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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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und abgefahren, und das Rollbahngelcise vorgestreckt. Hierauf beginnt die
Bohrarbeit von neuem, nachdem in der Zwischenzeit die Bohrmaschinen gereinigt
und kleine Ausbesserungen daran vorgenommen sind. Für die Bohrung, sowie
für das Abschießen und Wegräumen waren durchschnittlich je vier Stunden er¬
forderlich. Doch wurde die dazu nötige Zeit immer mehr abgekürzt, sodaß man
bei günstigen Verhältnissen für den Tag sogar bis zu vier Angriffen mit einem
Fortschritt von vier Metern gelangte. Dieses Ergebnis war im Vergleich mit
dem der Montcenisbvhruug ein überaus günstiges. Es hing zusammen teils
damit, daß mau beim Gotthard nicht Pulver, sondern Dynamik verwendete, teils
mit der stets fortschreitenden Verbesserung der Bohrmaschinen und der nach und
nach sich einstellenden größern Übung der Arbeiter. In dem Tunnel wurde
Tag und Nacht, Werktag und Sonntag gearbeitet. Nur bei Unfällen wurde die
Arbeit unterbrochen. Die Mannschaft arbeitete in achtstündige" Schichten. Die
Zahl der Arbeiter zählte anfangs nur uach Hunderten. Bereits in der Mitte
des Jahres 1874 waren aber auf jeder Seite mehr als tausend Arbeiter be¬
schäftigt. Zeitweise reichte ihre Zahl nahe an das zweite Tausend heran. Die
Arbeiter waren größtenteils Italiener.

Den Firststollen, der dem Tunnel die Richtung gab, trieb der Unternehmer
eifrig vorwärts. Dagegen blieben die Erweiteruugsarbeiten gegen das aufgestellte
Arbeitsprogramm fast durchweg zurück. Noch mehr blieb die Ausmauerung,
mit der auf beiden Seiten im Juni 1.874 begonnen wurde, im Rückstände. Die
Hindernisse, welche dein Fortgange der Arbeiten vorzugsweise Schwierigkeiten
bereiteten, lagen in der Beschaffenheit des Gesteins, dem hervorbrechenden Wasser
und der zunehmenden Hitze im Tunnel.

Auf der Nordseite traf mau auf härteres Gestein als auf der Südseite,
und deshalb gingen auf letzterer die Arbeiten anfangs schneller vorwärts.
Während man aber auf der Nordseite nur wenig Wasser fand, hatte die Süd¬
seite bald unter starken: Wasferandraug zu leiden. Schon zu Anfang des Jahres
1873 zeigten sich die Schichten ungemein naß. Bald aber stürzten wahre
Wildbäche den Arbeitern entgegen. Im September betrug der mit großem Druck
in deu Stollen tretende Wasserabfluß bereits 195 Liter in der Sekunde. Die
Arbeiter mußten stundenlang oft fußtief im abfließenden Wasser stehen. Sie
wurden deshalb mit ledernen Kleidern versehen und erhielten besondre Prämien.
Noch schlimmer wurde es in den folgenden Jahren. Mächtige Wasserstrahlen
stürzten aus dem eröffnete" Gestein hervor, sodaß der Wasserabfluß sich im
Juli des Jahres 1875 bis zu 348 Liter in der Sekunde steigerte. Von da
nahm er wieder etwas ab. Man mußte dieses Wasser in provisorischen Holz¬
kanälen ableiten. Natürlich wurden dadurch die Arbeiten sehr erschwert. Um
ein größeres Gefüllc zu erzielen, beschloß man die Steigung des Tunnels auf
der Südseite von 1 auf 2 per Tausend zu erhöhen. Dadurch wurden wieder
nachträgliche Ausbruchsarbeiteu nötig, die zum Teil sehr mühsam waren.


und abgefahren, und das Rollbahngelcise vorgestreckt. Hierauf beginnt die
Bohrarbeit von neuem, nachdem in der Zwischenzeit die Bohrmaschinen gereinigt
und kleine Ausbesserungen daran vorgenommen sind. Für die Bohrung, sowie
für das Abschießen und Wegräumen waren durchschnittlich je vier Stunden er¬
forderlich. Doch wurde die dazu nötige Zeit immer mehr abgekürzt, sodaß man
bei günstigen Verhältnissen für den Tag sogar bis zu vier Angriffen mit einem
Fortschritt von vier Metern gelangte. Dieses Ergebnis war im Vergleich mit
dem der Montcenisbvhruug ein überaus günstiges. Es hing zusammen teils
damit, daß mau beim Gotthard nicht Pulver, sondern Dynamik verwendete, teils
mit der stets fortschreitenden Verbesserung der Bohrmaschinen und der nach und
nach sich einstellenden größern Übung der Arbeiter. In dem Tunnel wurde
Tag und Nacht, Werktag und Sonntag gearbeitet. Nur bei Unfällen wurde die
Arbeit unterbrochen. Die Mannschaft arbeitete in achtstündige« Schichten. Die
Zahl der Arbeiter zählte anfangs nur uach Hunderten. Bereits in der Mitte
des Jahres 1874 waren aber auf jeder Seite mehr als tausend Arbeiter be¬
schäftigt. Zeitweise reichte ihre Zahl nahe an das zweite Tausend heran. Die
Arbeiter waren größtenteils Italiener.

Den Firststollen, der dem Tunnel die Richtung gab, trieb der Unternehmer
eifrig vorwärts. Dagegen blieben die Erweiteruugsarbeiten gegen das aufgestellte
Arbeitsprogramm fast durchweg zurück. Noch mehr blieb die Ausmauerung,
mit der auf beiden Seiten im Juni 1.874 begonnen wurde, im Rückstände. Die
Hindernisse, welche dein Fortgange der Arbeiten vorzugsweise Schwierigkeiten
bereiteten, lagen in der Beschaffenheit des Gesteins, dem hervorbrechenden Wasser
und der zunehmenden Hitze im Tunnel.

Auf der Nordseite traf mau auf härteres Gestein als auf der Südseite,
und deshalb gingen auf letzterer die Arbeiten anfangs schneller vorwärts.
Während man aber auf der Nordseite nur wenig Wasser fand, hatte die Süd¬
seite bald unter starken: Wasferandraug zu leiden. Schon zu Anfang des Jahres
1873 zeigten sich die Schichten ungemein naß. Bald aber stürzten wahre
Wildbäche den Arbeitern entgegen. Im September betrug der mit großem Druck
in deu Stollen tretende Wasserabfluß bereits 195 Liter in der Sekunde. Die
Arbeiter mußten stundenlang oft fußtief im abfließenden Wasser stehen. Sie
wurden deshalb mit ledernen Kleidern versehen und erhielten besondre Prämien.
Noch schlimmer wurde es in den folgenden Jahren. Mächtige Wasserstrahlen
stürzten aus dem eröffnete» Gestein hervor, sodaß der Wasserabfluß sich im
Juli des Jahres 1875 bis zu 348 Liter in der Sekunde steigerte. Von da
nahm er wieder etwas ab. Man mußte dieses Wasser in provisorischen Holz¬
kanälen ableiten. Natürlich wurden dadurch die Arbeiten sehr erschwert. Um
ein größeres Gefüllc zu erzielen, beschloß man die Steigung des Tunnels auf
der Südseite von 1 auf 2 per Tausend zu erhöhen. Dadurch wurden wieder
nachträgliche Ausbruchsarbeiteu nötig, die zum Teil sehr mühsam waren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/642>, abgerufen am 20.10.2024.