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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die böhmische Frage.

drücklich zu betonen, dabei z" statten kommen. Die Herren, welche eine Art
Erbberechtigung ans die NcgiernngSsitzc zu haben meinen, fürchten offenbar daS,
was bei der herrschenden Verwirrung allein möglich und wünschenswert ist, die
Berufung eines sogenannten Geschäftsministcrinms. An geschäftskundigen Be¬
amten von echter altöstcrrcichischcr Gesinnung fehlt es nicht, und recht zur
Zeit kommt in Bcnsts Memoiren die Erzählung, daß er bei der Aktion gegen
Hohenwart nur von einem Kollegen, von diesem aber aufs kräftigste unterstützt
worden sei, keinem Parlamentarier, keinem Liberalen, sondern einem alten Finanz-
beamtcn, Hvlzgechan, dessen fachmännische Bedenken gegen föderalistische Experi¬
mente ihren Eindruck nicht verfehlten.

Vor allem giebt es aus den böhmischen Wirren keinen andern Ausweg.
Die tschechische Partei hat manche Ähnlichkeit mit der Zentrumspartei in Deutsch¬
land. Für sie gelten Verfassung und Gesetze nur, insofern sie mit dem mystischen
"böhmischen Staatsrecht" in Einklang zu bringen sind, und sie ist aus den
widersprechendsten Elementen zusammengesetzt: Junkern, Klerikalen, gemäßigten
nationalen und Radikalen; doch wird die Mischung noch etwas pikanter durch
den Beisatz des Hnssitentums. Das einst von dem Grafen Clcnn-Martinitz ver¬
faßte Programm der feudalistischen Partei, in welchem auch der rote landständische
Frack seinen Platz hatte, war in dem "Verstärkten Neichsrat" des Jahres 1360
durchgerungen; als Schmerling es wieder beseitigte, etablirten die Herren sich
als nationale Opposition im Landtag und im Reichsrate. Damals konnte man
darüber spotten, daß die Sprachkenntnisse der tschechischen Torhs gerade hin¬
reichte", um bei der Abstimmung ano oder r>6 (ja, nein) zu sagen, seitdem
haben sie oder ihre Nachfolger so viel dazu gelernt, daß sie sich "Martinic"
und "Svareenbcrk" schreiben können; aber was mehr ist, unter ihrer Ägide ist
mit Hilfe der liberale" Gesetze kräftig tschechisirt, und in ihren Händen ist das
wilde Demngvgentum zu einer bequemen Waffe geworden, mit der man im
rechten Momente drohen, die man geeignctenfalls verleugnen kann. Die Bundes¬
genossen hasse" einander gründlich, können sich aber gegenseitig nicht entbehren,
und rechnen wohl darauf, nach dem Siege einer den andern um den Kampf-
Preis zu prellen. Stunde nicht mehr auf dem Spiele, so wäre das günstigste,
sie ungestört miteinander wirtschaften zu lassen, wo dann Feudale und Alt¬
tschechen wohl bald sich unter den Schutz der österreichischen Waffen begeben
würden wie im Sommer 1348. Daß man aber mit der ganzen Gesellschaft
fertig werden kann, ohne es zum äußersten kommen zu lassen, das hat General
Koller bewiesen, der nicht so viel von Gleichberechtigung sprach und gleichzeitig
im Sinne der Tschechen handelte, wie der jetzige Statthalter, sondern einfach
Gesetz und Ordnung aufrecht erhielt nach allen Seiten. Wem jetzt die Aufgabe
zufiele, der hätte allerdings einen viel schwierigern Stand, da der tschechische
Übermut förmlich gezüchtet worden ist. Nun würde es ohne Züchtigung nicht
abgehen, dafür hätten die Massen des Volksstammes, welche so lange Zeit mit


Die böhmische Frage.

drücklich zu betonen, dabei z» statten kommen. Die Herren, welche eine Art
Erbberechtigung ans die NcgiernngSsitzc zu haben meinen, fürchten offenbar daS,
was bei der herrschenden Verwirrung allein möglich und wünschenswert ist, die
Berufung eines sogenannten Geschäftsministcrinms. An geschäftskundigen Be¬
amten von echter altöstcrrcichischcr Gesinnung fehlt es nicht, und recht zur
Zeit kommt in Bcnsts Memoiren die Erzählung, daß er bei der Aktion gegen
Hohenwart nur von einem Kollegen, von diesem aber aufs kräftigste unterstützt
worden sei, keinem Parlamentarier, keinem Liberalen, sondern einem alten Finanz-
beamtcn, Hvlzgechan, dessen fachmännische Bedenken gegen föderalistische Experi¬
mente ihren Eindruck nicht verfehlten.

Vor allem giebt es aus den böhmischen Wirren keinen andern Ausweg.
Die tschechische Partei hat manche Ähnlichkeit mit der Zentrumspartei in Deutsch¬
land. Für sie gelten Verfassung und Gesetze nur, insofern sie mit dem mystischen
„böhmischen Staatsrecht" in Einklang zu bringen sind, und sie ist aus den
widersprechendsten Elementen zusammengesetzt: Junkern, Klerikalen, gemäßigten
nationalen und Radikalen; doch wird die Mischung noch etwas pikanter durch
den Beisatz des Hnssitentums. Das einst von dem Grafen Clcnn-Martinitz ver¬
faßte Programm der feudalistischen Partei, in welchem auch der rote landständische
Frack seinen Platz hatte, war in dem „Verstärkten Neichsrat" des Jahres 1360
durchgerungen; als Schmerling es wieder beseitigte, etablirten die Herren sich
als nationale Opposition im Landtag und im Reichsrate. Damals konnte man
darüber spotten, daß die Sprachkenntnisse der tschechischen Torhs gerade hin¬
reichte», um bei der Abstimmung ano oder r>6 (ja, nein) zu sagen, seitdem
haben sie oder ihre Nachfolger so viel dazu gelernt, daß sie sich „Martinic"
und „Svareenbcrk" schreiben können; aber was mehr ist, unter ihrer Ägide ist
mit Hilfe der liberale» Gesetze kräftig tschechisirt, und in ihren Händen ist das
wilde Demngvgentum zu einer bequemen Waffe geworden, mit der man im
rechten Momente drohen, die man geeignctenfalls verleugnen kann. Die Bundes¬
genossen hasse» einander gründlich, können sich aber gegenseitig nicht entbehren,
und rechnen wohl darauf, nach dem Siege einer den andern um den Kampf-
Preis zu prellen. Stunde nicht mehr auf dem Spiele, so wäre das günstigste,
sie ungestört miteinander wirtschaften zu lassen, wo dann Feudale und Alt¬
tschechen wohl bald sich unter den Schutz der österreichischen Waffen begeben
würden wie im Sommer 1348. Daß man aber mit der ganzen Gesellschaft
fertig werden kann, ohne es zum äußersten kommen zu lassen, das hat General
Koller bewiesen, der nicht so viel von Gleichberechtigung sprach und gleichzeitig
im Sinne der Tschechen handelte, wie der jetzige Statthalter, sondern einfach
Gesetz und Ordnung aufrecht erhielt nach allen Seiten. Wem jetzt die Aufgabe
zufiele, der hätte allerdings einen viel schwierigern Stand, da der tschechische
Übermut förmlich gezüchtet worden ist. Nun würde es ohne Züchtigung nicht
abgehen, dafür hätten die Massen des Volksstammes, welche so lange Zeit mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/107>, abgerufen am 23.12.2024.