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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Line Eroberung der deutschen Sprache.

Österreich oder nach Deutschland, und es kann nicht ausbleiben, daß sie bei der
Heimkehr das Erlernte mitbringen. Noch wichtiger ist der daherflutende Fremden¬
strom, welcher seiner Masse nach wieder aus Deutschen besteht. Will sich der
Gmnbündner an der eröffneten Geldquelle beteilige", so muß er deren Sprache
verstehen. Von der andern Seite kommen namentlich viele italienische Arbeiter,
deren verwandte Laute der Engadiner Dorfjuuge schnell erlernt. Der Fremden--
andrang hatte noch weiter im Gefolge, daß eine Menge Menschen aus dem
bereits germanisirten Teile Graubündens und aus andern Gebieten deutscher
Zunge einwanderte und sich in den Hochthälern niederließ. Selbst der an sich
so winzige Hauptort Chur ist hier wichtiger, als man glaubt, die Rekruten
müssen dorthin zur Dienstleistung, Verwaltungs- und Gerichtsangelegenhciten
finden dort ihren Mittelpunkt, wer nur Romanisch versteht, wird über die Achsel
angesehen. Wie einflußreich Chur wirkt, kann man z. B. im Vergell beobachten.
Der gegebene Hauptort dieses Thales, dessen Fluß, die Mera, ihre Wasser dem
Cölner See zuführt, der wirkliche Hauptort ist Chiavenna, von ihm aus werden
wesentlich die Lebensbedürfnisse geholt, und doch, der Bewohner des Italienisch
redenden Bergell neigt durchaus nach Chur hinüber, das nicht nur fern liegt,
sondern von dem er durch mehrere Gebirgspässe abgesperrt ist. Die vornehme
Familie der sillis von Sogliv hat bei Chur ihren jetzigen Herrensitz, in Chia-
venna einen halbfertig gewordenen Palast in Ruinen.

Noch sind die Schulen im Bergell italienisch, doch wird Deutsch schon
durchweg gelehrt, und sehr häufig begegnet man Bauern, die gut oder doch etwas
Deutsch können, und wenn es ganz wenig ist, so streuen sie doch gern in die
italienische Unterhaltung ihre deutschen Brocken ein. Ein Bcrgcller, mit dem
ich mich längere Zeit unterhielt, fragte mich schließlich, ob ich Italiener sei, und
als ich es verneinte und mich einen Deutschen nannte, rief er plötzlich aus:
^. (Zvriumim, br Mum, im?loup clizl ruonäo! Auch hier Vorliebe für das
Deutsche, welche sich bisweilen selbst auf die Deutschen überträgt. Bei Wirte"
sowohl als Kutschern glaubte ich wiederholt zu beobachten, daß deutsche Gäste
ihnen die angenehmsten seien. Es erscheint nicht unmöglich, daß selbst das
Bergell der deutschen Sprache gewonnen wird, sobald erst das Engadin völlig
germanisirt sein wird. In dem politischen Körper der Schweiz spielt das
Italienisch eine zu untergeordnete Rolle. In Lugano fragte ich einen Einge¬
borenen, wer einige vorübergehende Leute seien. Nun, es sind Italiener, erhielt
ich zur Antwort. Als ich mich wunderte, weshalb er dies so wegwerfend aus¬
spreche, da er doch selber Italiener sei, sah er mich groß an und betonte: Louo
KvisMw. Im Bergell lauten die meisten Schilder deutsch und italienisch, selbst
wenn der Bewohner kein Wort Deutsch versteht.

Ob die Konfession bei dein Hin- und Herwogen mitwirkt, wage ich kaum
zu entscheiden. In Tirol scheint es zweifelsohne der Fall zu sein, in der
Schweiz weniger, obwohl auch hier die evangelischen Orte sich schneller zu


Line Eroberung der deutschen Sprache.

Österreich oder nach Deutschland, und es kann nicht ausbleiben, daß sie bei der
Heimkehr das Erlernte mitbringen. Noch wichtiger ist der daherflutende Fremden¬
strom, welcher seiner Masse nach wieder aus Deutschen besteht. Will sich der
Gmnbündner an der eröffneten Geldquelle beteilige», so muß er deren Sprache
verstehen. Von der andern Seite kommen namentlich viele italienische Arbeiter,
deren verwandte Laute der Engadiner Dorfjuuge schnell erlernt. Der Fremden--
andrang hatte noch weiter im Gefolge, daß eine Menge Menschen aus dem
bereits germanisirten Teile Graubündens und aus andern Gebieten deutscher
Zunge einwanderte und sich in den Hochthälern niederließ. Selbst der an sich
so winzige Hauptort Chur ist hier wichtiger, als man glaubt, die Rekruten
müssen dorthin zur Dienstleistung, Verwaltungs- und Gerichtsangelegenhciten
finden dort ihren Mittelpunkt, wer nur Romanisch versteht, wird über die Achsel
angesehen. Wie einflußreich Chur wirkt, kann man z. B. im Vergell beobachten.
Der gegebene Hauptort dieses Thales, dessen Fluß, die Mera, ihre Wasser dem
Cölner See zuführt, der wirkliche Hauptort ist Chiavenna, von ihm aus werden
wesentlich die Lebensbedürfnisse geholt, und doch, der Bewohner des Italienisch
redenden Bergell neigt durchaus nach Chur hinüber, das nicht nur fern liegt,
sondern von dem er durch mehrere Gebirgspässe abgesperrt ist. Die vornehme
Familie der sillis von Sogliv hat bei Chur ihren jetzigen Herrensitz, in Chia-
venna einen halbfertig gewordenen Palast in Ruinen.

Noch sind die Schulen im Bergell italienisch, doch wird Deutsch schon
durchweg gelehrt, und sehr häufig begegnet man Bauern, die gut oder doch etwas
Deutsch können, und wenn es ganz wenig ist, so streuen sie doch gern in die
italienische Unterhaltung ihre deutschen Brocken ein. Ein Bcrgcller, mit dem
ich mich längere Zeit unterhielt, fragte mich schließlich, ob ich Italiener sei, und
als ich es verneinte und mich einen Deutschen nannte, rief er plötzlich aus:
^. (Zvriumim, br Mum, im?loup clizl ruonäo! Auch hier Vorliebe für das
Deutsche, welche sich bisweilen selbst auf die Deutschen überträgt. Bei Wirte»
sowohl als Kutschern glaubte ich wiederholt zu beobachten, daß deutsche Gäste
ihnen die angenehmsten seien. Es erscheint nicht unmöglich, daß selbst das
Bergell der deutschen Sprache gewonnen wird, sobald erst das Engadin völlig
germanisirt sein wird. In dem politischen Körper der Schweiz spielt das
Italienisch eine zu untergeordnete Rolle. In Lugano fragte ich einen Einge¬
borenen, wer einige vorübergehende Leute seien. Nun, es sind Italiener, erhielt
ich zur Antwort. Als ich mich wunderte, weshalb er dies so wegwerfend aus¬
spreche, da er doch selber Italiener sei, sah er mich groß an und betonte: Louo
KvisMw. Im Bergell lauten die meisten Schilder deutsch und italienisch, selbst
wenn der Bewohner kein Wort Deutsch versteht.

Ob die Konfession bei dein Hin- und Herwogen mitwirkt, wage ich kaum
zu entscheiden. In Tirol scheint es zweifelsohne der Fall zu sein, in der
Schweiz weniger, obwohl auch hier die evangelischen Orte sich schneller zu


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[0547] Line Eroberung der deutschen Sprache. Österreich oder nach Deutschland, und es kann nicht ausbleiben, daß sie bei der Heimkehr das Erlernte mitbringen. Noch wichtiger ist der daherflutende Fremden¬ strom, welcher seiner Masse nach wieder aus Deutschen besteht. Will sich der Gmnbündner an der eröffneten Geldquelle beteilige», so muß er deren Sprache verstehen. Von der andern Seite kommen namentlich viele italienische Arbeiter, deren verwandte Laute der Engadiner Dorfjuuge schnell erlernt. Der Fremden-- andrang hatte noch weiter im Gefolge, daß eine Menge Menschen aus dem bereits germanisirten Teile Graubündens und aus andern Gebieten deutscher Zunge einwanderte und sich in den Hochthälern niederließ. Selbst der an sich so winzige Hauptort Chur ist hier wichtiger, als man glaubt, die Rekruten müssen dorthin zur Dienstleistung, Verwaltungs- und Gerichtsangelegenhciten finden dort ihren Mittelpunkt, wer nur Romanisch versteht, wird über die Achsel angesehen. Wie einflußreich Chur wirkt, kann man z. B. im Vergell beobachten. Der gegebene Hauptort dieses Thales, dessen Fluß, die Mera, ihre Wasser dem Cölner See zuführt, der wirkliche Hauptort ist Chiavenna, von ihm aus werden wesentlich die Lebensbedürfnisse geholt, und doch, der Bewohner des Italienisch redenden Bergell neigt durchaus nach Chur hinüber, das nicht nur fern liegt, sondern von dem er durch mehrere Gebirgspässe abgesperrt ist. Die vornehme Familie der sillis von Sogliv hat bei Chur ihren jetzigen Herrensitz, in Chia- venna einen halbfertig gewordenen Palast in Ruinen. Noch sind die Schulen im Bergell italienisch, doch wird Deutsch schon durchweg gelehrt, und sehr häufig begegnet man Bauern, die gut oder doch etwas Deutsch können, und wenn es ganz wenig ist, so streuen sie doch gern in die italienische Unterhaltung ihre deutschen Brocken ein. Ein Bcrgcller, mit dem ich mich längere Zeit unterhielt, fragte mich schließlich, ob ich Italiener sei, und als ich es verneinte und mich einen Deutschen nannte, rief er plötzlich aus: ^. (Zvriumim, br Mum, im?loup clizl ruonäo! Auch hier Vorliebe für das Deutsche, welche sich bisweilen selbst auf die Deutschen überträgt. Bei Wirte» sowohl als Kutschern glaubte ich wiederholt zu beobachten, daß deutsche Gäste ihnen die angenehmsten seien. Es erscheint nicht unmöglich, daß selbst das Bergell der deutschen Sprache gewonnen wird, sobald erst das Engadin völlig germanisirt sein wird. In dem politischen Körper der Schweiz spielt das Italienisch eine zu untergeordnete Rolle. In Lugano fragte ich einen Einge¬ borenen, wer einige vorübergehende Leute seien. Nun, es sind Italiener, erhielt ich zur Antwort. Als ich mich wunderte, weshalb er dies so wegwerfend aus¬ spreche, da er doch selber Italiener sei, sah er mich groß an und betonte: Louo KvisMw. Im Bergell lauten die meisten Schilder deutsch und italienisch, selbst wenn der Bewohner kein Wort Deutsch versteht. Ob die Konfession bei dein Hin- und Herwogen mitwirkt, wage ich kaum zu entscheiden. In Tirol scheint es zweifelsohne der Fall zu sein, in der Schweiz weniger, obwohl auch hier die evangelischen Orte sich schneller zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/547>, abgerufen am 27.09.2024.