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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Vor Ministerwechsel in Paris.

Freheinets Patriotismus diesem vorschreibe. Es fiel das ominöse Wort, Tonking,
welches dem französischen Steuerzahler soviel Geld aussauge und soviel von
seiner militärischen Kraft in Anspruch nehme, werde, wenn man es festzuhalten
fortfahre, "ein zweites Mexiko" werden. Das Ende der Debatte war, daß der
verlangte Kredit zwar bewilligt wurde, aber statt einstimmig nur mit einer
Mehrheit von 278 gegen 249 Stimmen, und auch das nur, nachdem der
Premier in aller Form die Kabinetsfrage gestellt hatte.

Abgesehen von Tonking hielt es die vereinigte Opposition nicht für rätlich,
das Ministerium durch Widerstand in einer kolonialen Frage zu Falle zu bringen.
Die Führer suchten sich einen Boden, wo sie dasselbe mit mehr Aussicht auf
Erfolg angreifen konnten, und fanden ihn in den Stellen der Unterprcifekten.
Die Fabrikation von Beamtenposten, die sich zur Speisung hungriger Stellcn-
jäger, der eifrigsten Parteimitglieder, verwenden lassen, ist unter der Republik
in der größten Ausdehnung betrieben worden. Man führte dafür an, daß es
so viel für das Land zu thun gebe, daß eine Masse reformatorischer Gesetze
dnrch Sammlung von Material vorbereitet und dann ausgeführt werden müsse,
daß eine lange Reihe öffentlicher Arbeiten ein zahlreicheres Aufsichtspersonal
als das bestehende verlange, und was dergleichen Beschönigungsgründe für die
eigentliche Absicht mehr waren. Wir sind nicht der Meinung, daß irgend eine
der Parteien, welche Frankreichs Geschicke brauen und über seinen Säckel ver¬
fügen, ausgenommen ein kleines Häuflein aufrichtig sparsam gesinnter Landboten,
im Ernste dieser Vervielfältigung der Ämter feind ist, glauben vielmehr, daß
jede, wenn das jetzt künstlich hervorgerufene Fieber erkaltet ist, jenes Verfahren
fortsetzen wird. Doch ist das eine Meinung, welche die Zukunft immerhin
widerlegen könnte. Jetzt aber hegt man augenscheinlich in ziemlich weiten
Kreisen den lebhaften Wunsch, durch Beseitigung einer Anzahl von Stellen die
Staatsausgaben vermindert und den Schatz entlastet zu sehen, und darall
knüpfte die Opposition jetzt an, wie man schon früher in der Sache vorgegangen
war. Man hatte die Untersekretärstellen als nutzlos und überflüssig angegriffen,
obwohl sie recht nette Krippen für junge und vielversprechende Politiker oder
für Leute darbieten, welche unbequem und gefährlich werden können, wenn ihre
Zunge oder Feder ganz frei bleibt. Einer der betreffenden Herren nahm vor
kurzem infolge einer Abstimmung seinen Abschied, andre blieben. Man führte
gegen sie an, wenn ein Minister zu der Volksvertretung sprechen könne, so sei
sein Gehilfe eine rein überflüssige Person, und es war nicht recht klar zu machen,
daß diese Funktionäre außerhalb der vier Wände des parlamentarischen Schau¬
spielhauses viel zu thun Hütten. Weitere Angriffe auf die Forderungen des
Budgets erfolgten, und die Furcht vor feindlichen Abstimmungen übte einen so
heilsamen Einfluß aus, daß einzelne Minister, sogar der, welcher das Kricgs-
departement unter sich hatte, ihre Bereitwilligkeit kundgaben, sich einen Abstrich
vom Maße ihrer Forderungen gesallen zu lassen. Alle diese Opfer, die dem


Vor Ministerwechsel in Paris.

Freheinets Patriotismus diesem vorschreibe. Es fiel das ominöse Wort, Tonking,
welches dem französischen Steuerzahler soviel Geld aussauge und soviel von
seiner militärischen Kraft in Anspruch nehme, werde, wenn man es festzuhalten
fortfahre, „ein zweites Mexiko" werden. Das Ende der Debatte war, daß der
verlangte Kredit zwar bewilligt wurde, aber statt einstimmig nur mit einer
Mehrheit von 278 gegen 249 Stimmen, und auch das nur, nachdem der
Premier in aller Form die Kabinetsfrage gestellt hatte.

Abgesehen von Tonking hielt es die vereinigte Opposition nicht für rätlich,
das Ministerium durch Widerstand in einer kolonialen Frage zu Falle zu bringen.
Die Führer suchten sich einen Boden, wo sie dasselbe mit mehr Aussicht auf
Erfolg angreifen konnten, und fanden ihn in den Stellen der Unterprcifekten.
Die Fabrikation von Beamtenposten, die sich zur Speisung hungriger Stellcn-
jäger, der eifrigsten Parteimitglieder, verwenden lassen, ist unter der Republik
in der größten Ausdehnung betrieben worden. Man führte dafür an, daß es
so viel für das Land zu thun gebe, daß eine Masse reformatorischer Gesetze
dnrch Sammlung von Material vorbereitet und dann ausgeführt werden müsse,
daß eine lange Reihe öffentlicher Arbeiten ein zahlreicheres Aufsichtspersonal
als das bestehende verlange, und was dergleichen Beschönigungsgründe für die
eigentliche Absicht mehr waren. Wir sind nicht der Meinung, daß irgend eine
der Parteien, welche Frankreichs Geschicke brauen und über seinen Säckel ver¬
fügen, ausgenommen ein kleines Häuflein aufrichtig sparsam gesinnter Landboten,
im Ernste dieser Vervielfältigung der Ämter feind ist, glauben vielmehr, daß
jede, wenn das jetzt künstlich hervorgerufene Fieber erkaltet ist, jenes Verfahren
fortsetzen wird. Doch ist das eine Meinung, welche die Zukunft immerhin
widerlegen könnte. Jetzt aber hegt man augenscheinlich in ziemlich weiten
Kreisen den lebhaften Wunsch, durch Beseitigung einer Anzahl von Stellen die
Staatsausgaben vermindert und den Schatz entlastet zu sehen, und darall
knüpfte die Opposition jetzt an, wie man schon früher in der Sache vorgegangen
war. Man hatte die Untersekretärstellen als nutzlos und überflüssig angegriffen,
obwohl sie recht nette Krippen für junge und vielversprechende Politiker oder
für Leute darbieten, welche unbequem und gefährlich werden können, wenn ihre
Zunge oder Feder ganz frei bleibt. Einer der betreffenden Herren nahm vor
kurzem infolge einer Abstimmung seinen Abschied, andre blieben. Man führte
gegen sie an, wenn ein Minister zu der Volksvertretung sprechen könne, so sei
sein Gehilfe eine rein überflüssige Person, und es war nicht recht klar zu machen,
daß diese Funktionäre außerhalb der vier Wände des parlamentarischen Schau¬
spielhauses viel zu thun Hütten. Weitere Angriffe auf die Forderungen des
Budgets erfolgten, und die Furcht vor feindlichen Abstimmungen übte einen so
heilsamen Einfluß aus, daß einzelne Minister, sogar der, welcher das Kricgs-
departement unter sich hatte, ihre Bereitwilligkeit kundgaben, sich einen Abstrich
vom Maße ihrer Forderungen gesallen zu lassen. Alle diese Opfer, die dem


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[0627] Vor Ministerwechsel in Paris. Freheinets Patriotismus diesem vorschreibe. Es fiel das ominöse Wort, Tonking, welches dem französischen Steuerzahler soviel Geld aussauge und soviel von seiner militärischen Kraft in Anspruch nehme, werde, wenn man es festzuhalten fortfahre, „ein zweites Mexiko" werden. Das Ende der Debatte war, daß der verlangte Kredit zwar bewilligt wurde, aber statt einstimmig nur mit einer Mehrheit von 278 gegen 249 Stimmen, und auch das nur, nachdem der Premier in aller Form die Kabinetsfrage gestellt hatte. Abgesehen von Tonking hielt es die vereinigte Opposition nicht für rätlich, das Ministerium durch Widerstand in einer kolonialen Frage zu Falle zu bringen. Die Führer suchten sich einen Boden, wo sie dasselbe mit mehr Aussicht auf Erfolg angreifen konnten, und fanden ihn in den Stellen der Unterprcifekten. Die Fabrikation von Beamtenposten, die sich zur Speisung hungriger Stellcn- jäger, der eifrigsten Parteimitglieder, verwenden lassen, ist unter der Republik in der größten Ausdehnung betrieben worden. Man führte dafür an, daß es so viel für das Land zu thun gebe, daß eine Masse reformatorischer Gesetze dnrch Sammlung von Material vorbereitet und dann ausgeführt werden müsse, daß eine lange Reihe öffentlicher Arbeiten ein zahlreicheres Aufsichtspersonal als das bestehende verlange, und was dergleichen Beschönigungsgründe für die eigentliche Absicht mehr waren. Wir sind nicht der Meinung, daß irgend eine der Parteien, welche Frankreichs Geschicke brauen und über seinen Säckel ver¬ fügen, ausgenommen ein kleines Häuflein aufrichtig sparsam gesinnter Landboten, im Ernste dieser Vervielfältigung der Ämter feind ist, glauben vielmehr, daß jede, wenn das jetzt künstlich hervorgerufene Fieber erkaltet ist, jenes Verfahren fortsetzen wird. Doch ist das eine Meinung, welche die Zukunft immerhin widerlegen könnte. Jetzt aber hegt man augenscheinlich in ziemlich weiten Kreisen den lebhaften Wunsch, durch Beseitigung einer Anzahl von Stellen die Staatsausgaben vermindert und den Schatz entlastet zu sehen, und darall knüpfte die Opposition jetzt an, wie man schon früher in der Sache vorgegangen war. Man hatte die Untersekretärstellen als nutzlos und überflüssig angegriffen, obwohl sie recht nette Krippen für junge und vielversprechende Politiker oder für Leute darbieten, welche unbequem und gefährlich werden können, wenn ihre Zunge oder Feder ganz frei bleibt. Einer der betreffenden Herren nahm vor kurzem infolge einer Abstimmung seinen Abschied, andre blieben. Man führte gegen sie an, wenn ein Minister zu der Volksvertretung sprechen könne, so sei sein Gehilfe eine rein überflüssige Person, und es war nicht recht klar zu machen, daß diese Funktionäre außerhalb der vier Wände des parlamentarischen Schau¬ spielhauses viel zu thun Hütten. Weitere Angriffe auf die Forderungen des Budgets erfolgten, und die Furcht vor feindlichen Abstimmungen übte einen so heilsamen Einfluß aus, daß einzelne Minister, sogar der, welcher das Kricgs- departement unter sich hatte, ihre Bereitwilligkeit kundgaben, sich einen Abstrich vom Maße ihrer Forderungen gesallen zu lassen. Alle diese Opfer, die dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/627>, abgerufen am 20.10.2024.