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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die hoilige^Magdalena von Witscht.

und der Simulorem wurde ein HuaKirooclo Ksounckus. Ganze Tage und
Nächte saß er auf dem Glockenstühle des Dorfkirchturmes. Den Glucken waren
auch Muttergottesbilder eingegossen. Die betrachtete der Bastian mit heiliger
Andacht. Von Zeit zu Zeit tippte er mit dem Fingerknöchel an den Glocken¬
rand, und wenn dann, einer Welle im Ozean gleich, ein mächtig-tönendes Summen
über das eherne Gebilde hinlief, erfüllte es ihn mit freudigem Schauer. Und
die Dämonen seines Innern wurden allmählich so aufgeregt, daß er alle Be¬
sinnung verlor und die Glocke in Schwingung, das ganze Dorf aber in Auf¬
ruhr versetzte, wofür er öfter eingesperrt werden mußte. Er weinte dann wie
ein kleines Kind und versprach, ein solches Unheil nie wieder anrichten zu wollen.
Doch begegnete es ihm noch öfter, und wenigstens drei bis vier mal im Jahre.
Zur Strafe dafür muß er seit seinem Tode als Gespenst ans der großen Glocke
rittlings sitzen von Abends an, wenn der letzte Klang des Aveläutens verklungen
ist, bis zum Morgen, wenn es das Frühave läutet. Das mag kein Vergnügen
für ihn sein, besonders im Winter. Da friert es ihn so sehr, daß der alte
Nachtwächter Stephan stech, wenn er am Turme vorbei geht, oft das Gerippe
des Unglücklichen vor Frost klappern hört.

Als der Bastion noch lebte und im Fleische wandelte, fragte er eines Tages
seinen Nachbar, den Ochsenwirt, ob der Mann mit dem Simulor nicht an¬
gekommen sei. Was soll denn das sein, dein Simulor? fragte der. El, wißt
Ihr das nicht? antwortete er lächelnd. Simulor, das klingt, das tönt Heller
als Gold und Silber; wenn der Mann kommt, will ich eine Muttergottes daraus
machen, und wenn es reicht, auch eine Glocke für den Kirchturm. Simulor!
Geheimnisvolles Wort. Wer mag es deuten und seinen Ursprung sicher er¬
klären? Die einen sagen, das Wort sei im Munde des Bühelfranzens Sebastian
eine Weissagung gewesen, eine innerliche Offenbarung, und Simulor heiße das
noch unentdeckte Metall, welches, reiner und edler als Gold, einst zur Prägung
der kaiserlichen Münzen des "tausendjährigen Reiches" werde verwendet werden.
Andre behaupteten, der Rentamtmann Zciukel, ein alter Schalk, habe dem guten
Bastian das Wort zugeflüstert und dabei ein rechtes Märchen aufgebunden.
Wie dem auch sein mag, der Bastian fragte von da an jeden Tag und jeden
ihm begegnenden Meuschen nach dem Manne mit dem Simulor, und noch auf
dem Totenbette mit seinem letzten Hauche fragte er nach dem Manne mit dem
Simulor. Der arme Simulorem!




4.

Wer nun meint, daß das Wesen des Simulorem deshalb hier so eingehend
dargestellt worden sei, um die natürliche Grundlage, "ZMsi die natürliche Natur
im Wesen seiner heiligen Schwester daraus zu erklären, ist leider im Irrtum.
Ganz im Gegenteil, diese Darstellung soll zeigen, wie unerforschlich und ge-


Die hoilige^Magdalena von Witscht.

und der Simulorem wurde ein HuaKirooclo Ksounckus. Ganze Tage und
Nächte saß er auf dem Glockenstühle des Dorfkirchturmes. Den Glucken waren
auch Muttergottesbilder eingegossen. Die betrachtete der Bastian mit heiliger
Andacht. Von Zeit zu Zeit tippte er mit dem Fingerknöchel an den Glocken¬
rand, und wenn dann, einer Welle im Ozean gleich, ein mächtig-tönendes Summen
über das eherne Gebilde hinlief, erfüllte es ihn mit freudigem Schauer. Und
die Dämonen seines Innern wurden allmählich so aufgeregt, daß er alle Be¬
sinnung verlor und die Glocke in Schwingung, das ganze Dorf aber in Auf¬
ruhr versetzte, wofür er öfter eingesperrt werden mußte. Er weinte dann wie
ein kleines Kind und versprach, ein solches Unheil nie wieder anrichten zu wollen.
Doch begegnete es ihm noch öfter, und wenigstens drei bis vier mal im Jahre.
Zur Strafe dafür muß er seit seinem Tode als Gespenst ans der großen Glocke
rittlings sitzen von Abends an, wenn der letzte Klang des Aveläutens verklungen
ist, bis zum Morgen, wenn es das Frühave läutet. Das mag kein Vergnügen
für ihn sein, besonders im Winter. Da friert es ihn so sehr, daß der alte
Nachtwächter Stephan stech, wenn er am Turme vorbei geht, oft das Gerippe
des Unglücklichen vor Frost klappern hört.

Als der Bastion noch lebte und im Fleische wandelte, fragte er eines Tages
seinen Nachbar, den Ochsenwirt, ob der Mann mit dem Simulor nicht an¬
gekommen sei. Was soll denn das sein, dein Simulor? fragte der. El, wißt
Ihr das nicht? antwortete er lächelnd. Simulor, das klingt, das tönt Heller
als Gold und Silber; wenn der Mann kommt, will ich eine Muttergottes daraus
machen, und wenn es reicht, auch eine Glocke für den Kirchturm. Simulor!
Geheimnisvolles Wort. Wer mag es deuten und seinen Ursprung sicher er¬
klären? Die einen sagen, das Wort sei im Munde des Bühelfranzens Sebastian
eine Weissagung gewesen, eine innerliche Offenbarung, und Simulor heiße das
noch unentdeckte Metall, welches, reiner und edler als Gold, einst zur Prägung
der kaiserlichen Münzen des „tausendjährigen Reiches" werde verwendet werden.
Andre behaupteten, der Rentamtmann Zciukel, ein alter Schalk, habe dem guten
Bastian das Wort zugeflüstert und dabei ein rechtes Märchen aufgebunden.
Wie dem auch sein mag, der Bastian fragte von da an jeden Tag und jeden
ihm begegnenden Meuschen nach dem Manne mit dem Simulor, und noch auf
dem Totenbette mit seinem letzten Hauche fragte er nach dem Manne mit dem
Simulor. Der arme Simulorem!




4.

Wer nun meint, daß das Wesen des Simulorem deshalb hier so eingehend
dargestellt worden sei, um die natürliche Grundlage, «ZMsi die natürliche Natur
im Wesen seiner heiligen Schwester daraus zu erklären, ist leider im Irrtum.
Ganz im Gegenteil, diese Darstellung soll zeigen, wie unerforschlich und ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/101>, abgerufen am 22.12.2024.