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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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dem Wettbetriebe der Völker zur Anknüpfung von Handelsbeziehungen den
weitesten Spielraum, und wenn Vernunft und Logik ihre Herrschaft zu üben
berufe" wären, so müßte unser Zeitalter das des Friedens sein.

Aber gerade auf den Krieg scheint sich die Welt vorzubereiten; ganz Europa
starrt in Waffen, und nicht etwa ehrgeizige Herrscher, sondern die Völker sind
es, welche über einander herzufallen drohen und keine Scheu tragen, die Errungen-
schaften unsrer Kultur in das Chaos der Barbarei umzuwandeln. Jeder ernste
Mann sieht mit Bekümmernis der Zukunft entgegen.

Der glimmende Funke liegt nicht bloß in der Erbschaft, zu deren Eröffnung
und Antritt am Bosporus zahlreiche Prätendenten bereit stehen; das Gewitter
droht gleichzeitig von Westen und von Osten. Die Republik in Frankreich hat
es trotz sechzehnjähriger Dauer nicht vermocht, für den Frieden zu wirken. Die
Herrschaft gleitet mehr u"d mehr den Radikalen zu und ruht zur Zeit in den
Händen eines Ministeriums, dem keine Partei Unterstützung und Vertrauen
entgegenbringt; der Präsident ist ohne Einfluß und alt; abgesehen davon, daß
die Verfassung keinen Vertreter für ihn kennt, so würde hente in Frankreich
niemand bezeichnet werden können, der zu seiner Nachfolge berufen wäre. Schon
wirft das Gespenst des Staatsstreiches seinen Schatten, und schon hat in ernster
Sitzung des Senats ein Mitglied es wagen dürfen, offen den Kriegsminister
aufzufordern, daß er mit seinem Säbel das Regiment an sich reiße. Kommt
es dahin, dann erscheint ein Krieg mit Deutschland unausbleiblich, weil alle
Machthaber die Idee der Revanche seit mehr als einem Jahrzehnt großgezogen
haben und alle französischen Parteien sich in ihr begegnen. Man muß -- oft
genug mit dem Gefühle der Beschämung -- anerkennen, daß, wie verkehrte und
wahnwitzige Bahnen auch der Patriotismus in Frankreich einschlägt, wenn es
sich um die Größe und Ehre des Vaterlandes handelt, der Nvvalist mit dem
Kommunard Seite an Seite kämpft. Während der deutsche Sozialdemokrat ohne
Scheu für die Zurückgabe von Elsaß-Lothringen an Frankreich eintritt, fordert
der französische Anarchist den Krieg, um diese Provinzen seinem Vaterlande
wieder zu verschaffen. Jede Partei bewilligt opferfreudig die größten Mittel,
um diese" Krieg vorzubereiten, niemand nimmt die Belastung des Volkes zum
Vorwand, um Ersparnissen am Kriegsbudget das Wort zu reden, der roteste
Republikaner buhlt um die Freundschaft des russischen Zaren, und es ist ein
offenes Geheimnis, daß ein Ministerium Floqnet nicht zu stände kam, weil
Flvquet als Polenfreuud, welcher dem verstorbenen Kaiser Alexander das Vivo In.
xolognv ins Gesicht schleuderte, in Petersburg Mißstimmung erregt haben
würde. Wer es in Frankreich mit der Republik ernst meint, muß den Frieden
wollen, denn jede Veränderung in der gegenwärtigen Regierungsform bringt
unbedingt den Krieg. Diese Veränderung ist aber eine so nahe, daß selbst ein
Krieg von denen, welche sie vermeiden möchten, zur Ablenkung der öffentlichen
Meinung heraufbeschwöre" werden kann.


dem Wettbetriebe der Völker zur Anknüpfung von Handelsbeziehungen den
weitesten Spielraum, und wenn Vernunft und Logik ihre Herrschaft zu üben
berufe» wären, so müßte unser Zeitalter das des Friedens sein.

Aber gerade auf den Krieg scheint sich die Welt vorzubereiten; ganz Europa
starrt in Waffen, und nicht etwa ehrgeizige Herrscher, sondern die Völker sind
es, welche über einander herzufallen drohen und keine Scheu tragen, die Errungen-
schaften unsrer Kultur in das Chaos der Barbarei umzuwandeln. Jeder ernste
Mann sieht mit Bekümmernis der Zukunft entgegen.

Der glimmende Funke liegt nicht bloß in der Erbschaft, zu deren Eröffnung
und Antritt am Bosporus zahlreiche Prätendenten bereit stehen; das Gewitter
droht gleichzeitig von Westen und von Osten. Die Republik in Frankreich hat
es trotz sechzehnjähriger Dauer nicht vermocht, für den Frieden zu wirken. Die
Herrschaft gleitet mehr u»d mehr den Radikalen zu und ruht zur Zeit in den
Händen eines Ministeriums, dem keine Partei Unterstützung und Vertrauen
entgegenbringt; der Präsident ist ohne Einfluß und alt; abgesehen davon, daß
die Verfassung keinen Vertreter für ihn kennt, so würde hente in Frankreich
niemand bezeichnet werden können, der zu seiner Nachfolge berufen wäre. Schon
wirft das Gespenst des Staatsstreiches seinen Schatten, und schon hat in ernster
Sitzung des Senats ein Mitglied es wagen dürfen, offen den Kriegsminister
aufzufordern, daß er mit seinem Säbel das Regiment an sich reiße. Kommt
es dahin, dann erscheint ein Krieg mit Deutschland unausbleiblich, weil alle
Machthaber die Idee der Revanche seit mehr als einem Jahrzehnt großgezogen
haben und alle französischen Parteien sich in ihr begegnen. Man muß — oft
genug mit dem Gefühle der Beschämung — anerkennen, daß, wie verkehrte und
wahnwitzige Bahnen auch der Patriotismus in Frankreich einschlägt, wenn es
sich um die Größe und Ehre des Vaterlandes handelt, der Nvvalist mit dem
Kommunard Seite an Seite kämpft. Während der deutsche Sozialdemokrat ohne
Scheu für die Zurückgabe von Elsaß-Lothringen an Frankreich eintritt, fordert
der französische Anarchist den Krieg, um diese Provinzen seinem Vaterlande
wieder zu verschaffen. Jede Partei bewilligt opferfreudig die größten Mittel,
um diese« Krieg vorzubereiten, niemand nimmt die Belastung des Volkes zum
Vorwand, um Ersparnissen am Kriegsbudget das Wort zu reden, der roteste
Republikaner buhlt um die Freundschaft des russischen Zaren, und es ist ein
offenes Geheimnis, daß ein Ministerium Floqnet nicht zu stände kam, weil
Flvquet als Polenfreuud, welcher dem verstorbenen Kaiser Alexander das Vivo In.
xolognv ins Gesicht schleuderte, in Petersburg Mißstimmung erregt haben
würde. Wer es in Frankreich mit der Republik ernst meint, muß den Frieden
wollen, denn jede Veränderung in der gegenwärtigen Regierungsform bringt
unbedingt den Krieg. Diese Veränderung ist aber eine so nahe, daß selbst ein
Krieg von denen, welche sie vermeiden möchten, zur Ablenkung der öffentlichen
Meinung heraufbeschwöre» werden kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/10>, abgerufen am 23.12.2024.