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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

ich mich, nicht in der besten Laune, eines schönen Tages bald nach Mittag
auf den Weg nach der gelobten Stadt. Hat man die Schlackenhalden,
welche diese Seite des Kessels bilden, erstiegen, so befindet man sich auf einer
ziemlich offenen Hochebene, über der sich näher und ferner bewaldete Kuppen
und Rücken, nach Osten zu, vor Neusohl, dräuende Bergeshäupter erheben.
In etwa 1^/2 Stunden steigt man zu dem Querschnitt eines kleinen Baches
hinab, an dem sich das Dorf Kunefchhciu, Kunos Han, entlang zieht. Auch hier
die zweistöckigen Geschlechtshänser wie in Gambel, meist mit Stroh gedeckt,
der First nach dänisch-schwedischer und polnischer Art durch paarweise quer
darübergehängte, oben durch einen Holznägel zusammengesteckte Dachreiter
(iumAotrü. dänisch) befestigt. Ich hielt mich in Kuueschhän nicht lange auf und
wurde aus der Schenke, der ich einen Bestich abgestattet, nach kurzen" Verweilen
vertrieben durch die Unmöglichkeit, den mir für einige Kreuzer gereichten Schnaps,
ein verblüffendes Maß verdünnten Spiritus, zu genießen, und das menschen¬
freundliche Bestreben, dem gutmütigen Wirte meine ihm und einem dabeisitzenden
Bauer unbegreifliche Verschmähung als eine durch die Eile gebotene Entsagung
darzustellen. Ich schenkte das herrliche Getränk dem Bauer, der, erst ungläubig,
dann, als über den Ernst meines Schenkivillens kein Zweifel bestehen konnte, in ein
seliges Entzücken geriet, und schied mit dem Bewußtsein, mir hier einen warmen
Freund erworben zu haben. Wieder stand ich auf der Hochebene und setzte
meinen Weg über die Felder fort. Dann mündete der Weg in einen Hochwald
ein, wo er sich sofort teilte und mich in die Verlegenheit einer Wahl brachte,
von der ich den denkbar schlechtesten Gebrauch machte. Nach einer halben Stunde
Steigens befand ich mich am Ende eines Holzweges; Beweis und zwar ein
schlagender: el" ausgedehnter Holzschlag von neben- und übereinander gestürzten
mächtigen Bäumen, die sich dein Fortkommen auf Schritt und Tritt in den
Weg stellte". Zum Glück fand ich ein paar slowakische Hirten, die mich wieder
in die Richtung wiesen. Dann ging es einen ziemlich steilen Abstieg auf der
andern Seite des Waldrückens hinab, bis sich endlich die Landschaft öffnete und
die obersten Felder und Wiesen Krickerhäus sichtbar wurden. Jetzt galt es wieder
weise Vorsicht zu gebrauchen, um nicht am falschen Ende des zwei Stunden lang in
dem quer vorliegenden Thale gelegenen Ortes zum Vorschein zu kommen, denn
die Wege teilten sich fortwährend, und der Ort wie der Zwiebelturm seiner
Kirche blieb bis fast zuletzt vor den Unebenheiten des sich stetig senkenden Ge¬
ländes versteckt. Doch gelang es mir, den Weisungen eines in einen langen
Schafpelz gehüllten Bauers folgend, gerade in der Mitte abzukommen, die, wie
es sich in Ungarn schickt, durch die Kirche und durch das Gewölbe des Juden
bezeichnet wird. Da es schon Abend und keine Zeit zu verlieren war,
fragte ich einige zusammenstehende Weiber nach der Wohnung Wolands,
die, wie ich vernahm, am untern Ende des Dorfes lag. Wieder begann
die Wanderung nach bekannter Weise thalab an hochstöckigen, von Stroh-


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

ich mich, nicht in der besten Laune, eines schönen Tages bald nach Mittag
auf den Weg nach der gelobten Stadt. Hat man die Schlackenhalden,
welche diese Seite des Kessels bilden, erstiegen, so befindet man sich auf einer
ziemlich offenen Hochebene, über der sich näher und ferner bewaldete Kuppen
und Rücken, nach Osten zu, vor Neusohl, dräuende Bergeshäupter erheben.
In etwa 1^/2 Stunden steigt man zu dem Querschnitt eines kleinen Baches
hinab, an dem sich das Dorf Kunefchhciu, Kunos Han, entlang zieht. Auch hier
die zweistöckigen Geschlechtshänser wie in Gambel, meist mit Stroh gedeckt,
der First nach dänisch-schwedischer und polnischer Art durch paarweise quer
darübergehängte, oben durch einen Holznägel zusammengesteckte Dachreiter
(iumAotrü. dänisch) befestigt. Ich hielt mich in Kuueschhän nicht lange auf und
wurde aus der Schenke, der ich einen Bestich abgestattet, nach kurzen« Verweilen
vertrieben durch die Unmöglichkeit, den mir für einige Kreuzer gereichten Schnaps,
ein verblüffendes Maß verdünnten Spiritus, zu genießen, und das menschen¬
freundliche Bestreben, dem gutmütigen Wirte meine ihm und einem dabeisitzenden
Bauer unbegreifliche Verschmähung als eine durch die Eile gebotene Entsagung
darzustellen. Ich schenkte das herrliche Getränk dem Bauer, der, erst ungläubig,
dann, als über den Ernst meines Schenkivillens kein Zweifel bestehen konnte, in ein
seliges Entzücken geriet, und schied mit dem Bewußtsein, mir hier einen warmen
Freund erworben zu haben. Wieder stand ich auf der Hochebene und setzte
meinen Weg über die Felder fort. Dann mündete der Weg in einen Hochwald
ein, wo er sich sofort teilte und mich in die Verlegenheit einer Wahl brachte,
von der ich den denkbar schlechtesten Gebrauch machte. Nach einer halben Stunde
Steigens befand ich mich am Ende eines Holzweges; Beweis und zwar ein
schlagender: el» ausgedehnter Holzschlag von neben- und übereinander gestürzten
mächtigen Bäumen, die sich dein Fortkommen auf Schritt und Tritt in den
Weg stellte». Zum Glück fand ich ein paar slowakische Hirten, die mich wieder
in die Richtung wiesen. Dann ging es einen ziemlich steilen Abstieg auf der
andern Seite des Waldrückens hinab, bis sich endlich die Landschaft öffnete und
die obersten Felder und Wiesen Krickerhäus sichtbar wurden. Jetzt galt es wieder
weise Vorsicht zu gebrauchen, um nicht am falschen Ende des zwei Stunden lang in
dem quer vorliegenden Thale gelegenen Ortes zum Vorschein zu kommen, denn
die Wege teilten sich fortwährend, und der Ort wie der Zwiebelturm seiner
Kirche blieb bis fast zuletzt vor den Unebenheiten des sich stetig senkenden Ge¬
ländes versteckt. Doch gelang es mir, den Weisungen eines in einen langen
Schafpelz gehüllten Bauers folgend, gerade in der Mitte abzukommen, die, wie
es sich in Ungarn schickt, durch die Kirche und durch das Gewölbe des Juden
bezeichnet wird. Da es schon Abend und keine Zeit zu verlieren war,
fragte ich einige zusammenstehende Weiber nach der Wohnung Wolands,
die, wie ich vernahm, am untern Ende des Dorfes lag. Wieder begann
die Wanderung nach bekannter Weise thalab an hochstöckigen, von Stroh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/80>, abgerufen am 27.09.2024.