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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

dächern beschirmten Gcschlechtshäusern hin, bald den erst neuerdings vom
Wildwasser mit Geröll beschütteten Bach entlang, bald auf sportsmäßig ge¬
nommenen Steinblöcken hinüber, dann stand ich erstaunt vor einem stattlichen
Hofe, dessen Vorderseite fast ganz dnrch ein langes, hochragendes, massives
Wohngebäude eingenommen war. Es war das Ziel meiner Reise, das
Haus des Postmeisters Wvland. Ich trat durch das Thor in deu Hof
und fand nach einigem Suchen in einem Nebenhause eine stattliche Bauerfrau,
die sich als Wvlauds Ehehälfte zu erkennen gab. Er selbst wäre augenblicklich
nicht zu Hause, aber mir genügte die Hauptsache, die Versicherung, das; sie selbst
zur Nachtherberge uicht eingerichtet wäre, um ohne Säumen meine Schritte
zur Kirche znrückzulcnlen, denn dort waren nnn meine letzten Hoffnungen ver¬
ankert, dort wohnten der Förster und der Jude dicht beieinander -- der Lehrer,
den ich selbst eben in Kremnitz gesprochen hatte, kam als abwesend nicht in Be¬
tracht. Zuerst versuchte ich mein Glück bei dem Revierförster, fand aber nur eine
slowakisch redende Magd zu Hanse, ans der ich mit Mühe die niederschmetternde
Nachricht herausbrachte, daß ihre Herrschaft über Land gefahren sei und erst
gegen Mitternacht zurückerwartet werden dürfe. Mir blieb also nur "der Jude."
dessen Schenke ich nun aufsuchte, aber nur um auch hier zu erfahren, daß er kein Bett
für mich habe. Was nun? Ich ließ mir einen Wein geben und nahm anf
einer Bank im Gastzimmer Platz, unter einem Hausen schafbcpelztcr Bauern,
in fortwährender Gefahr, Zeuge einer Prügelei zu werden, mit welcher ein voll-
stündig Betrunkener seinen gelassen dasitzenden Widersacher, vor dem er die Fäuste
schüttelnd umhertvbte, bedrohte. Das war also das gelobte Krickerhciu, in dem
ich friedlich mein Zelt aufschlagen wollte. Eine Stadt von dreitausend Seelen,
in der keine Unterkunft zu finden war, nicht etwa, weil alle Gasthäuser bis auf das
letzte Zimmer besetzt gewesen wären, sondern einfach weil kein einziges solches
Zimmer vorhanden war. Sollte ich etwa die Gastfreundschaft eines der Schafpelze
in Anspruch nehmen müssen? Als ich so in Gedanken dasaß, öffnete sich die Thür,
ein noch junger, städtisch gekleideter Mann mit angenehmem Gesicht trat herein
und begriißte mich herzlich. Es war kein andrer als Wvland selbst, der anf die
Kunde meiner Ankunft herbeigeeilt war, um mir aus der Not zu helfen. Bald
darauf erfuhren wir, daß auch der Förster nun doch schon früher heimgekehrt
sei, und machten uus beide auf den Weg hinüber. Die beiden jungen Leute,
er ein Böhme, ein kleiner Mann mit schwarzem Vollbart, seine Gattin aus
Preßburg, hießen mich willkommen und stellten mir sogleich ihre zwei besten
Zimmer zur Verfügung.

Das Haus des Nevicrförsters Nachtnebel mußte mir in der That wie eine
Oase in der Wüste erscheinen. Wenn auch vou außen klein, einstöckig und un-
scheinbar, bot es doch mit seiner Veranda und seinen Blumenranken einen
freundlichen Anblick und war im Innern durchaus behaglich modern eingerichtet.
Meine beiden Stuben waren mit Mahagonimöbcln, offenbar den Hauptstücken'


Grenzboten IV. 1886. 10
Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

dächern beschirmten Gcschlechtshäusern hin, bald den erst neuerdings vom
Wildwasser mit Geröll beschütteten Bach entlang, bald auf sportsmäßig ge¬
nommenen Steinblöcken hinüber, dann stand ich erstaunt vor einem stattlichen
Hofe, dessen Vorderseite fast ganz dnrch ein langes, hochragendes, massives
Wohngebäude eingenommen war. Es war das Ziel meiner Reise, das
Haus des Postmeisters Wvland. Ich trat durch das Thor in deu Hof
und fand nach einigem Suchen in einem Nebenhause eine stattliche Bauerfrau,
die sich als Wvlauds Ehehälfte zu erkennen gab. Er selbst wäre augenblicklich
nicht zu Hause, aber mir genügte die Hauptsache, die Versicherung, das; sie selbst
zur Nachtherberge uicht eingerichtet wäre, um ohne Säumen meine Schritte
zur Kirche znrückzulcnlen, denn dort waren nnn meine letzten Hoffnungen ver¬
ankert, dort wohnten der Förster und der Jude dicht beieinander — der Lehrer,
den ich selbst eben in Kremnitz gesprochen hatte, kam als abwesend nicht in Be¬
tracht. Zuerst versuchte ich mein Glück bei dem Revierförster, fand aber nur eine
slowakisch redende Magd zu Hanse, ans der ich mit Mühe die niederschmetternde
Nachricht herausbrachte, daß ihre Herrschaft über Land gefahren sei und erst
gegen Mitternacht zurückerwartet werden dürfe. Mir blieb also nur „der Jude."
dessen Schenke ich nun aufsuchte, aber nur um auch hier zu erfahren, daß er kein Bett
für mich habe. Was nun? Ich ließ mir einen Wein geben und nahm anf
einer Bank im Gastzimmer Platz, unter einem Hausen schafbcpelztcr Bauern,
in fortwährender Gefahr, Zeuge einer Prügelei zu werden, mit welcher ein voll-
stündig Betrunkener seinen gelassen dasitzenden Widersacher, vor dem er die Fäuste
schüttelnd umhertvbte, bedrohte. Das war also das gelobte Krickerhciu, in dem
ich friedlich mein Zelt aufschlagen wollte. Eine Stadt von dreitausend Seelen,
in der keine Unterkunft zu finden war, nicht etwa, weil alle Gasthäuser bis auf das
letzte Zimmer besetzt gewesen wären, sondern einfach weil kein einziges solches
Zimmer vorhanden war. Sollte ich etwa die Gastfreundschaft eines der Schafpelze
in Anspruch nehmen müssen? Als ich so in Gedanken dasaß, öffnete sich die Thür,
ein noch junger, städtisch gekleideter Mann mit angenehmem Gesicht trat herein
und begriißte mich herzlich. Es war kein andrer als Wvland selbst, der anf die
Kunde meiner Ankunft herbeigeeilt war, um mir aus der Not zu helfen. Bald
darauf erfuhren wir, daß auch der Förster nun doch schon früher heimgekehrt
sei, und machten uus beide auf den Weg hinüber. Die beiden jungen Leute,
er ein Böhme, ein kleiner Mann mit schwarzem Vollbart, seine Gattin aus
Preßburg, hießen mich willkommen und stellten mir sogleich ihre zwei besten
Zimmer zur Verfügung.

Das Haus des Nevicrförsters Nachtnebel mußte mir in der That wie eine
Oase in der Wüste erscheinen. Wenn auch vou außen klein, einstöckig und un-
scheinbar, bot es doch mit seiner Veranda und seinen Blumenranken einen
freundlichen Anblick und war im Innern durchaus behaglich modern eingerichtet.
Meine beiden Stuben waren mit Mahagonimöbcln, offenbar den Hauptstücken'


Grenzboten IV. 1886. 10
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[0081] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. dächern beschirmten Gcschlechtshäusern hin, bald den erst neuerdings vom Wildwasser mit Geröll beschütteten Bach entlang, bald auf sportsmäßig ge¬ nommenen Steinblöcken hinüber, dann stand ich erstaunt vor einem stattlichen Hofe, dessen Vorderseite fast ganz dnrch ein langes, hochragendes, massives Wohngebäude eingenommen war. Es war das Ziel meiner Reise, das Haus des Postmeisters Wvland. Ich trat durch das Thor in deu Hof und fand nach einigem Suchen in einem Nebenhause eine stattliche Bauerfrau, die sich als Wvlauds Ehehälfte zu erkennen gab. Er selbst wäre augenblicklich nicht zu Hause, aber mir genügte die Hauptsache, die Versicherung, das; sie selbst zur Nachtherberge uicht eingerichtet wäre, um ohne Säumen meine Schritte zur Kirche znrückzulcnlen, denn dort waren nnn meine letzten Hoffnungen ver¬ ankert, dort wohnten der Förster und der Jude dicht beieinander — der Lehrer, den ich selbst eben in Kremnitz gesprochen hatte, kam als abwesend nicht in Be¬ tracht. Zuerst versuchte ich mein Glück bei dem Revierförster, fand aber nur eine slowakisch redende Magd zu Hanse, ans der ich mit Mühe die niederschmetternde Nachricht herausbrachte, daß ihre Herrschaft über Land gefahren sei und erst gegen Mitternacht zurückerwartet werden dürfe. Mir blieb also nur „der Jude." dessen Schenke ich nun aufsuchte, aber nur um auch hier zu erfahren, daß er kein Bett für mich habe. Was nun? Ich ließ mir einen Wein geben und nahm anf einer Bank im Gastzimmer Platz, unter einem Hausen schafbcpelztcr Bauern, in fortwährender Gefahr, Zeuge einer Prügelei zu werden, mit welcher ein voll- stündig Betrunkener seinen gelassen dasitzenden Widersacher, vor dem er die Fäuste schüttelnd umhertvbte, bedrohte. Das war also das gelobte Krickerhciu, in dem ich friedlich mein Zelt aufschlagen wollte. Eine Stadt von dreitausend Seelen, in der keine Unterkunft zu finden war, nicht etwa, weil alle Gasthäuser bis auf das letzte Zimmer besetzt gewesen wären, sondern einfach weil kein einziges solches Zimmer vorhanden war. Sollte ich etwa die Gastfreundschaft eines der Schafpelze in Anspruch nehmen müssen? Als ich so in Gedanken dasaß, öffnete sich die Thür, ein noch junger, städtisch gekleideter Mann mit angenehmem Gesicht trat herein und begriißte mich herzlich. Es war kein andrer als Wvland selbst, der anf die Kunde meiner Ankunft herbeigeeilt war, um mir aus der Not zu helfen. Bald darauf erfuhren wir, daß auch der Förster nun doch schon früher heimgekehrt sei, und machten uus beide auf den Weg hinüber. Die beiden jungen Leute, er ein Böhme, ein kleiner Mann mit schwarzem Vollbart, seine Gattin aus Preßburg, hießen mich willkommen und stellten mir sogleich ihre zwei besten Zimmer zur Verfügung. Das Haus des Nevicrförsters Nachtnebel mußte mir in der That wie eine Oase in der Wüste erscheinen. Wenn auch vou außen klein, einstöckig und un- scheinbar, bot es doch mit seiner Veranda und seinen Blumenranken einen freundlichen Anblick und war im Innern durchaus behaglich modern eingerichtet. Meine beiden Stuben waren mit Mahagonimöbcln, offenbar den Hauptstücken' Grenzboten IV. 1886. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/81>, abgerufen am 27.09.2024.