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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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dieses Aufstieges, auf der höchsten Erhebung desselben, sofern er noch in den
Bereich des Kessels fällt, erhebt sich mit einigen Resten von Bcfestigungsmauern
der alte Dom, häufig die letzte Zuflucht der Bürger in Kriegszeiten. Der
obere Stadtteil, der ältere, schließt sich enger an Dom und Ring, der untere
macht es sich mit seinen Gärten im Grunde bequemer. Die andern Seiten des Kessels
steigen in Schutt- und Schlackenhalden oder Wiescnlchnen ziemlich steil empor.
So malerisch die Stadt sich ausnimmt, so öde und verlassen ist der Eindruck,
den sie im Innern macht, nur an Markt- und Sonntagen belebt sich der Ring
mit den hohen, kräftigen Gestatte" der Bauern in ihrer buntfarbigen Tracht
aus den umliegenden, wenn nicht mehr durchaus der Sprache, so doch der Ab¬
stammung nach deutschen Dörfern. Obgleich die Stadt etwa 10 000 Einwohner
zählt, findet man doch in ihren Wirtshäusern, oder vielmehr im "Hirsch," dem
ersten, wohl nach unsern Begriffen einzigen städtischen Gasthofe, in den man
mich gewiesen hatte, kaum die Bequemlichkeiten, die man in den bessern Wirtschaften
der reichern Dörfer meines engern braunschweigischen Vaterlandes genießt. Daß
das Anwesen, wie es kastellmäßig in Wohn- und Wirtschaftsgebäuden den
innenliegenden Hof umschloß, nach echt ungarischer Weise nur einstöckig war,
darüber hätten mich meine Erfahrungen aus Szegedin und andern Orten
trösten können, wo ich unter gleichen Verhältnissen sehr gut aufgehoben war; auch
der anstoßende Garten war weit und geräumig, um der Küche alles Wünschens¬
werte zu liefern; aber das Ganze machte einen ebenso verkommenen Eindruck wie
die Stadt selbst, woran die Erklärung, daß die Hausfrau nach dem Tode ihres
Mannes den Geschmack am Wirtschaften verloren habe, für mich nichts besserte.
Ich persönlich hatte noch das besondre Unglück, daß mein Geburtstag in die
Tage meines Aufenthaltes siel, und daß mich der Haber stach, denselben durch einen
Nachmittagskaffee feiern zu wollen, gewiß, wird man meinen, ein bescheidener
und leicht zu erfüllender Wunsch. Ich drückte mein Begehren dem Kellner aus,
aber aus der Küche erscholl der Bescheid, daß vor Abends grundsätzlich kein
Feuer auf dem Herde angezündet werde. Somit verließ ich das ungastliche
Haus und begab mich innerhalb der Bannmeile der Stadt auf die Suche.
Nachdem ich an zwei weitern Stellen -- ich bitte, mir den Ausdruck "Wirtschaft"
erlassen zu wollen -- vergeblich angeklopft, wurde ich endlich von einem ältern
Herrn nach einer entlegenen Gasse gewiesen, auf der sich ein "Kaffeehaus"
finden sollte. Ich fand ein unscheinbares und verdächtig aussehendes Hänschen
ohne Schild oder sonstiges Kaffeezeichen, trat indes, auf die Gerechtigkeit meiner
Sache vertrauend, ein und wurde außer von einer ältern Vettel von einem jungen
"Freilein" bewillkommnet, die vielleicht nach K. Frcnzcls Urteil künstlerisch an¬
sprechend, indes, wohl durch deu hohen Thermometerstand entschuldigt, nicht
recht zulänglich bekleidet war. eine Hebe, welche allerdings manches bei den
obern und untern Göttern feil hatte, aber nicht den gewünschten Nektar, weshalb
ich eiligst das Hasenpanier ergriff. Ich beschloß meinen Geburtstag ohne Kaffee.


dieses Aufstieges, auf der höchsten Erhebung desselben, sofern er noch in den
Bereich des Kessels fällt, erhebt sich mit einigen Resten von Bcfestigungsmauern
der alte Dom, häufig die letzte Zuflucht der Bürger in Kriegszeiten. Der
obere Stadtteil, der ältere, schließt sich enger an Dom und Ring, der untere
macht es sich mit seinen Gärten im Grunde bequemer. Die andern Seiten des Kessels
steigen in Schutt- und Schlackenhalden oder Wiescnlchnen ziemlich steil empor.
So malerisch die Stadt sich ausnimmt, so öde und verlassen ist der Eindruck,
den sie im Innern macht, nur an Markt- und Sonntagen belebt sich der Ring
mit den hohen, kräftigen Gestatte» der Bauern in ihrer buntfarbigen Tracht
aus den umliegenden, wenn nicht mehr durchaus der Sprache, so doch der Ab¬
stammung nach deutschen Dörfern. Obgleich die Stadt etwa 10 000 Einwohner
zählt, findet man doch in ihren Wirtshäusern, oder vielmehr im „Hirsch," dem
ersten, wohl nach unsern Begriffen einzigen städtischen Gasthofe, in den man
mich gewiesen hatte, kaum die Bequemlichkeiten, die man in den bessern Wirtschaften
der reichern Dörfer meines engern braunschweigischen Vaterlandes genießt. Daß
das Anwesen, wie es kastellmäßig in Wohn- und Wirtschaftsgebäuden den
innenliegenden Hof umschloß, nach echt ungarischer Weise nur einstöckig war,
darüber hätten mich meine Erfahrungen aus Szegedin und andern Orten
trösten können, wo ich unter gleichen Verhältnissen sehr gut aufgehoben war; auch
der anstoßende Garten war weit und geräumig, um der Küche alles Wünschens¬
werte zu liefern; aber das Ganze machte einen ebenso verkommenen Eindruck wie
die Stadt selbst, woran die Erklärung, daß die Hausfrau nach dem Tode ihres
Mannes den Geschmack am Wirtschaften verloren habe, für mich nichts besserte.
Ich persönlich hatte noch das besondre Unglück, daß mein Geburtstag in die
Tage meines Aufenthaltes siel, und daß mich der Haber stach, denselben durch einen
Nachmittagskaffee feiern zu wollen, gewiß, wird man meinen, ein bescheidener
und leicht zu erfüllender Wunsch. Ich drückte mein Begehren dem Kellner aus,
aber aus der Küche erscholl der Bescheid, daß vor Abends grundsätzlich kein
Feuer auf dem Herde angezündet werde. Somit verließ ich das ungastliche
Haus und begab mich innerhalb der Bannmeile der Stadt auf die Suche.
Nachdem ich an zwei weitern Stellen — ich bitte, mir den Ausdruck „Wirtschaft"
erlassen zu wollen — vergeblich angeklopft, wurde ich endlich von einem ältern
Herrn nach einer entlegenen Gasse gewiesen, auf der sich ein „Kaffeehaus"
finden sollte. Ich fand ein unscheinbares und verdächtig aussehendes Hänschen
ohne Schild oder sonstiges Kaffeezeichen, trat indes, auf die Gerechtigkeit meiner
Sache vertrauend, ein und wurde außer von einer ältern Vettel von einem jungen
„Freilein" bewillkommnet, die vielleicht nach K. Frcnzcls Urteil künstlerisch an¬
sprechend, indes, wohl durch deu hohen Thermometerstand entschuldigt, nicht
recht zulänglich bekleidet war. eine Hebe, welche allerdings manches bei den
obern und untern Göttern feil hatte, aber nicht den gewünschten Nektar, weshalb
ich eiligst das Hasenpanier ergriff. Ich beschloß meinen Geburtstag ohne Kaffee.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/77>, abgerufen am 27.09.2024.