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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Geschichte der Gotthardbcchn.

gab. Der neue Oberingenieur Hcllwag aber legte einen neuen Voranschlag vor,
worin der Fehlbetrag sogar ans 102 Millionen berechnet war. Die zu ge¬
ringe Veranschlagung vom Jahre 1869 beruhte auf folgenden Fehlern. Gerade
die schwierigsten Arbeiten hatten nur nach Pauschalschätzungen veranschlagt
werden können. Seit 1869 waren die Arbeitslöhne und die Preise der Bau¬
materialien erheblich gestiegen. Die Kosten der Geldbeschaffung hatten fast das
Vierfache des Voranschlags (6^ Millionen) betragen. Nach den inzwischen
gemachten Erfahrungen veranschlagte Ingenieur Hellwag die "Vorarbeiten" um
162, die Preise für "Enteignungen" um 156, die "allgemeinen Kosten des Bahn¬
baues" um 368, den "Unterban" um 51, den "Oberbau" um 28, die "Bahn¬
höfe und Stationen" um 179 Prozent höher, als im Voranschlag von 1869
enthalten war. Auch die "Bauzinsen" mußten, statt zu 12 Millionen, zu fast
18 Millionen berechnet werden.

Dieser neue Einblick in die Finanzlage der Gesellschaft rief in allen be¬
teiligten Kreisen die schmerzlichste Überraschung hervor. Aus Antrag der Direktion
der Gotthardbahn berief der Bundesrat eine Konferenz der beteiligten Staaten,
um die Hellwagschen Vorlagen zu begutachten und die weitern Schritte zu
beraten. Zugleich berief erstere eine Expertenkommission, um die Hellwagschen
Kostenanschläge zu prüfen und sich über erzielbarc Ersparnisse auszusprechen.
Auf Grund des von dieser abgegebenen Befundes stellte die Direktion einen
neue" Kostenanschlag ans, der als Gesamtbedarf für Ausführung des ganzen
Netzes der Bahn die Summe von nahezu 26.1 Millionen ergab.

Die vom Bundesrat berufene internationale Konferenz kam im Juni 1877
in Luzern zusammen. Es galt zur Erzielung von Ersparnissen den ursprüng¬
lichen Plan möglichst zu beschränken. Man beschloß, die Berglinien, vorbehalt¬
lich gewisser Ausnahmen, vorerst nur einspurig anzulegen. Man beschloß ferner,
den Minimalradius für Biegungen ausnahmsweise von 300 auf 280 Meter zu
vermindern; die zulässigen Steigungen, die man bisher zu 25 pro Tausend ange¬
nommen, stellenweise bis zu 26 und zu 27 pro Tausend zu erhöhen. Endlich be¬
schloß man auch, daß der Bau der Strecken Luzern-Jmmeusee, Zug-Arts und
Giubiasco-Lugano bis zur Vollendung der übrigen Bahn ausgesetzt werden sollte.
Dadurch beschränkte man den neuen Kostenanschlag auf 227 Millionen, sodaß der
Fehlbetrag sich nur noch auf 40 Millionen belief. Von diesen sollten 28 Millionen
durch Subventionen, und zwar 10 Millionen von Deutschland, ebensoviel von
Italien und 8 Millionen von der Schweiz geleistet werden. Den Nest von
12 Millionen zu beschaffen, sollte der Golthardbahngcsellschaft überlassen bleiben.

Um festzustellen, ob der von der internationalen Konferenz für das reduzirte
Bahnnetz aufgestellte Kostenanschlag mich ausreiche, ließ nun die Direktion von
dem technischen Zentralbüreau nochmals ein detaillirtes Projekt nebst Kosten¬
anschlag anfertigen und unterwarf dieses einer sorgfältigen Prüfung des Bau¬
direktors Presse! in Wien. Durch verschiedne Ersparnisse wurde ein Kosten-


Grmzbvtcn IV. 1886. 72
Die Geschichte der Gotthardbcchn.

gab. Der neue Oberingenieur Hcllwag aber legte einen neuen Voranschlag vor,
worin der Fehlbetrag sogar ans 102 Millionen berechnet war. Die zu ge¬
ringe Veranschlagung vom Jahre 1869 beruhte auf folgenden Fehlern. Gerade
die schwierigsten Arbeiten hatten nur nach Pauschalschätzungen veranschlagt
werden können. Seit 1869 waren die Arbeitslöhne und die Preise der Bau¬
materialien erheblich gestiegen. Die Kosten der Geldbeschaffung hatten fast das
Vierfache des Voranschlags (6^ Millionen) betragen. Nach den inzwischen
gemachten Erfahrungen veranschlagte Ingenieur Hellwag die „Vorarbeiten" um
162, die Preise für „Enteignungen" um 156, die „allgemeinen Kosten des Bahn¬
baues" um 368, den „Unterban" um 51, den „Oberbau" um 28, die „Bahn¬
höfe und Stationen" um 179 Prozent höher, als im Voranschlag von 1869
enthalten war. Auch die „Bauzinsen" mußten, statt zu 12 Millionen, zu fast
18 Millionen berechnet werden.

Dieser neue Einblick in die Finanzlage der Gesellschaft rief in allen be¬
teiligten Kreisen die schmerzlichste Überraschung hervor. Aus Antrag der Direktion
der Gotthardbahn berief der Bundesrat eine Konferenz der beteiligten Staaten,
um die Hellwagschen Vorlagen zu begutachten und die weitern Schritte zu
beraten. Zugleich berief erstere eine Expertenkommission, um die Hellwagschen
Kostenanschläge zu prüfen und sich über erzielbarc Ersparnisse auszusprechen.
Auf Grund des von dieser abgegebenen Befundes stellte die Direktion einen
neue» Kostenanschlag ans, der als Gesamtbedarf für Ausführung des ganzen
Netzes der Bahn die Summe von nahezu 26.1 Millionen ergab.

Die vom Bundesrat berufene internationale Konferenz kam im Juni 1877
in Luzern zusammen. Es galt zur Erzielung von Ersparnissen den ursprüng¬
lichen Plan möglichst zu beschränken. Man beschloß, die Berglinien, vorbehalt¬
lich gewisser Ausnahmen, vorerst nur einspurig anzulegen. Man beschloß ferner,
den Minimalradius für Biegungen ausnahmsweise von 300 auf 280 Meter zu
vermindern; die zulässigen Steigungen, die man bisher zu 25 pro Tausend ange¬
nommen, stellenweise bis zu 26 und zu 27 pro Tausend zu erhöhen. Endlich be¬
schloß man auch, daß der Bau der Strecken Luzern-Jmmeusee, Zug-Arts und
Giubiasco-Lugano bis zur Vollendung der übrigen Bahn ausgesetzt werden sollte.
Dadurch beschränkte man den neuen Kostenanschlag auf 227 Millionen, sodaß der
Fehlbetrag sich nur noch auf 40 Millionen belief. Von diesen sollten 28 Millionen
durch Subventionen, und zwar 10 Millionen von Deutschland, ebensoviel von
Italien und 8 Millionen von der Schweiz geleistet werden. Den Nest von
12 Millionen zu beschaffen, sollte der Golthardbahngcsellschaft überlassen bleiben.

Um festzustellen, ob der von der internationalen Konferenz für das reduzirte
Bahnnetz aufgestellte Kostenanschlag mich ausreiche, ließ nun die Direktion von
dem technischen Zentralbüreau nochmals ein detaillirtes Projekt nebst Kosten¬
anschlag anfertigen und unterwarf dieses einer sorgfältigen Prüfung des Bau¬
direktors Presse! in Wien. Durch verschiedne Ersparnisse wurde ein Kosten-


Grmzbvtcn IV. 1886. 72
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[0577] Die Geschichte der Gotthardbcchn. gab. Der neue Oberingenieur Hcllwag aber legte einen neuen Voranschlag vor, worin der Fehlbetrag sogar ans 102 Millionen berechnet war. Die zu ge¬ ringe Veranschlagung vom Jahre 1869 beruhte auf folgenden Fehlern. Gerade die schwierigsten Arbeiten hatten nur nach Pauschalschätzungen veranschlagt werden können. Seit 1869 waren die Arbeitslöhne und die Preise der Bau¬ materialien erheblich gestiegen. Die Kosten der Geldbeschaffung hatten fast das Vierfache des Voranschlags (6^ Millionen) betragen. Nach den inzwischen gemachten Erfahrungen veranschlagte Ingenieur Hellwag die „Vorarbeiten" um 162, die Preise für „Enteignungen" um 156, die „allgemeinen Kosten des Bahn¬ baues" um 368, den „Unterban" um 51, den „Oberbau" um 28, die „Bahn¬ höfe und Stationen" um 179 Prozent höher, als im Voranschlag von 1869 enthalten war. Auch die „Bauzinsen" mußten, statt zu 12 Millionen, zu fast 18 Millionen berechnet werden. Dieser neue Einblick in die Finanzlage der Gesellschaft rief in allen be¬ teiligten Kreisen die schmerzlichste Überraschung hervor. Aus Antrag der Direktion der Gotthardbahn berief der Bundesrat eine Konferenz der beteiligten Staaten, um die Hellwagschen Vorlagen zu begutachten und die weitern Schritte zu beraten. Zugleich berief erstere eine Expertenkommission, um die Hellwagschen Kostenanschläge zu prüfen und sich über erzielbarc Ersparnisse auszusprechen. Auf Grund des von dieser abgegebenen Befundes stellte die Direktion einen neue» Kostenanschlag ans, der als Gesamtbedarf für Ausführung des ganzen Netzes der Bahn die Summe von nahezu 26.1 Millionen ergab. Die vom Bundesrat berufene internationale Konferenz kam im Juni 1877 in Luzern zusammen. Es galt zur Erzielung von Ersparnissen den ursprüng¬ lichen Plan möglichst zu beschränken. Man beschloß, die Berglinien, vorbehalt¬ lich gewisser Ausnahmen, vorerst nur einspurig anzulegen. Man beschloß ferner, den Minimalradius für Biegungen ausnahmsweise von 300 auf 280 Meter zu vermindern; die zulässigen Steigungen, die man bisher zu 25 pro Tausend ange¬ nommen, stellenweise bis zu 26 und zu 27 pro Tausend zu erhöhen. Endlich be¬ schloß man auch, daß der Bau der Strecken Luzern-Jmmeusee, Zug-Arts und Giubiasco-Lugano bis zur Vollendung der übrigen Bahn ausgesetzt werden sollte. Dadurch beschränkte man den neuen Kostenanschlag auf 227 Millionen, sodaß der Fehlbetrag sich nur noch auf 40 Millionen belief. Von diesen sollten 28 Millionen durch Subventionen, und zwar 10 Millionen von Deutschland, ebensoviel von Italien und 8 Millionen von der Schweiz geleistet werden. Den Nest von 12 Millionen zu beschaffen, sollte der Golthardbahngcsellschaft überlassen bleiben. Um festzustellen, ob der von der internationalen Konferenz für das reduzirte Bahnnetz aufgestellte Kostenanschlag mich ausreiche, ließ nun die Direktion von dem technischen Zentralbüreau nochmals ein detaillirtes Projekt nebst Kosten¬ anschlag anfertigen und unterwarf dieses einer sorgfältigen Prüfung des Bau¬ direktors Presse! in Wien. Durch verschiedne Ersparnisse wurde ein Kosten- Grmzbvtcn IV. 1886. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/577>, abgerufen am 27.09.2024.