrakterer Weise befördert, als die Grammatik der toten Sprachen. Wenn die Philologen die geistige Gymnastik als den wesentlichen Gewinn ihrer Methode anpreisen, so können sie folgerichtig ein ebenso wirksames Zuchtmittel des Verstandes nicht verwerfen oder doch verdrängen. Auch ist bekannt, daß die Mathematik, sobald die Elementarstnfe überwunden ist, sehr lebhaft auf die Einbildungskraft ein¬ wirkt und dabei den Forscher häufig so weit der realen Welt entrückt, daß der Vorwurf, diese Wissenschaft stehe im Dienste der Technik und gehöre zu den realen Fächern, vollkommen unbegründet ist. Der Betrieb sowohl des grammatische»,, als des mathematischen Studiums unsrer Prima geht sicher weit über die Grenze des allen Wissensgebieten gemeinsamen und deshalb unentbehrlichen, kategorialeu Wissens hinaus. Die¬ jenigen, welche den Realschülern erster Ordnung anch die Thüren der Hoch¬ schulen öffnen wollen, müssen also der Ansicht sein, daß die methodische Fertigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/119>, abgerufen am 23.12.2024.