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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zwei Minderer des Reichs.

der letzte Gesandte Heinrichs VIII. residirte. Durch wiederholte Ansehung aller
Daumschrauben, welche der parlamentarische Gebrauch zuläßt, ist aus Gladstone,
der anfangs von garnichts wissen wollte, nach und nach herausgequetscht worden,
daß Errington, der als Tourist nach Rom gegangen war, von Lord Granville
schriftlich ersucht worden sei, den Papst über die Zustände in Irland aufzu¬
klären, auch ein Empfehlungsschreiben des Ministers mitgenommen habe, und
daß über seine Thätigkeit ein rsoorcl, eine amtliche Aufzeichnung, gemacht
werden solle. Es war zu allen Zeiten gewagt für einen Laien, über einen
englischen Rechtsfall zu urteilen, und seit den Prozessen, in welchen Sir Charles
Dilke eine hervorragende Figur gemacht, wird auch ein Jurist sich scheuen.
Jedoch möchten wir mit dieser Verwahrung die Vermutung äußern, daß Glad¬
stone und sein Kollege im Auswärtigen Amt sich des Verbrechens des Prämunire
schuldig gemacht haben.

Endlich ist zu erwähnen, daß Lord Nipon, der 1874 zum katholischen
Glauben übergetreten war, von Gladstone 1880 als Vizekönig nach Indien
geschickt wurde und daß seine Verwaltung nach der Ansicht hoher und erfahrener
indischer Beamten einen Schaden, der nie wieder gut zu machen ist, angerichtet, die
Fundamente der englischen Herrschaft untergraben hat.*) Die Größe Englands
beruht freilich nach Gladstones Ausspruch auf keiner Art politischer Herrschaft
außerhalb des Flcicheuraumes des Vereinigten Königreichs.

Aber, wird man fragen, was hat alles das zu bedeuten gegenüber der
Schrift Gladstones über die vatikanischen Dekrete? Hat er nicht darin als Er¬
gebnis seiner Untersuchung unter Ur. 3 den Satz ausgeführt, "daß niemand
mehr römischer Konvertit werden kann, ohne auf seiue sittliche und geistige
Freiheit zu verzichten und ohne seine staatliche Treue und Pflicht der Gnade
eines andern preiszugeben?" Wir glauben, daß die Antwort in der Schrift
zu suchen sei, durch welche Gladstone sich zuerst bekannt machte: "Der Staat
in seinen Beziehungen zur Kirche." Dieselbe verdient nicht so viel Aufhebens,
als davon gemacht wurde; sie ist unverkennbar die Ausführung -- und sagen
wir es gleich, die mißverständliche Ausführung -- eines Ausspruchs von Hobbes.
"Das Naturrecht, sagt derselbe, läßt sich teilen in das Naturrecht der Menschen
und das Naturrecht der Staaten, gewöhnlich Völkerrecht genannt. Die Vor¬
schriften beider sind dieselben. Da aber Staaten, wenn sie einmal errichtet sind,
Persönlichkeiten werden, so wird das Recht, welches wir, wenn vom Individuum
die Rede ist, Naturrecht nennen, Völkerrecht genannt, wenn es sich um seine
Anwendung auf Staaten oder Nationen handelt." Gladstone führt aus: wie
das Individuum verpflichtet sei, eine Religion zu haben, so auch der Staat,



5) Die rimes WM 28. April d. I. zitirt aus dem InäiM Lxeet-Mr, den sie als
das Organ der gebildeten öffentlichen Meinung der Eingebornen bezeichnet, einen Artikel, in
dein ausgeführt ist, Indien werde durch eine Nhnliche Entwicklung gehen wie Irland unter
Gladstone.
Zwei Minderer des Reichs.

der letzte Gesandte Heinrichs VIII. residirte. Durch wiederholte Ansehung aller
Daumschrauben, welche der parlamentarische Gebrauch zuläßt, ist aus Gladstone,
der anfangs von garnichts wissen wollte, nach und nach herausgequetscht worden,
daß Errington, der als Tourist nach Rom gegangen war, von Lord Granville
schriftlich ersucht worden sei, den Papst über die Zustände in Irland aufzu¬
klären, auch ein Empfehlungsschreiben des Ministers mitgenommen habe, und
daß über seine Thätigkeit ein rsoorcl, eine amtliche Aufzeichnung, gemacht
werden solle. Es war zu allen Zeiten gewagt für einen Laien, über einen
englischen Rechtsfall zu urteilen, und seit den Prozessen, in welchen Sir Charles
Dilke eine hervorragende Figur gemacht, wird auch ein Jurist sich scheuen.
Jedoch möchten wir mit dieser Verwahrung die Vermutung äußern, daß Glad¬
stone und sein Kollege im Auswärtigen Amt sich des Verbrechens des Prämunire
schuldig gemacht haben.

Endlich ist zu erwähnen, daß Lord Nipon, der 1874 zum katholischen
Glauben übergetreten war, von Gladstone 1880 als Vizekönig nach Indien
geschickt wurde und daß seine Verwaltung nach der Ansicht hoher und erfahrener
indischer Beamten einen Schaden, der nie wieder gut zu machen ist, angerichtet, die
Fundamente der englischen Herrschaft untergraben hat.*) Die Größe Englands
beruht freilich nach Gladstones Ausspruch auf keiner Art politischer Herrschaft
außerhalb des Flcicheuraumes des Vereinigten Königreichs.

Aber, wird man fragen, was hat alles das zu bedeuten gegenüber der
Schrift Gladstones über die vatikanischen Dekrete? Hat er nicht darin als Er¬
gebnis seiner Untersuchung unter Ur. 3 den Satz ausgeführt, „daß niemand
mehr römischer Konvertit werden kann, ohne auf seiue sittliche und geistige
Freiheit zu verzichten und ohne seine staatliche Treue und Pflicht der Gnade
eines andern preiszugeben?" Wir glauben, daß die Antwort in der Schrift
zu suchen sei, durch welche Gladstone sich zuerst bekannt machte: „Der Staat
in seinen Beziehungen zur Kirche." Dieselbe verdient nicht so viel Aufhebens,
als davon gemacht wurde; sie ist unverkennbar die Ausführung — und sagen
wir es gleich, die mißverständliche Ausführung — eines Ausspruchs von Hobbes.
„Das Naturrecht, sagt derselbe, läßt sich teilen in das Naturrecht der Menschen
und das Naturrecht der Staaten, gewöhnlich Völkerrecht genannt. Die Vor¬
schriften beider sind dieselben. Da aber Staaten, wenn sie einmal errichtet sind,
Persönlichkeiten werden, so wird das Recht, welches wir, wenn vom Individuum
die Rede ist, Naturrecht nennen, Völkerrecht genannt, wenn es sich um seine
Anwendung auf Staaten oder Nationen handelt." Gladstone führt aus: wie
das Individuum verpflichtet sei, eine Religion zu haben, so auch der Staat,



5) Die rimes WM 28. April d. I. zitirt aus dem InäiM Lxeet-Mr, den sie als
das Organ der gebildeten öffentlichen Meinung der Eingebornen bezeichnet, einen Artikel, in
dein ausgeführt ist, Indien werde durch eine Nhnliche Entwicklung gehen wie Irland unter
Gladstone.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/61>, abgerufen am 27.09.2024.