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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in (Österreich.

nur freie Hand ließen, sondern -- freilich ohne es zu wollen -- mitwirkten, ihnen
Wege zu ebnen und zu verbreitern, 1861 sah die Partei, welche für jene Be¬
gehren hauptsächlich arbeitete, einen guten Teil ihrer Anliegen sich erfüllen. Die
Monarchie erhielt mit Ausschluß Ungarns und Veuctiens eine Verfassung und
einen Ncichsrat mit zwei Kammern, jedes Kronlaud besondre Statuten und einen
eignen Landtag. Damit ging es eine Weile, aber bald kam es im Abgeordneten-
Hause des Neichsrates zu heftigen Angriffen der Liberalen auf die Minister, und
in den Landtagen erhoben die Slawen gefährliche Ansprüche, während die
Magyaren im ungarischen nach der Verfassung von 1848 zurückstrebten. Der
sich entwickelnde Parlamentarismus begann sich immer mehr zu bewähren.
Mehrere Minister traten vor ihm zurück. Er brachte den Tschechen Belcredi
ins Amt, der die Monarchie in fünf unabhängige Königreiche zerlegen wollte.
Er willigte in den Ausgleich mit Ungarn, welcher sie in zwei Hälften zerriß,
die Gelüste der Tschechen und Polen nach weiterer Abspaltung stärkte und die
ungarischen Deutschen der Willkür der Magyaren preisgab. Er gelangte endlich
mit dem Doktoren- oder Bürgcrministeriuur vom Dezember 1867 ans Staats¬
ruder, und hatte nunmehr Gelegenheit, zu zeigen, was er für die Lösung der
nationalen Fragen und für das Deutschtum im besondern zu leisten gewillt und
imstande sei. Wir bedauern sagen zu müssen, daß das Ministeriuni Carlos
Auersperg und die liberale deutsche Partei, aus der es seiner Mehrheit nach
hervorgegangen war, in dieser Beziehung so gut wie nichts geleistet hat, und
dasselbe gilt von dem ersten Ministerium Taaffe und dem auf dieses folgenden,
welche ihre Stütze teilweise ebenfalls in jener Partei fanden. Man war ver¬
fassungstreu, man fetzte die Aufhebung des Konkordats dnrch, man führte ver-
schiedne liberale Einrichtungen, z. B. Geschwornengerichte, ein. Die nationalen
Wirren aber wußte man nicht zu beschwichtigen, und ebensowenig versuchte man
eine Reform der wirtschaftlichen Zustände. Die Eröffnung der siebzehn Landtage
Cisleithaniens gab das Zeichen zu heftigen Angriffen auf die Verfassung, und
jede Nationalität forderte möglichst weitgehende Autonomie, die Polen bean¬
spruchten gleiche Unabhängigkeit wie die Ungarn, die Tschechen ebenfalls, die
Slowenen Krams desgleichen. Darüber fielen wieder zwei Ministerien. Auf¬
lösungen des Abgeordnetenhauses und der Landtage halfen nichts, und so entschloß
sich der Kaiser, einen neuen Weg zu betreten.

Im Februar 1871 wurde Graf Hohenwart mit der Bildung eines über
den Parteien stehenden Kabinets beauftragt. Dasselbe war aus ultramontanen,
feudalen, polnischen und tschechischen Elementen zusammengesetzt, und sein Pro¬
gramm lief auf Hebung der Landtage und Schwüchuug der Macht des Zentral¬
parlaments hinaus. Das Abgeordnetenhaus des letztern versuchte das Ministerium
mit parlamentarischen Hebeln zu stürzen, aber ohne Erfolg. Die Vewillignug
der meisten Forderungen des galizischen Landtages erfolgte, die Befriedigung der
Tschechen stand bevor, als Andrassy dem Kaiser Vorstellungen dagegen machte.


Deutsche Sorgen in (Österreich.

nur freie Hand ließen, sondern — freilich ohne es zu wollen — mitwirkten, ihnen
Wege zu ebnen und zu verbreitern, 1861 sah die Partei, welche für jene Be¬
gehren hauptsächlich arbeitete, einen guten Teil ihrer Anliegen sich erfüllen. Die
Monarchie erhielt mit Ausschluß Ungarns und Veuctiens eine Verfassung und
einen Ncichsrat mit zwei Kammern, jedes Kronlaud besondre Statuten und einen
eignen Landtag. Damit ging es eine Weile, aber bald kam es im Abgeordneten-
Hause des Neichsrates zu heftigen Angriffen der Liberalen auf die Minister, und
in den Landtagen erhoben die Slawen gefährliche Ansprüche, während die
Magyaren im ungarischen nach der Verfassung von 1848 zurückstrebten. Der
sich entwickelnde Parlamentarismus begann sich immer mehr zu bewähren.
Mehrere Minister traten vor ihm zurück. Er brachte den Tschechen Belcredi
ins Amt, der die Monarchie in fünf unabhängige Königreiche zerlegen wollte.
Er willigte in den Ausgleich mit Ungarn, welcher sie in zwei Hälften zerriß,
die Gelüste der Tschechen und Polen nach weiterer Abspaltung stärkte und die
ungarischen Deutschen der Willkür der Magyaren preisgab. Er gelangte endlich
mit dem Doktoren- oder Bürgcrministeriuur vom Dezember 1867 ans Staats¬
ruder, und hatte nunmehr Gelegenheit, zu zeigen, was er für die Lösung der
nationalen Fragen und für das Deutschtum im besondern zu leisten gewillt und
imstande sei. Wir bedauern sagen zu müssen, daß das Ministeriuni Carlos
Auersperg und die liberale deutsche Partei, aus der es seiner Mehrheit nach
hervorgegangen war, in dieser Beziehung so gut wie nichts geleistet hat, und
dasselbe gilt von dem ersten Ministerium Taaffe und dem auf dieses folgenden,
welche ihre Stütze teilweise ebenfalls in jener Partei fanden. Man war ver¬
fassungstreu, man fetzte die Aufhebung des Konkordats dnrch, man führte ver-
schiedne liberale Einrichtungen, z. B. Geschwornengerichte, ein. Die nationalen
Wirren aber wußte man nicht zu beschwichtigen, und ebensowenig versuchte man
eine Reform der wirtschaftlichen Zustände. Die Eröffnung der siebzehn Landtage
Cisleithaniens gab das Zeichen zu heftigen Angriffen auf die Verfassung, und
jede Nationalität forderte möglichst weitgehende Autonomie, die Polen bean¬
spruchten gleiche Unabhängigkeit wie die Ungarn, die Tschechen ebenfalls, die
Slowenen Krams desgleichen. Darüber fielen wieder zwei Ministerien. Auf¬
lösungen des Abgeordnetenhauses und der Landtage halfen nichts, und so entschloß
sich der Kaiser, einen neuen Weg zu betreten.

Im Februar 1871 wurde Graf Hohenwart mit der Bildung eines über
den Parteien stehenden Kabinets beauftragt. Dasselbe war aus ultramontanen,
feudalen, polnischen und tschechischen Elementen zusammengesetzt, und sein Pro¬
gramm lief auf Hebung der Landtage und Schwüchuug der Macht des Zentral¬
parlaments hinaus. Das Abgeordnetenhaus des letztern versuchte das Ministerium
mit parlamentarischen Hebeln zu stürzen, aber ohne Erfolg. Die Vewillignug
der meisten Forderungen des galizischen Landtages erfolgte, die Befriedigung der
Tschechen stand bevor, als Andrassy dem Kaiser Vorstellungen dagegen machte.


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[0634] Deutsche Sorgen in (Österreich. nur freie Hand ließen, sondern — freilich ohne es zu wollen — mitwirkten, ihnen Wege zu ebnen und zu verbreitern, 1861 sah die Partei, welche für jene Be¬ gehren hauptsächlich arbeitete, einen guten Teil ihrer Anliegen sich erfüllen. Die Monarchie erhielt mit Ausschluß Ungarns und Veuctiens eine Verfassung und einen Ncichsrat mit zwei Kammern, jedes Kronlaud besondre Statuten und einen eignen Landtag. Damit ging es eine Weile, aber bald kam es im Abgeordneten- Hause des Neichsrates zu heftigen Angriffen der Liberalen auf die Minister, und in den Landtagen erhoben die Slawen gefährliche Ansprüche, während die Magyaren im ungarischen nach der Verfassung von 1848 zurückstrebten. Der sich entwickelnde Parlamentarismus begann sich immer mehr zu bewähren. Mehrere Minister traten vor ihm zurück. Er brachte den Tschechen Belcredi ins Amt, der die Monarchie in fünf unabhängige Königreiche zerlegen wollte. Er willigte in den Ausgleich mit Ungarn, welcher sie in zwei Hälften zerriß, die Gelüste der Tschechen und Polen nach weiterer Abspaltung stärkte und die ungarischen Deutschen der Willkür der Magyaren preisgab. Er gelangte endlich mit dem Doktoren- oder Bürgcrministeriuur vom Dezember 1867 ans Staats¬ ruder, und hatte nunmehr Gelegenheit, zu zeigen, was er für die Lösung der nationalen Fragen und für das Deutschtum im besondern zu leisten gewillt und imstande sei. Wir bedauern sagen zu müssen, daß das Ministeriuni Carlos Auersperg und die liberale deutsche Partei, aus der es seiner Mehrheit nach hervorgegangen war, in dieser Beziehung so gut wie nichts geleistet hat, und dasselbe gilt von dem ersten Ministerium Taaffe und dem auf dieses folgenden, welche ihre Stütze teilweise ebenfalls in jener Partei fanden. Man war ver¬ fassungstreu, man fetzte die Aufhebung des Konkordats dnrch, man führte ver- schiedne liberale Einrichtungen, z. B. Geschwornengerichte, ein. Die nationalen Wirren aber wußte man nicht zu beschwichtigen, und ebensowenig versuchte man eine Reform der wirtschaftlichen Zustände. Die Eröffnung der siebzehn Landtage Cisleithaniens gab das Zeichen zu heftigen Angriffen auf die Verfassung, und jede Nationalität forderte möglichst weitgehende Autonomie, die Polen bean¬ spruchten gleiche Unabhängigkeit wie die Ungarn, die Tschechen ebenfalls, die Slowenen Krams desgleichen. Darüber fielen wieder zwei Ministerien. Auf¬ lösungen des Abgeordnetenhauses und der Landtage halfen nichts, und so entschloß sich der Kaiser, einen neuen Weg zu betreten. Im Februar 1871 wurde Graf Hohenwart mit der Bildung eines über den Parteien stehenden Kabinets beauftragt. Dasselbe war aus ultramontanen, feudalen, polnischen und tschechischen Elementen zusammengesetzt, und sein Pro¬ gramm lief auf Hebung der Landtage und Schwüchuug der Macht des Zentral¬ parlaments hinaus. Das Abgeordnetenhaus des letztern versuchte das Ministerium mit parlamentarischen Hebeln zu stürzen, aber ohne Erfolg. Die Vewillignug der meisten Forderungen des galizischen Landtages erfolgte, die Befriedigung der Tschechen stand bevor, als Andrassy dem Kaiser Vorstellungen dagegen machte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/634>, abgerufen am 20.10.2024.