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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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pfohlen werden darf. Dieser Gedanke läßt sich kurz i" die Worte zusammen¬
fassen: Autonomie nicht uach Ländern, sondern, soweit irgend möglich, nach
Nationalitäten, Nationallandtage und über denselben für die allgemeinen An¬
gelegenheiten Cisleithaniens der Neichsrat als Zentralparlament, kein Födera¬
lismus, keine historisch-politischen Individualitäten, sondern ein nach ethno¬
graphischen Rücksichten gegliederter Organismus. Nach diesen Grundzügen
würden die jetzt vielfach unnatürlichen Grenzen der Länder mit gemischter Be¬
völkerung wegfallen und Gruppen von möglichst rein nationaler Natur ge¬
schaffen werden, eine deutsche, die alle Deutschen der österreichischen Alpen-,
Donau- und Sudetenländer, eine tschechische, welche alle Tschechen Böhmens,
Mährens und Schlesiens umfaßte, eine polnische, eine ruthenische und eine
slowenische. Später wäre dies auf Transleithcmien auszudehnen. Die Gruppen
hätten sich durch ihre Vertretungen selbst zu verwalten, soweit ihre besondern
Interessen in Frage kommen, und erhielte" neben ihren Provinziallandtagen
Provinzialrcgierungen und, soweit es thunlich, niedere Verwaltungsbehörden mit
Beamten ihrer Sprache. Das Deutsche bliebe für alle die Staatssprache, d. h.
die Sprache des Heeres, des Auswärtigen Amtes, des Neichsrates und aller
auf das Reich als Ganzes bezüglichen Angelegenheiten. Die Durchführung
dieses Gedankens würde unleugbar großen Schwierigkeiten begegnen, unter
andern finanziellen, aber Wohl keinen unüberwindlichen. Kein Preis würde zu hoch
sein, wenn er, wie zu erwarten wäre, durch den Erfolg, durch den mit ihm be¬
zahlten Frieden zwischen den Nationalitäten und durch die endgiltige Befestigung
des Reiches verzinst und amortisirt würde.

Inzwischen werden die österreichischen Deutschen sich in größerer Zahl, als
bisher bereits geschehen ist, entschließen müssen, andern Führern zu folgen, als
denen, durch die sie ein Vierteljahrhundert hindurch immer von neuem zu natio¬
nalen Niederlagen und Verlusten geführt worden sind. Die Geschichte der Ver¬
fassungspartei, dieser österreichischen Zwillingsschwester unsrer deutschfreisinnigeu
Partei mit ihrem talmigolduen Deutschtum, ihrem unfruchtbaren, halb advokaten-
hafteu, halb prvfessorlichen Liberalismus und ihrer aus Manchester geholte",
nur dem Kapitalismus und dessen Hauptvertretern, den jüdischen Finanziers,
zu Gute kommenden Weisheit ist eine Kette von Beweisen, daß sie unfähig
ist, mit Erfolg zu regieren und Österreich zu wirtschaftlicher Wohlfahrt und
nationalem Frieden zu verhelfen. Sie konnte nur zersetze", nicht einigen.
Am Nuder war sie eine Parteiregierung, der das Volk nichts als eine Masse
war, geschaffen, dem Ehrgeiz und Eigennutz seiner Führer zu dienen; von der
Herrschaft verdrängt, wurde sie zu fattiöser Opposition. Es wäre verlockend,
die einstigen Neichsrcite aufzuzählen, die zugleich Verwaltuugsrüte bei einer
oder mehreren der Schwindelbanken waren, welche in der von ihrer Partei
hervorgerufenen Periode des Gründertums das Volk aussaugten, während
andre Parlamentarier ihres Schlages, andre "Volksmänner" im Rohre des


pfohlen werden darf. Dieser Gedanke läßt sich kurz i» die Worte zusammen¬
fassen: Autonomie nicht uach Ländern, sondern, soweit irgend möglich, nach
Nationalitäten, Nationallandtage und über denselben für die allgemeinen An¬
gelegenheiten Cisleithaniens der Neichsrat als Zentralparlament, kein Födera¬
lismus, keine historisch-politischen Individualitäten, sondern ein nach ethno¬
graphischen Rücksichten gegliederter Organismus. Nach diesen Grundzügen
würden die jetzt vielfach unnatürlichen Grenzen der Länder mit gemischter Be¬
völkerung wegfallen und Gruppen von möglichst rein nationaler Natur ge¬
schaffen werden, eine deutsche, die alle Deutschen der österreichischen Alpen-,
Donau- und Sudetenländer, eine tschechische, welche alle Tschechen Böhmens,
Mährens und Schlesiens umfaßte, eine polnische, eine ruthenische und eine
slowenische. Später wäre dies auf Transleithcmien auszudehnen. Die Gruppen
hätten sich durch ihre Vertretungen selbst zu verwalten, soweit ihre besondern
Interessen in Frage kommen, und erhielte» neben ihren Provinziallandtagen
Provinzialrcgierungen und, soweit es thunlich, niedere Verwaltungsbehörden mit
Beamten ihrer Sprache. Das Deutsche bliebe für alle die Staatssprache, d. h.
die Sprache des Heeres, des Auswärtigen Amtes, des Neichsrates und aller
auf das Reich als Ganzes bezüglichen Angelegenheiten. Die Durchführung
dieses Gedankens würde unleugbar großen Schwierigkeiten begegnen, unter
andern finanziellen, aber Wohl keinen unüberwindlichen. Kein Preis würde zu hoch
sein, wenn er, wie zu erwarten wäre, durch den Erfolg, durch den mit ihm be¬
zahlten Frieden zwischen den Nationalitäten und durch die endgiltige Befestigung
des Reiches verzinst und amortisirt würde.

Inzwischen werden die österreichischen Deutschen sich in größerer Zahl, als
bisher bereits geschehen ist, entschließen müssen, andern Führern zu folgen, als
denen, durch die sie ein Vierteljahrhundert hindurch immer von neuem zu natio¬
nalen Niederlagen und Verlusten geführt worden sind. Die Geschichte der Ver¬
fassungspartei, dieser österreichischen Zwillingsschwester unsrer deutschfreisinnigeu
Partei mit ihrem talmigolduen Deutschtum, ihrem unfruchtbaren, halb advokaten-
hafteu, halb prvfessorlichen Liberalismus und ihrer aus Manchester geholte»,
nur dem Kapitalismus und dessen Hauptvertretern, den jüdischen Finanziers,
zu Gute kommenden Weisheit ist eine Kette von Beweisen, daß sie unfähig
ist, mit Erfolg zu regieren und Österreich zu wirtschaftlicher Wohlfahrt und
nationalem Frieden zu verhelfen. Sie konnte nur zersetze», nicht einigen.
Am Nuder war sie eine Parteiregierung, der das Volk nichts als eine Masse
war, geschaffen, dem Ehrgeiz und Eigennutz seiner Führer zu dienen; von der
Herrschaft verdrängt, wurde sie zu fattiöser Opposition. Es wäre verlockend,
die einstigen Neichsrcite aufzuzählen, die zugleich Verwaltuugsrüte bei einer
oder mehreren der Schwindelbanken waren, welche in der von ihrer Partei
hervorgerufenen Periode des Gründertums das Volk aussaugten, während
andre Parlamentarier ihres Schlages, andre „Volksmänner" im Rohre des


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[0636] pfohlen werden darf. Dieser Gedanke läßt sich kurz i» die Worte zusammen¬ fassen: Autonomie nicht uach Ländern, sondern, soweit irgend möglich, nach Nationalitäten, Nationallandtage und über denselben für die allgemeinen An¬ gelegenheiten Cisleithaniens der Neichsrat als Zentralparlament, kein Födera¬ lismus, keine historisch-politischen Individualitäten, sondern ein nach ethno¬ graphischen Rücksichten gegliederter Organismus. Nach diesen Grundzügen würden die jetzt vielfach unnatürlichen Grenzen der Länder mit gemischter Be¬ völkerung wegfallen und Gruppen von möglichst rein nationaler Natur ge¬ schaffen werden, eine deutsche, die alle Deutschen der österreichischen Alpen-, Donau- und Sudetenländer, eine tschechische, welche alle Tschechen Böhmens, Mährens und Schlesiens umfaßte, eine polnische, eine ruthenische und eine slowenische. Später wäre dies auf Transleithcmien auszudehnen. Die Gruppen hätten sich durch ihre Vertretungen selbst zu verwalten, soweit ihre besondern Interessen in Frage kommen, und erhielte» neben ihren Provinziallandtagen Provinzialrcgierungen und, soweit es thunlich, niedere Verwaltungsbehörden mit Beamten ihrer Sprache. Das Deutsche bliebe für alle die Staatssprache, d. h. die Sprache des Heeres, des Auswärtigen Amtes, des Neichsrates und aller auf das Reich als Ganzes bezüglichen Angelegenheiten. Die Durchführung dieses Gedankens würde unleugbar großen Schwierigkeiten begegnen, unter andern finanziellen, aber Wohl keinen unüberwindlichen. Kein Preis würde zu hoch sein, wenn er, wie zu erwarten wäre, durch den Erfolg, durch den mit ihm be¬ zahlten Frieden zwischen den Nationalitäten und durch die endgiltige Befestigung des Reiches verzinst und amortisirt würde. Inzwischen werden die österreichischen Deutschen sich in größerer Zahl, als bisher bereits geschehen ist, entschließen müssen, andern Führern zu folgen, als denen, durch die sie ein Vierteljahrhundert hindurch immer von neuem zu natio¬ nalen Niederlagen und Verlusten geführt worden sind. Die Geschichte der Ver¬ fassungspartei, dieser österreichischen Zwillingsschwester unsrer deutschfreisinnigeu Partei mit ihrem talmigolduen Deutschtum, ihrem unfruchtbaren, halb advokaten- hafteu, halb prvfessorlichen Liberalismus und ihrer aus Manchester geholte», nur dem Kapitalismus und dessen Hauptvertretern, den jüdischen Finanziers, zu Gute kommenden Weisheit ist eine Kette von Beweisen, daß sie unfähig ist, mit Erfolg zu regieren und Österreich zu wirtschaftlicher Wohlfahrt und nationalem Frieden zu verhelfen. Sie konnte nur zersetze», nicht einigen. Am Nuder war sie eine Parteiregierung, der das Volk nichts als eine Masse war, geschaffen, dem Ehrgeiz und Eigennutz seiner Führer zu dienen; von der Herrschaft verdrängt, wurde sie zu fattiöser Opposition. Es wäre verlockend, die einstigen Neichsrcite aufzuzählen, die zugleich Verwaltuugsrüte bei einer oder mehreren der Schwindelbanken waren, welche in der von ihrer Partei hervorgerufenen Periode des Gründertums das Volk aussaugten, während andre Parlamentarier ihres Schlages, andre „Volksmänner" im Rohre des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/636>, abgerufen am 20.10.2024.