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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

Alle, die ihm nahestanden und unter seiner Leitung arbeiteten, sind einig in der
Bewunderung für diese Thätigkeit, welche eine außerordentliche Gewandtheit und
Leistungskraft erforderte, da er fast während der Hälfte seiner Dienstjahre über
fünf Theater zu wachen hatte. Aber er war nicht nur ein Charakter, ein
außerordentlicher Beamter, sondern auch ein liebevoller, durchaus nicht eng¬
herziger Förderer der Schauspielkunst und der Bühnenliteratur. Er war uner¬
müdlich im Aufsuchen von mimischen Talenten, prüfte alles, was ihm irgendwie
bemerkenswert erschien, und führte einen großen Bildungsstrvm in die Kreise
der werdenden oder schon thätigen Bühnenkünstler durch die Gewährung des
freien Eintrittes in die königlichen Theater; dieselbe Vergünstigung genossen die
Schriftsteller -- jeden,, der sich, wenn auch in kümmerlichster Weise, als einen
Jünger Melpomenes oder Thalias ausweisen konnte, wurde der freie Eintritt
in das Schauspielhaus für Wochen, Monate, wohl gar für eine ganze Saison
in zartester, feinfühligster Weise bewilligt; den Beamten war es offenbar vor¬
geschrieben, diese Almosenempfänger (zu denen ich selbst mehr als einmal ge¬
hörte) so rücksichtsvoll als möglich zu behandeln, sodaß der Empfänger die
Vergünstigung fast für ein ihm zustehendes Recht halten konnte. Wer in
Deutschland war und ist ihm in dieser Beziehung eines nur vou ferne zu ver¬
gleichen? Soll man es ihm nicht danken? Aber er sättigte die deutschen
Autoren nicht nur mit dem Steine der Freibillets, anstatt ihnen das Brot der
Darstellungsgebühren zu reichen -- kein Theaterleiter hat in dem Grade wie
er die deutsche Theaterlitcratur gepflegt, wenn er natürlich auch nicht für jede
Blüte zum Gärtner werden konnte oder werden mochte. Ich übersehe eine Reihe
von Theaterzetteln aus den letzten acht Jahren -- was für eine Fülle von
neuen Namen, abgesehen von den zahlreich vertretenen unsrer "Klassiker" und
denjenigen älterer Dramatiker unsers Jahrhunderts: Auerbach, Spiclhagen,
Hesse, Wilbrandt, Jordan, Geibel, Redwitz, Putlitz, Schack. Lindner, Gott¬
schall, Grosse, Bodenstedt, Dahn. Wiehert, Bürger, Lindau, Eckstein, Zell.
Genee, Moser, Schönthan, Gemsleber, Wildenbruch. Voß, Herrig, Klapp,
Wartenburg, Friedmann, Grünstein, Stahl, Hedwig Dohm, Gräfin Wickenburg,
Wilhelmine von Hillern u. a. in. Wohl machte man dem Intendanten den
Vorwurf, daß er die Benedixliteratur zu sehr begünstige; aber was hätte er
dieser Hausmannskost vorziehen sollen? Was ihm an "poetischen" Dramen in
die Hände kam, hat er, wenn es anging, zur Aufführung bringen lassen, und
als er es einmal mit einem kühnem Stücke, der "Ehe von heute," von
Hackenthal versuchte, da wurde dieses Stück (das von einer Dame her¬
rühren soll und durchaus von Talent und Beobachtungsgabe zeugte) aus¬
gepfiffen und zu Tode rezensirt; weil man in Deutschland zwar immer über die
"Frauenzimmerliteratur" und den "Gartenlaubengeschmack" jammert, aber es
nicht vertragen kann, wenn ein deutscher Autor etwas hervorbringt, was dem
Philistertums "über den Kamm geht." Es ist eine Verleumdung, wenn man


Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

Alle, die ihm nahestanden und unter seiner Leitung arbeiteten, sind einig in der
Bewunderung für diese Thätigkeit, welche eine außerordentliche Gewandtheit und
Leistungskraft erforderte, da er fast während der Hälfte seiner Dienstjahre über
fünf Theater zu wachen hatte. Aber er war nicht nur ein Charakter, ein
außerordentlicher Beamter, sondern auch ein liebevoller, durchaus nicht eng¬
herziger Förderer der Schauspielkunst und der Bühnenliteratur. Er war uner¬
müdlich im Aufsuchen von mimischen Talenten, prüfte alles, was ihm irgendwie
bemerkenswert erschien, und führte einen großen Bildungsstrvm in die Kreise
der werdenden oder schon thätigen Bühnenkünstler durch die Gewährung des
freien Eintrittes in die königlichen Theater; dieselbe Vergünstigung genossen die
Schriftsteller — jeden,, der sich, wenn auch in kümmerlichster Weise, als einen
Jünger Melpomenes oder Thalias ausweisen konnte, wurde der freie Eintritt
in das Schauspielhaus für Wochen, Monate, wohl gar für eine ganze Saison
in zartester, feinfühligster Weise bewilligt; den Beamten war es offenbar vor¬
geschrieben, diese Almosenempfänger (zu denen ich selbst mehr als einmal ge¬
hörte) so rücksichtsvoll als möglich zu behandeln, sodaß der Empfänger die
Vergünstigung fast für ein ihm zustehendes Recht halten konnte. Wer in
Deutschland war und ist ihm in dieser Beziehung eines nur vou ferne zu ver¬
gleichen? Soll man es ihm nicht danken? Aber er sättigte die deutschen
Autoren nicht nur mit dem Steine der Freibillets, anstatt ihnen das Brot der
Darstellungsgebühren zu reichen — kein Theaterleiter hat in dem Grade wie
er die deutsche Theaterlitcratur gepflegt, wenn er natürlich auch nicht für jede
Blüte zum Gärtner werden konnte oder werden mochte. Ich übersehe eine Reihe
von Theaterzetteln aus den letzten acht Jahren — was für eine Fülle von
neuen Namen, abgesehen von den zahlreich vertretenen unsrer „Klassiker" und
denjenigen älterer Dramatiker unsers Jahrhunderts: Auerbach, Spiclhagen,
Hesse, Wilbrandt, Jordan, Geibel, Redwitz, Putlitz, Schack. Lindner, Gott¬
schall, Grosse, Bodenstedt, Dahn. Wiehert, Bürger, Lindau, Eckstein, Zell.
Genee, Moser, Schönthan, Gemsleber, Wildenbruch. Voß, Herrig, Klapp,
Wartenburg, Friedmann, Grünstein, Stahl, Hedwig Dohm, Gräfin Wickenburg,
Wilhelmine von Hillern u. a. in. Wohl machte man dem Intendanten den
Vorwurf, daß er die Benedixliteratur zu sehr begünstige; aber was hätte er
dieser Hausmannskost vorziehen sollen? Was ihm an „poetischen" Dramen in
die Hände kam, hat er, wenn es anging, zur Aufführung bringen lassen, und
als er es einmal mit einem kühnem Stücke, der „Ehe von heute," von
Hackenthal versuchte, da wurde dieses Stück (das von einer Dame her¬
rühren soll und durchaus von Talent und Beobachtungsgabe zeugte) aus¬
gepfiffen und zu Tode rezensirt; weil man in Deutschland zwar immer über die
„Frauenzimmerliteratur" und den „Gartenlaubengeschmack" jammert, aber es
nicht vertragen kann, wenn ein deutscher Autor etwas hervorbringt, was dem
Philistertums „über den Kamm geht." Es ist eine Verleumdung, wenn man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/93>, abgerufen am 20.10.2024.