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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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werden und befände sich dann wieder auf der Straße, Von da giebt es aber
nur drei Wege für ihn: ins deutschredende Institut, in eine Schweigen ge¬
bietende Bibliothek, oder in irgend ein Es;-, Trink- oder Musiklokal. Die
beiden erstern Wege sind unentgeltlich, der letztere aber sehr kostspielig und den
Stipendiaten deshalb wenig zu empfehlen.

Ein Institut in diesem Sinne zu gründen, kann kaum im Interesse des
deutschen Reiches liegen. Zwar mag von mancher Seite als ein Gegengewicht
zu dem Mangel an Sprechgelegcnheit im Institut angeführt werden, daß der
Stipendiat dafür im Britischen Museum die beste Gelegenheit habe, altenglische
Texte zu kopiren. Das ist wohl richtig, doch wiegt dies jenen Mangel nicht
im entferntesten auf. Was der ueuphilvlogische Schulmann auf der Schule zu
unterrichten hat, ist die moderne Sprache und Literatur. Unwissenheit also im
Englischen oder nur ungenaue Vekauiitschaft damit kann dnrch die gründlichsten
Kenntnisse im Angelsächsischen nicht aufgewogen werden; der bloße Philologe
muß im Interesse der Schule weit hinter dem praktischen Gelehrten zurückbleiben.
Die lebende Sprache, das ganze Gebiet der Literaturgeschichte, das Studium
des Volksgeistes, der Geschichte des Landes und seiner Sitten, dies muß die
Basis des ncuphilvlvgischen Schulmannes sein. In zweiter Linie, wenn auch
für seine wissenschaftliche Stellung unumgänglich nötig, kommt das Studium
der Einzelheiten der historischen Grammatik und der Texte aus dem frühen
Mittelalter. Letzteres kann unter Leitung des Fachprofessors im neuphilologischen
Seminar der Universität ungleich genauer und wissenschaftlicher betrieben
werden als irgendwo anders, ersteres aber nur durch einen Aufenthalt im
Auslande, in einer gebildeten Familie des betreffenden Landes.

Mit dem dritten Punkte des Rolfsschen Vorschlages stimmen wir zwar
überein, doch sollte er noch bestimmter gefaßt werden. Das Neichsstipendium
darf nicht zum Armutszeugnis herabsinken. Es muß ein Zeichen der Tüchtigkeit
und des Fleißes seines Empfängers sein. Dies könnte am zweckmäßigsten dadurch
erreicht werden, daß der Fachprofessor des neuphilologischen Seminars alljährlich
ein kurzes schriftliches Fachexamen daselbst veranstaltete auf Grund der Vor¬
lesungen und Übungen, die in den letzten zwei Semestern stattgefunden haben.
Darnach würden zwei Stndiensemester an einer Universität und dem neuphilo¬
logischen Seminar zugleich als eine andre Vorbedingung gelten für Zulassung
eines Kandidaten zu diesem Semiuarexamen. Da vorläufig nur einer oder zwei
an einer Universität ein Neichsstipendium erlangen könnten, so müßten die Namen
derer, welche das dafür angesetzte Examen bestanden haben, von dem Dekan in
ein Buch eingetragen werden, um bei der nächsten Vakanz zuerst Berücksichtigung
zu finden.

Rolfs betont, daß der Stipendiat dem Dekan das Versprechen geben solle,
nach Vollendung seines ausländischen Studienjahres in seine Heimat zurückzu¬
kehren, um sich dem Staatsdienste zu widmen. Wir würden vorschlagen, daß


werden und befände sich dann wieder auf der Straße, Von da giebt es aber
nur drei Wege für ihn: ins deutschredende Institut, in eine Schweigen ge¬
bietende Bibliothek, oder in irgend ein Es;-, Trink- oder Musiklokal. Die
beiden erstern Wege sind unentgeltlich, der letztere aber sehr kostspielig und den
Stipendiaten deshalb wenig zu empfehlen.

Ein Institut in diesem Sinne zu gründen, kann kaum im Interesse des
deutschen Reiches liegen. Zwar mag von mancher Seite als ein Gegengewicht
zu dem Mangel an Sprechgelegcnheit im Institut angeführt werden, daß der
Stipendiat dafür im Britischen Museum die beste Gelegenheit habe, altenglische
Texte zu kopiren. Das ist wohl richtig, doch wiegt dies jenen Mangel nicht
im entferntesten auf. Was der ueuphilvlogische Schulmann auf der Schule zu
unterrichten hat, ist die moderne Sprache und Literatur. Unwissenheit also im
Englischen oder nur ungenaue Vekauiitschaft damit kann dnrch die gründlichsten
Kenntnisse im Angelsächsischen nicht aufgewogen werden; der bloße Philologe
muß im Interesse der Schule weit hinter dem praktischen Gelehrten zurückbleiben.
Die lebende Sprache, das ganze Gebiet der Literaturgeschichte, das Studium
des Volksgeistes, der Geschichte des Landes und seiner Sitten, dies muß die
Basis des ncuphilvlvgischen Schulmannes sein. In zweiter Linie, wenn auch
für seine wissenschaftliche Stellung unumgänglich nötig, kommt das Studium
der Einzelheiten der historischen Grammatik und der Texte aus dem frühen
Mittelalter. Letzteres kann unter Leitung des Fachprofessors im neuphilologischen
Seminar der Universität ungleich genauer und wissenschaftlicher betrieben
werden als irgendwo anders, ersteres aber nur durch einen Aufenthalt im
Auslande, in einer gebildeten Familie des betreffenden Landes.

Mit dem dritten Punkte des Rolfsschen Vorschlages stimmen wir zwar
überein, doch sollte er noch bestimmter gefaßt werden. Das Neichsstipendium
darf nicht zum Armutszeugnis herabsinken. Es muß ein Zeichen der Tüchtigkeit
und des Fleißes seines Empfängers sein. Dies könnte am zweckmäßigsten dadurch
erreicht werden, daß der Fachprofessor des neuphilologischen Seminars alljährlich
ein kurzes schriftliches Fachexamen daselbst veranstaltete auf Grund der Vor¬
lesungen und Übungen, die in den letzten zwei Semestern stattgefunden haben.
Darnach würden zwei Stndiensemester an einer Universität und dem neuphilo¬
logischen Seminar zugleich als eine andre Vorbedingung gelten für Zulassung
eines Kandidaten zu diesem Semiuarexamen. Da vorläufig nur einer oder zwei
an einer Universität ein Neichsstipendium erlangen könnten, so müßten die Namen
derer, welche das dafür angesetzte Examen bestanden haben, von dem Dekan in
ein Buch eingetragen werden, um bei der nächsten Vakanz zuerst Berücksichtigung
zu finden.

Rolfs betont, daß der Stipendiat dem Dekan das Versprechen geben solle,
nach Vollendung seines ausländischen Studienjahres in seine Heimat zurückzu¬
kehren, um sich dem Staatsdienste zu widmen. Wir würden vorschlagen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/588>, abgerufen am 27.09.2024.