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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Schwaben.

bei denen aus diesem oder jenem Grunde die Abneigung gegen den neuen po¬
litischen Zustand Deutschlands überwiegt, in dem Hinweise auf die dem nächst¬
liegenden schwäbischen Sonderinteresse abverlangten Opfer das stets bereite
Mittel finden zu radikal-oppositioneller Agitation. Der Ultramontanismus,
dem heiligen Stuhle gegenüber zur Hingabe jeder "berechtigten Eigentümlichkeit"
stets bereit, stellt es als ein Verbrechen dar. wenn im Namen der Nation der
geringste Verzicht auf "Eigentümlichkeiten" verlangt wird. Die Sozialdemokratie,
welche grundsätzlich daraus ausgeht, jede besondre Charaktereigentümlichkeit zu
toten und welche die ganze Menschheit womöglich, durch Verabsolutiruug der
materiellen Interessen, in ein einziges eintönig-graues, kauendes Ungeheuer ver¬
wandeln möchte, auch sie achtet es für Raub, wenn dem Teile zugemutet wird,
dem Ganzen Opfer zu bringen. Nun vollends die bürgerliche Demokratie,
unsre Volkspartei! Sie ist schwäbisches Gewächs, haftet an dem Boden, dem
sie entsprossen ist, und darf Partikularistische Neigungen als ihr natürliches Erb¬
teil betrachten. Ja es treten dieselben oft mit solchem Übergewicht auf, daß
diese Volksmänner, ähnlich einer verwandten Art in Hannover, dem republikanischen
Ideal den Rücken kehren, die revolutionäre Fahne hübsch gefaltet in die Tasche
stecken und je nach Lage der Umstände sich als gouvernementale und Hof¬
demokraten aufspielen. "Hie gut Würtemberg allewege!" wird dann, mit ver¬
fälschtem Sinne, das Feldgeschrei im Kampfe gegen die nationalen Interessen.
Die einfache Logik dieser Thatsachen trieb zu einer Vereinigung aller Elemente,
in deren Gefühl das nationale Interesse andre, ihm widerstrebende, überwog.
Die "deutsche Partei" sollte der Ausdruck dieser Vereinigung sein. Eine eigent¬
liche Partei war das nicht. Die aus der Natur eines fortschreitenden Staats¬
lebens sich notwendig ergebenden Gegensätze sollten in den Hintergrund treten,
um den Blick aufs Ganze uicht zu stören. Selbst der zunächst sich auf¬
drängende Gegensatz, mit dem man gegen den Partikularismus Front gemacht
hätte, der Gegensatz einer zentralisirenden zu einer mehr föderativem Politik
sollte und mußte unbekannt bleiben. Man teilte sich eine durchaus passive Rolle
zu; die "deutsche Partei" war im Grunde ein apologetischer Verein. "Auch
wir -- so wurde dem Partikularismus gegenüber in tausendfachen Wendungen
wiederholt --, auch wir wären gern unter uns Schwaben geblieben, aber in
einer Welt, worin es auch Franzosen, Russen u. s. w. giebt, die den Fried¬
fertigsten nicht immer unbehelligt lasten, geht das nun einmal nicht an; unsre
materiellen und ideellen Interessen bedürfen eines starken Schutzes, den wir nur
in einem geeinigten deutschen Reiche finden können. Für diesen Schutz müssen
wir selbstverständlich bezahlen, aber, beim Lichte besehen, gewinnen wir doch
"och immer. Freilich ist es Bismarck, der die Rechnung macht, aber um alle
diese Dinge in Ordnung zu bringen, brauchten wir einen großen Mann, und
wo habt ihr einen wie er?" Vor einem Jahrzehnt noch mochte dieses Thema
und diese Predigt der Sachlage entsprechend sein. Heute ergeben sich gewichtige


Grenzlwtcn IV. 1886. 81
Aus Schwaben.

bei denen aus diesem oder jenem Grunde die Abneigung gegen den neuen po¬
litischen Zustand Deutschlands überwiegt, in dem Hinweise auf die dem nächst¬
liegenden schwäbischen Sonderinteresse abverlangten Opfer das stets bereite
Mittel finden zu radikal-oppositioneller Agitation. Der Ultramontanismus,
dem heiligen Stuhle gegenüber zur Hingabe jeder „berechtigten Eigentümlichkeit"
stets bereit, stellt es als ein Verbrechen dar. wenn im Namen der Nation der
geringste Verzicht auf „Eigentümlichkeiten" verlangt wird. Die Sozialdemokratie,
welche grundsätzlich daraus ausgeht, jede besondre Charaktereigentümlichkeit zu
toten und welche die ganze Menschheit womöglich, durch Verabsolutiruug der
materiellen Interessen, in ein einziges eintönig-graues, kauendes Ungeheuer ver¬
wandeln möchte, auch sie achtet es für Raub, wenn dem Teile zugemutet wird,
dem Ganzen Opfer zu bringen. Nun vollends die bürgerliche Demokratie,
unsre Volkspartei! Sie ist schwäbisches Gewächs, haftet an dem Boden, dem
sie entsprossen ist, und darf Partikularistische Neigungen als ihr natürliches Erb¬
teil betrachten. Ja es treten dieselben oft mit solchem Übergewicht auf, daß
diese Volksmänner, ähnlich einer verwandten Art in Hannover, dem republikanischen
Ideal den Rücken kehren, die revolutionäre Fahne hübsch gefaltet in die Tasche
stecken und je nach Lage der Umstände sich als gouvernementale und Hof¬
demokraten aufspielen. „Hie gut Würtemberg allewege!" wird dann, mit ver¬
fälschtem Sinne, das Feldgeschrei im Kampfe gegen die nationalen Interessen.
Die einfache Logik dieser Thatsachen trieb zu einer Vereinigung aller Elemente,
in deren Gefühl das nationale Interesse andre, ihm widerstrebende, überwog.
Die „deutsche Partei" sollte der Ausdruck dieser Vereinigung sein. Eine eigent¬
liche Partei war das nicht. Die aus der Natur eines fortschreitenden Staats¬
lebens sich notwendig ergebenden Gegensätze sollten in den Hintergrund treten,
um den Blick aufs Ganze uicht zu stören. Selbst der zunächst sich auf¬
drängende Gegensatz, mit dem man gegen den Partikularismus Front gemacht
hätte, der Gegensatz einer zentralisirenden zu einer mehr föderativem Politik
sollte und mußte unbekannt bleiben. Man teilte sich eine durchaus passive Rolle
zu; die „deutsche Partei" war im Grunde ein apologetischer Verein. „Auch
wir — so wurde dem Partikularismus gegenüber in tausendfachen Wendungen
wiederholt —, auch wir wären gern unter uns Schwaben geblieben, aber in
einer Welt, worin es auch Franzosen, Russen u. s. w. giebt, die den Fried¬
fertigsten nicht immer unbehelligt lasten, geht das nun einmal nicht an; unsre
materiellen und ideellen Interessen bedürfen eines starken Schutzes, den wir nur
in einem geeinigten deutschen Reiche finden können. Für diesen Schutz müssen
wir selbstverständlich bezahlen, aber, beim Lichte besehen, gewinnen wir doch
»och immer. Freilich ist es Bismarck, der die Rechnung macht, aber um alle
diese Dinge in Ordnung zu bringen, brauchten wir einen großen Mann, und
wo habt ihr einen wie er?" Vor einem Jahrzehnt noch mochte dieses Thema
und diese Predigt der Sachlage entsprechend sein. Heute ergeben sich gewichtige


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[0649] Aus Schwaben. bei denen aus diesem oder jenem Grunde die Abneigung gegen den neuen po¬ litischen Zustand Deutschlands überwiegt, in dem Hinweise auf die dem nächst¬ liegenden schwäbischen Sonderinteresse abverlangten Opfer das stets bereite Mittel finden zu radikal-oppositioneller Agitation. Der Ultramontanismus, dem heiligen Stuhle gegenüber zur Hingabe jeder „berechtigten Eigentümlichkeit" stets bereit, stellt es als ein Verbrechen dar. wenn im Namen der Nation der geringste Verzicht auf „Eigentümlichkeiten" verlangt wird. Die Sozialdemokratie, welche grundsätzlich daraus ausgeht, jede besondre Charaktereigentümlichkeit zu toten und welche die ganze Menschheit womöglich, durch Verabsolutiruug der materiellen Interessen, in ein einziges eintönig-graues, kauendes Ungeheuer ver¬ wandeln möchte, auch sie achtet es für Raub, wenn dem Teile zugemutet wird, dem Ganzen Opfer zu bringen. Nun vollends die bürgerliche Demokratie, unsre Volkspartei! Sie ist schwäbisches Gewächs, haftet an dem Boden, dem sie entsprossen ist, und darf Partikularistische Neigungen als ihr natürliches Erb¬ teil betrachten. Ja es treten dieselben oft mit solchem Übergewicht auf, daß diese Volksmänner, ähnlich einer verwandten Art in Hannover, dem republikanischen Ideal den Rücken kehren, die revolutionäre Fahne hübsch gefaltet in die Tasche stecken und je nach Lage der Umstände sich als gouvernementale und Hof¬ demokraten aufspielen. „Hie gut Würtemberg allewege!" wird dann, mit ver¬ fälschtem Sinne, das Feldgeschrei im Kampfe gegen die nationalen Interessen. Die einfache Logik dieser Thatsachen trieb zu einer Vereinigung aller Elemente, in deren Gefühl das nationale Interesse andre, ihm widerstrebende, überwog. Die „deutsche Partei" sollte der Ausdruck dieser Vereinigung sein. Eine eigent¬ liche Partei war das nicht. Die aus der Natur eines fortschreitenden Staats¬ lebens sich notwendig ergebenden Gegensätze sollten in den Hintergrund treten, um den Blick aufs Ganze uicht zu stören. Selbst der zunächst sich auf¬ drängende Gegensatz, mit dem man gegen den Partikularismus Front gemacht hätte, der Gegensatz einer zentralisirenden zu einer mehr föderativem Politik sollte und mußte unbekannt bleiben. Man teilte sich eine durchaus passive Rolle zu; die „deutsche Partei" war im Grunde ein apologetischer Verein. „Auch wir — so wurde dem Partikularismus gegenüber in tausendfachen Wendungen wiederholt —, auch wir wären gern unter uns Schwaben geblieben, aber in einer Welt, worin es auch Franzosen, Russen u. s. w. giebt, die den Fried¬ fertigsten nicht immer unbehelligt lasten, geht das nun einmal nicht an; unsre materiellen und ideellen Interessen bedürfen eines starken Schutzes, den wir nur in einem geeinigten deutschen Reiche finden können. Für diesen Schutz müssen wir selbstverständlich bezahlen, aber, beim Lichte besehen, gewinnen wir doch »och immer. Freilich ist es Bismarck, der die Rechnung macht, aber um alle diese Dinge in Ordnung zu bringen, brauchten wir einen großen Mann, und wo habt ihr einen wie er?" Vor einem Jahrzehnt noch mochte dieses Thema und diese Predigt der Sachlage entsprechend sein. Heute ergeben sich gewichtige Grenzlwtcn IV. 1886. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/649>, abgerufen am 20.10.2024.