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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

immer mitten hincingeschwatzt, wenn der Baron mit Herrn Klee verhandelt hat.
Nun, sagen Sie selbst, sind der Baron jemals böse geworden? Nein, sage
ich, der kann garnicht böse werden, solange einer mir bei der Wahrheit bleibt. Aber
Betrug, Baron Valerian, Betrug, ich glaube, ein Totschlag im Zorn wäre ihm
lieber! So, das war es nur, was ich mir ganz unterthänigst erlauben wollte,
dem Baron Valerian ins Andenken zu bringen; über den vielen Arbeiten, die
der Herr Referendar für den Staat zu absolviren haben, vergißt sich so was
wohl einmal. Nun, ich kann wohl die Stiefel gleich mit hinunternehmen, es wird
doch wohl der Wagen bestellt werden. Jetzt schneit's wieder, was vom Himmel
herunter will.

Der Schmidt ging, und Valer sah vor sich hin. Was will der Alte? Wo bin
ich denn hingeraten, ich? Geht's denn so geschwind bergab, daß schon die Hunde
auf der Straße mir das Unrecht nnwittern? Unsinn! Die Nachtruhe fehlt
mir; daher die Grillen.

Es war ein fürchterlicher Schneesturm draußen, sodaß der Friede die Pferde
Schritt gehen lassen mußte. Trotzdem beschloß Julie, den Bruder, um den
sie in Angst war, zum Bahnhof zu begleiten.

So setzten sich die Geschwister in die große alte Glastutsche. Valerian
lehnte den Kopf in die Wcigcnccke. Julie fühlte sich selbst unwohl, und das
steigerte sich, als sie in des Bruders farbloses Gesicht sah. Sie meinte, die
Stöße des Wagens noch für ihn mitzuempfinden. Sie faßte ihm mit der Hand
an die Schläfe und fühlte das Klopfen darin, wie kleine Haiumerschläge.

Valerian lächelte, ohne die Angen zu öffnen. Ein seltsamer Ausdruck glitt
über sein Gesicht, und er drückte den Kopf tiefer in die Polster.

Da schwankte die Kutsche und bog sich zur Seite. Die Geschwister führe"
auf, der Friede fluchte.

Halt --

Bleib nur sitzen!

Noch ein paar tüchtige Stöße, und es ging wieder glatt vorwärts.
Siehst du, da sind wir wieder im Gang, Valer. Bei solchem Wetter
kommt es leicht vor, daß man in den Chausseegraben fährt.

Oder fällt.

Wie meinst du das? Ich verstehe dich nicht.

Ist auch nicht nötig, liebes Kind.

Julie fand diese Antwort sehr ungezogen. Sie saß eine Weile und wartete
ans das, was er weiter sagen würde, aber Valerian hatte wieder die Augen ge¬
schlossen. Er sah ungeduldig auf, als sie nochmals begann: Dn bist so'sonder¬
bar, Valer, ich möchte wissen, was du vorhast?

Nichts.

Nun denn, was sonst mit dir ist!

Er seufzte. Dn wirst mir keine Ruhe lassen, soviel sehe ich! -- Ich war
in Mvosdorf.

Unmöglich! Wann?

Diese Nacht.

Aber Valer, wie kannst du etwas so schreckliches thun!

Er fuhr auf. Herrgott, was ist dabei? Freue dich lieber, daß ich lebendig
zurückgekommen bin; das ist bei dem Unwetter wirklich Glück.

Aber Julie war im Innersten empört. Und wenn es an den Tag käme! Urteile
doch, Valer, es ist schändlich von dir, ganz schändlich! Nie, nie würde Anton -


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

immer mitten hincingeschwatzt, wenn der Baron mit Herrn Klee verhandelt hat.
Nun, sagen Sie selbst, sind der Baron jemals böse geworden? Nein, sage
ich, der kann garnicht böse werden, solange einer mir bei der Wahrheit bleibt. Aber
Betrug, Baron Valerian, Betrug, ich glaube, ein Totschlag im Zorn wäre ihm
lieber! So, das war es nur, was ich mir ganz unterthänigst erlauben wollte,
dem Baron Valerian ins Andenken zu bringen; über den vielen Arbeiten, die
der Herr Referendar für den Staat zu absolviren haben, vergißt sich so was
wohl einmal. Nun, ich kann wohl die Stiefel gleich mit hinunternehmen, es wird
doch wohl der Wagen bestellt werden. Jetzt schneit's wieder, was vom Himmel
herunter will.

Der Schmidt ging, und Valer sah vor sich hin. Was will der Alte? Wo bin
ich denn hingeraten, ich? Geht's denn so geschwind bergab, daß schon die Hunde
auf der Straße mir das Unrecht nnwittern? Unsinn! Die Nachtruhe fehlt
mir; daher die Grillen.

Es war ein fürchterlicher Schneesturm draußen, sodaß der Friede die Pferde
Schritt gehen lassen mußte. Trotzdem beschloß Julie, den Bruder, um den
sie in Angst war, zum Bahnhof zu begleiten.

So setzten sich die Geschwister in die große alte Glastutsche. Valerian
lehnte den Kopf in die Wcigcnccke. Julie fühlte sich selbst unwohl, und das
steigerte sich, als sie in des Bruders farbloses Gesicht sah. Sie meinte, die
Stöße des Wagens noch für ihn mitzuempfinden. Sie faßte ihm mit der Hand
an die Schläfe und fühlte das Klopfen darin, wie kleine Haiumerschläge.

Valerian lächelte, ohne die Angen zu öffnen. Ein seltsamer Ausdruck glitt
über sein Gesicht, und er drückte den Kopf tiefer in die Polster.

Da schwankte die Kutsche und bog sich zur Seite. Die Geschwister führe»
auf, der Friede fluchte.

Halt —

Bleib nur sitzen!

Noch ein paar tüchtige Stöße, und es ging wieder glatt vorwärts.
Siehst du, da sind wir wieder im Gang, Valer. Bei solchem Wetter
kommt es leicht vor, daß man in den Chausseegraben fährt.

Oder fällt.

Wie meinst du das? Ich verstehe dich nicht.

Ist auch nicht nötig, liebes Kind.

Julie fand diese Antwort sehr ungezogen. Sie saß eine Weile und wartete
ans das, was er weiter sagen würde, aber Valerian hatte wieder die Augen ge¬
schlossen. Er sah ungeduldig auf, als sie nochmals begann: Dn bist so'sonder¬
bar, Valer, ich möchte wissen, was du vorhast?

Nichts.

Nun denn, was sonst mit dir ist!

Er seufzte. Dn wirst mir keine Ruhe lassen, soviel sehe ich! — Ich war
in Mvosdorf.

Unmöglich! Wann?

Diese Nacht.

Aber Valer, wie kannst du etwas so schreckliches thun!

Er fuhr auf. Herrgott, was ist dabei? Freue dich lieber, daß ich lebendig
zurückgekommen bin; das ist bei dem Unwetter wirklich Glück.

Aber Julie war im Innersten empört. Und wenn es an den Tag käme! Urteile
doch, Valer, es ist schändlich von dir, ganz schändlich! Nie, nie würde Anton -


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/560>, abgerufen am 27.09.2024.