Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Ministerwechsel in Paris.

Drachen der Opposition vorgeworfen wurden, um ihn zu besänftigen, waren
vergeblich. Auch die Geduld, welche die Minister dem Tadel gegenüber be¬
wiesen, der von der Rednertribüne auf ihre Bank herabregnete, half ihnen nichts.
Der Einfluß, den die gewichtigen Erklärungen des Ministerpräsidenten gegen
die Macht, "die Ägypten nicht festhalten soll," ausgeübt hatte, hatte sich wieder
verflüchtigt, als man in der langen Debatte auf die Stellen der llnterpräfekten
zu sprechen kam. Warm sie zu irgend etwas anderm gut als zur Förderung
der politischen Interessen der Gruppe von Politikern, welche jetzt am Stants-
ruder stand? Waren diese Beamten etwas andres, etwas mehr als Wahl-
ngeutcu, die sich des Vorzugs erfreuten, Vertreter der Negierung zu sein, und
deren Ja oder Nein deshalb ängstliche Wühler bestimmte, in ihren Fußtapfen
zu wandeln, wenn es zur Abstimmung an der Urne ging? War es im Hin¬
blick auf den traurigen Stand der Finanzen geraten, eine halbe Million Franken
oder mehr auf eine Anzahl schätzbarer junger Herren zu verwenden, deren Ge¬
halte das ohnehin sehr ansehnliche Defizit anschwellen ließen? Es ist nicht
unsre Sache, auf diese Fragen zu antworten. Genug, daß die Mehrheit der
französischen Deputirten jetzt und gerade jetzt der Meinung zuneigte, daß man
die Unterprüfelturcn abschaffen müsse. Freycinet sprach mit Eifer für ihre Bei¬
behaltung, wenigstens erklärte er das Fortbestehen einiger von ihnen für un¬
umgänglich, falls die republikanische Maschine gehörig arbeiten solle, und sein
Kollege Sarrien schloß sich seinen Vorstellungen lebhaft an. Er gab sogar
das Versprechen, nächstens einen Gesetzentwurf zur Verminderung dieser Stellen
einzubringen. Aber die parlamentarischen Taktiker, denen die Sache nur Mittel,
nicht Zweck war, nur Hebel zur Beseitigung des Kabinets, ließen sich nicht er¬
bitten. Die Beredsamkeit Freyeincts blieb diesmal ohne Wirkung. Ein feind¬
seliger Verbesserungsantrag verminderte die Zahl der ihm sicheren Deputirten,
und bei der Abstimmung über denselben votirten 262 für und 249 gegen ihn.
Freycinet war damit geschlagen, wenn auch mit geringer Majorität. Sofort
beriet er sich mit den Kollegen, und das Ergebnis der kurzen Besprechung war,
daß man dem Präsidenten der Republik ein Entlassungs- oder, wenn man will,
ein Entlastungsgesuch überreichte. Die Meinungen über diesen Schritt waren
anfangs geteilt: die einen glaubten, Freycinet trete zurück, weil er des Langens
und Bangens in schwebender Pein endlich müde geworden sei, die andern be¬
haupteten, er habe nicht endgiltig verzichtet, soudern werde mit einem etwas
veränderten Ministerium ans Ruder zurückkehren, weil bei der Abstimmung,
vor der er gewichen, einige gemäßigte Republikaner gefehlt hätten, welche die
Wagschale zu seinen Gunsten zum Sinken gebracht haben würden. Ein solcher
Ausgang der Krisis ist auch nicht unwahrscheinlich für die Zukunft, da die
französischen Parlamentarier gewohnt sind, das bestehende Kabinet nur soweit
zu erschüttern, daß für sie oder gute Freunde Platz in einem neuen wird. Das
Ministerium Freycinet war das Ergebnis eines Übereinkommens zwischen der


Der Ministerwechsel in Paris.

Drachen der Opposition vorgeworfen wurden, um ihn zu besänftigen, waren
vergeblich. Auch die Geduld, welche die Minister dem Tadel gegenüber be¬
wiesen, der von der Rednertribüne auf ihre Bank herabregnete, half ihnen nichts.
Der Einfluß, den die gewichtigen Erklärungen des Ministerpräsidenten gegen
die Macht, „die Ägypten nicht festhalten soll," ausgeübt hatte, hatte sich wieder
verflüchtigt, als man in der langen Debatte auf die Stellen der llnterpräfekten
zu sprechen kam. Warm sie zu irgend etwas anderm gut als zur Förderung
der politischen Interessen der Gruppe von Politikern, welche jetzt am Stants-
ruder stand? Waren diese Beamten etwas andres, etwas mehr als Wahl-
ngeutcu, die sich des Vorzugs erfreuten, Vertreter der Negierung zu sein, und
deren Ja oder Nein deshalb ängstliche Wühler bestimmte, in ihren Fußtapfen
zu wandeln, wenn es zur Abstimmung an der Urne ging? War es im Hin¬
blick auf den traurigen Stand der Finanzen geraten, eine halbe Million Franken
oder mehr auf eine Anzahl schätzbarer junger Herren zu verwenden, deren Ge¬
halte das ohnehin sehr ansehnliche Defizit anschwellen ließen? Es ist nicht
unsre Sache, auf diese Fragen zu antworten. Genug, daß die Mehrheit der
französischen Deputirten jetzt und gerade jetzt der Meinung zuneigte, daß man
die Unterprüfelturcn abschaffen müsse. Freycinet sprach mit Eifer für ihre Bei¬
behaltung, wenigstens erklärte er das Fortbestehen einiger von ihnen für un¬
umgänglich, falls die republikanische Maschine gehörig arbeiten solle, und sein
Kollege Sarrien schloß sich seinen Vorstellungen lebhaft an. Er gab sogar
das Versprechen, nächstens einen Gesetzentwurf zur Verminderung dieser Stellen
einzubringen. Aber die parlamentarischen Taktiker, denen die Sache nur Mittel,
nicht Zweck war, nur Hebel zur Beseitigung des Kabinets, ließen sich nicht er¬
bitten. Die Beredsamkeit Freyeincts blieb diesmal ohne Wirkung. Ein feind¬
seliger Verbesserungsantrag verminderte die Zahl der ihm sicheren Deputirten,
und bei der Abstimmung über denselben votirten 262 für und 249 gegen ihn.
Freycinet war damit geschlagen, wenn auch mit geringer Majorität. Sofort
beriet er sich mit den Kollegen, und das Ergebnis der kurzen Besprechung war,
daß man dem Präsidenten der Republik ein Entlassungs- oder, wenn man will,
ein Entlastungsgesuch überreichte. Die Meinungen über diesen Schritt waren
anfangs geteilt: die einen glaubten, Freycinet trete zurück, weil er des Langens
und Bangens in schwebender Pein endlich müde geworden sei, die andern be¬
haupteten, er habe nicht endgiltig verzichtet, soudern werde mit einem etwas
veränderten Ministerium ans Ruder zurückkehren, weil bei der Abstimmung,
vor der er gewichen, einige gemäßigte Republikaner gefehlt hätten, welche die
Wagschale zu seinen Gunsten zum Sinken gebracht haben würden. Ein solcher
Ausgang der Krisis ist auch nicht unwahrscheinlich für die Zukunft, da die
französischen Parlamentarier gewohnt sind, das bestehende Kabinet nur soweit
zu erschüttern, daß für sie oder gute Freunde Platz in einem neuen wird. Das
Ministerium Freycinet war das Ergebnis eines Übereinkommens zwischen der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0628" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199982"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Ministerwechsel in Paris.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3088" prev="#ID_3087" next="#ID_3089"> Drachen der Opposition vorgeworfen wurden, um ihn zu besänftigen, waren<lb/>
vergeblich.  Auch die Geduld, welche die Minister dem Tadel gegenüber be¬<lb/>
wiesen, der von der Rednertribüne auf ihre Bank herabregnete, half ihnen nichts.<lb/>
Der Einfluß, den die gewichtigen Erklärungen des Ministerpräsidenten gegen<lb/>
die Macht, &#x201E;die Ägypten nicht festhalten soll," ausgeübt hatte, hatte sich wieder<lb/>
verflüchtigt, als man in der langen Debatte auf die Stellen der llnterpräfekten<lb/>
zu sprechen kam. Warm sie zu irgend etwas anderm gut als zur Förderung<lb/>
der politischen Interessen der Gruppe von Politikern, welche jetzt am Stants-<lb/>
ruder stand?  Waren diese Beamten etwas andres, etwas mehr als Wahl-<lb/>
ngeutcu, die sich des Vorzugs erfreuten, Vertreter der Negierung zu sein, und<lb/>
deren Ja oder Nein deshalb ängstliche Wühler bestimmte, in ihren Fußtapfen<lb/>
zu wandeln, wenn es zur Abstimmung an der Urne ging?  War es im Hin¬<lb/>
blick auf den traurigen Stand der Finanzen geraten, eine halbe Million Franken<lb/>
oder mehr auf eine Anzahl schätzbarer junger Herren zu verwenden, deren Ge¬<lb/>
halte das ohnehin sehr ansehnliche Defizit anschwellen ließen?  Es ist nicht<lb/>
unsre Sache, auf diese Fragen zu antworten.  Genug, daß die Mehrheit der<lb/>
französischen Deputirten jetzt und gerade jetzt der Meinung zuneigte, daß man<lb/>
die Unterprüfelturcn abschaffen müsse. Freycinet sprach mit Eifer für ihre Bei¬<lb/>
behaltung, wenigstens erklärte er das Fortbestehen einiger von ihnen für un¬<lb/>
umgänglich, falls die republikanische Maschine gehörig arbeiten solle, und sein<lb/>
Kollege Sarrien schloß sich seinen Vorstellungen lebhaft an.  Er gab sogar<lb/>
das Versprechen, nächstens einen Gesetzentwurf zur Verminderung dieser Stellen<lb/>
einzubringen. Aber die parlamentarischen Taktiker, denen die Sache nur Mittel,<lb/>
nicht Zweck war, nur Hebel zur Beseitigung des Kabinets, ließen sich nicht er¬<lb/>
bitten.  Die Beredsamkeit Freyeincts blieb diesmal ohne Wirkung. Ein feind¬<lb/>
seliger Verbesserungsantrag verminderte die Zahl der ihm sicheren Deputirten,<lb/>
und bei der Abstimmung über denselben votirten 262 für und 249 gegen ihn.<lb/>
Freycinet war damit geschlagen, wenn auch mit geringer Majorität. Sofort<lb/>
beriet er sich mit den Kollegen, und das Ergebnis der kurzen Besprechung war,<lb/>
daß man dem Präsidenten der Republik ein Entlassungs- oder, wenn man will,<lb/>
ein Entlastungsgesuch überreichte.  Die Meinungen über diesen Schritt waren<lb/>
anfangs geteilt: die einen glaubten, Freycinet trete zurück, weil er des Langens<lb/>
und Bangens in schwebender Pein endlich müde geworden sei, die andern be¬<lb/>
haupteten, er habe nicht endgiltig verzichtet, soudern werde mit einem etwas<lb/>
veränderten Ministerium ans Ruder zurückkehren, weil bei der Abstimmung,<lb/>
vor der er gewichen, einige gemäßigte Republikaner gefehlt hätten, welche die<lb/>
Wagschale zu seinen Gunsten zum Sinken gebracht haben würden. Ein solcher<lb/>
Ausgang der Krisis ist auch nicht unwahrscheinlich für die Zukunft, da die<lb/>
französischen Parlamentarier gewohnt sind, das bestehende Kabinet nur soweit<lb/>
zu erschüttern, daß für sie oder gute Freunde Platz in einem neuen wird. Das<lb/>
Ministerium Freycinet war das Ergebnis eines Übereinkommens zwischen der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0628] Der Ministerwechsel in Paris. Drachen der Opposition vorgeworfen wurden, um ihn zu besänftigen, waren vergeblich. Auch die Geduld, welche die Minister dem Tadel gegenüber be¬ wiesen, der von der Rednertribüne auf ihre Bank herabregnete, half ihnen nichts. Der Einfluß, den die gewichtigen Erklärungen des Ministerpräsidenten gegen die Macht, „die Ägypten nicht festhalten soll," ausgeübt hatte, hatte sich wieder verflüchtigt, als man in der langen Debatte auf die Stellen der llnterpräfekten zu sprechen kam. Warm sie zu irgend etwas anderm gut als zur Förderung der politischen Interessen der Gruppe von Politikern, welche jetzt am Stants- ruder stand? Waren diese Beamten etwas andres, etwas mehr als Wahl- ngeutcu, die sich des Vorzugs erfreuten, Vertreter der Negierung zu sein, und deren Ja oder Nein deshalb ängstliche Wühler bestimmte, in ihren Fußtapfen zu wandeln, wenn es zur Abstimmung an der Urne ging? War es im Hin¬ blick auf den traurigen Stand der Finanzen geraten, eine halbe Million Franken oder mehr auf eine Anzahl schätzbarer junger Herren zu verwenden, deren Ge¬ halte das ohnehin sehr ansehnliche Defizit anschwellen ließen? Es ist nicht unsre Sache, auf diese Fragen zu antworten. Genug, daß die Mehrheit der französischen Deputirten jetzt und gerade jetzt der Meinung zuneigte, daß man die Unterprüfelturcn abschaffen müsse. Freycinet sprach mit Eifer für ihre Bei¬ behaltung, wenigstens erklärte er das Fortbestehen einiger von ihnen für un¬ umgänglich, falls die republikanische Maschine gehörig arbeiten solle, und sein Kollege Sarrien schloß sich seinen Vorstellungen lebhaft an. Er gab sogar das Versprechen, nächstens einen Gesetzentwurf zur Verminderung dieser Stellen einzubringen. Aber die parlamentarischen Taktiker, denen die Sache nur Mittel, nicht Zweck war, nur Hebel zur Beseitigung des Kabinets, ließen sich nicht er¬ bitten. Die Beredsamkeit Freyeincts blieb diesmal ohne Wirkung. Ein feind¬ seliger Verbesserungsantrag verminderte die Zahl der ihm sicheren Deputirten, und bei der Abstimmung über denselben votirten 262 für und 249 gegen ihn. Freycinet war damit geschlagen, wenn auch mit geringer Majorität. Sofort beriet er sich mit den Kollegen, und das Ergebnis der kurzen Besprechung war, daß man dem Präsidenten der Republik ein Entlassungs- oder, wenn man will, ein Entlastungsgesuch überreichte. Die Meinungen über diesen Schritt waren anfangs geteilt: die einen glaubten, Freycinet trete zurück, weil er des Langens und Bangens in schwebender Pein endlich müde geworden sei, die andern be¬ haupteten, er habe nicht endgiltig verzichtet, soudern werde mit einem etwas veränderten Ministerium ans Ruder zurückkehren, weil bei der Abstimmung, vor der er gewichen, einige gemäßigte Republikaner gefehlt hätten, welche die Wagschale zu seinen Gunsten zum Sinken gebracht haben würden. Ein solcher Ausgang der Krisis ist auch nicht unwahrscheinlich für die Zukunft, da die französischen Parlamentarier gewohnt sind, das bestehende Kabinet nur soweit zu erschüttern, daß für sie oder gute Freunde Platz in einem neuen wird. Das Ministerium Freycinet war das Ergebnis eines Übereinkommens zwischen der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/628
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/628>, abgerufen am 20.10.2024.