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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London.

oder aber Mittagessen gegen ein Uhr, Thee um fünf Uhr und kleines Abend¬
brot gegen acht Uhr, das meistens nur aus einem Glase Bier, Brot und Käse
besteht. Diese Mahlzeiten böten also die Gelegenheiten dar, wo der Studirende
Englisch sprechen könnte. Nun denke man sich die unerträgliche Umständlich¬
keit, zu jeder dieser Mahlzeiten die eigne Wohnung oder ein Museum verlassen
zu müssen; denn da der Stipendiat nicht in der englischen Familie wohnt, kann
er doch nicht gleich von einer Mahlzeit zur andern dableiben, lediglich um sein
Englisch an dem der Familienmitglieder zu verbessern! So wäre er fort¬
während zwischen dem Institut und seiner englischen Familie unterwegs. Und
nun erst im Spätherbst, Winter und Frühling, wo es oft wochenlang regnet!
Nein, mit diesem Vorschlage kommen wir einer Lösung der Frage: Wie kann
der Studirende am schnellsten und sichersten englische Sprache, Sitten und
Literatur lernen? nicht viel näher als in Körtings Institut.

Wie Rolfs zwar versucht, aber des Lehrervereins wegen nicht geglaubt
hat durchführen zu müssen, liegt die Losung einzig und allein im Schoße der
englischen Familie, in welcher der Stipendiat wohnen und mit der er so viel
als möglich verwachsen muß. Geht er nur einigemale des Tages dahin, so
bleibt er, abgesehen von andern Unbequemlichkeiten, immer ein halber Fremder,
wohnt er mit ihr zusammen, so wird er sich in wenigen Wochen dort wie zu
Hause fühlen. Es ist ein charakteristisches Zeichen englischen Lebens, daß die
englische Familie den, dein sie einmal ihre Pforte geöffnet hat, nicht nnr gast¬
freundlich aufnimmt, sondern ihn wie ihresgleichen an Familienangelegenheiten
innig teilnehmen läßt und es ihn vergessen zu machen bestrebt ist, daß er nur
ein Adoptivkind in ihrem Kreise ist. Diese Sitte begünstigt aber unsern Plan;
denu so werden die Angehörigen seiner Wirtsleute und diese selbst sich gern
über die ersten Unebenheiten der Unterhaltung hinwegsetzen und sich befleißigen,
dem Stipendiaten bei Erlernung ihrer Sprache behilflich zu sein.

Rolfs übersieht auch bei seinem Vorschlage, daß es gegen die Landessitte
verstößt, Fremde zur Beköstigung anzunehmen, außer wenn sie auch zugleich in
der Familie wohnen. Gebildete Familien der Mittelklassen aber, die gern junge
Fremde in Kost und Wohnung nehmen, giebt es in London mit seinen mehr
als vier Millionen Einwohnern viele Tausende. Es wäre so dem mit Londoner
Verhältnissen vertrauten leicht, eine genügende Anzahl von Familien aufzu¬
finden, in denen sich die deutschen Stipendiaten (je einer in einer Familie)
wvhlaufgehvbeu fühlten und jede Aussicht hätten, in ihren Bestrebungen ge¬
fördert zu werden. Der Rolfssche Gast würde aber nur ein ungern gesehener
Gast sein. Er will in der Familie Englisch lernen. Da er aber der einzige
Deutsche darin sein soll, so liegt auf der Hand, daß der Gewinn, den die eng¬
lische Familie aus seinen Mahlzeiten zieht, nnr gering sein kann. Im Ver¬
hältnis dazu steht aber natürlicherweise ihre Bereitwilligkeit, ihn im Englisch¬
reden zu unterstützen. Der Rolfssche Gast würde sobald als möglich abgespeist


Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London.

oder aber Mittagessen gegen ein Uhr, Thee um fünf Uhr und kleines Abend¬
brot gegen acht Uhr, das meistens nur aus einem Glase Bier, Brot und Käse
besteht. Diese Mahlzeiten böten also die Gelegenheiten dar, wo der Studirende
Englisch sprechen könnte. Nun denke man sich die unerträgliche Umständlich¬
keit, zu jeder dieser Mahlzeiten die eigne Wohnung oder ein Museum verlassen
zu müssen; denn da der Stipendiat nicht in der englischen Familie wohnt, kann
er doch nicht gleich von einer Mahlzeit zur andern dableiben, lediglich um sein
Englisch an dem der Familienmitglieder zu verbessern! So wäre er fort¬
während zwischen dem Institut und seiner englischen Familie unterwegs. Und
nun erst im Spätherbst, Winter und Frühling, wo es oft wochenlang regnet!
Nein, mit diesem Vorschlage kommen wir einer Lösung der Frage: Wie kann
der Studirende am schnellsten und sichersten englische Sprache, Sitten und
Literatur lernen? nicht viel näher als in Körtings Institut.

Wie Rolfs zwar versucht, aber des Lehrervereins wegen nicht geglaubt
hat durchführen zu müssen, liegt die Losung einzig und allein im Schoße der
englischen Familie, in welcher der Stipendiat wohnen und mit der er so viel
als möglich verwachsen muß. Geht er nur einigemale des Tages dahin, so
bleibt er, abgesehen von andern Unbequemlichkeiten, immer ein halber Fremder,
wohnt er mit ihr zusammen, so wird er sich in wenigen Wochen dort wie zu
Hause fühlen. Es ist ein charakteristisches Zeichen englischen Lebens, daß die
englische Familie den, dein sie einmal ihre Pforte geöffnet hat, nicht nnr gast¬
freundlich aufnimmt, sondern ihn wie ihresgleichen an Familienangelegenheiten
innig teilnehmen läßt und es ihn vergessen zu machen bestrebt ist, daß er nur
ein Adoptivkind in ihrem Kreise ist. Diese Sitte begünstigt aber unsern Plan;
denu so werden die Angehörigen seiner Wirtsleute und diese selbst sich gern
über die ersten Unebenheiten der Unterhaltung hinwegsetzen und sich befleißigen,
dem Stipendiaten bei Erlernung ihrer Sprache behilflich zu sein.

Rolfs übersieht auch bei seinem Vorschlage, daß es gegen die Landessitte
verstößt, Fremde zur Beköstigung anzunehmen, außer wenn sie auch zugleich in
der Familie wohnen. Gebildete Familien der Mittelklassen aber, die gern junge
Fremde in Kost und Wohnung nehmen, giebt es in London mit seinen mehr
als vier Millionen Einwohnern viele Tausende. Es wäre so dem mit Londoner
Verhältnissen vertrauten leicht, eine genügende Anzahl von Familien aufzu¬
finden, in denen sich die deutschen Stipendiaten (je einer in einer Familie)
wvhlaufgehvbeu fühlten und jede Aussicht hätten, in ihren Bestrebungen ge¬
fördert zu werden. Der Rolfssche Gast würde aber nur ein ungern gesehener
Gast sein. Er will in der Familie Englisch lernen. Da er aber der einzige
Deutsche darin sein soll, so liegt auf der Hand, daß der Gewinn, den die eng¬
lische Familie aus seinen Mahlzeiten zieht, nnr gering sein kann. Im Ver¬
hältnis dazu steht aber natürlicherweise ihre Bereitwilligkeit, ihn im Englisch¬
reden zu unterstützen. Der Rolfssche Gast würde sobald als möglich abgespeist


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[0587] Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London. oder aber Mittagessen gegen ein Uhr, Thee um fünf Uhr und kleines Abend¬ brot gegen acht Uhr, das meistens nur aus einem Glase Bier, Brot und Käse besteht. Diese Mahlzeiten böten also die Gelegenheiten dar, wo der Studirende Englisch sprechen könnte. Nun denke man sich die unerträgliche Umständlich¬ keit, zu jeder dieser Mahlzeiten die eigne Wohnung oder ein Museum verlassen zu müssen; denn da der Stipendiat nicht in der englischen Familie wohnt, kann er doch nicht gleich von einer Mahlzeit zur andern dableiben, lediglich um sein Englisch an dem der Familienmitglieder zu verbessern! So wäre er fort¬ während zwischen dem Institut und seiner englischen Familie unterwegs. Und nun erst im Spätherbst, Winter und Frühling, wo es oft wochenlang regnet! Nein, mit diesem Vorschlage kommen wir einer Lösung der Frage: Wie kann der Studirende am schnellsten und sichersten englische Sprache, Sitten und Literatur lernen? nicht viel näher als in Körtings Institut. Wie Rolfs zwar versucht, aber des Lehrervereins wegen nicht geglaubt hat durchführen zu müssen, liegt die Losung einzig und allein im Schoße der englischen Familie, in welcher der Stipendiat wohnen und mit der er so viel als möglich verwachsen muß. Geht er nur einigemale des Tages dahin, so bleibt er, abgesehen von andern Unbequemlichkeiten, immer ein halber Fremder, wohnt er mit ihr zusammen, so wird er sich in wenigen Wochen dort wie zu Hause fühlen. Es ist ein charakteristisches Zeichen englischen Lebens, daß die englische Familie den, dein sie einmal ihre Pforte geöffnet hat, nicht nnr gast¬ freundlich aufnimmt, sondern ihn wie ihresgleichen an Familienangelegenheiten innig teilnehmen läßt und es ihn vergessen zu machen bestrebt ist, daß er nur ein Adoptivkind in ihrem Kreise ist. Diese Sitte begünstigt aber unsern Plan; denu so werden die Angehörigen seiner Wirtsleute und diese selbst sich gern über die ersten Unebenheiten der Unterhaltung hinwegsetzen und sich befleißigen, dem Stipendiaten bei Erlernung ihrer Sprache behilflich zu sein. Rolfs übersieht auch bei seinem Vorschlage, daß es gegen die Landessitte verstößt, Fremde zur Beköstigung anzunehmen, außer wenn sie auch zugleich in der Familie wohnen. Gebildete Familien der Mittelklassen aber, die gern junge Fremde in Kost und Wohnung nehmen, giebt es in London mit seinen mehr als vier Millionen Einwohnern viele Tausende. Es wäre so dem mit Londoner Verhältnissen vertrauten leicht, eine genügende Anzahl von Familien aufzu¬ finden, in denen sich die deutschen Stipendiaten (je einer in einer Familie) wvhlaufgehvbeu fühlten und jede Aussicht hätten, in ihren Bestrebungen ge¬ fördert zu werden. Der Rolfssche Gast würde aber nur ein ungern gesehener Gast sein. Er will in der Familie Englisch lernen. Da er aber der einzige Deutsche darin sein soll, so liegt auf der Hand, daß der Gewinn, den die eng¬ lische Familie aus seinen Mahlzeiten zieht, nnr gering sein kann. Im Ver¬ hältnis dazu steht aber natürlicherweise ihre Bereitwilligkeit, ihn im Englisch¬ reden zu unterstützen. Der Rolfssche Gast würde sobald als möglich abgespeist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/587>, abgerufen am 27.09.2024.