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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

die Erscheinung treten. Wir können hierfür nur auf das allgemeine Urteil
verweisen, welches man auf die gewaltige dramatische Kraft der Hauptszenen,
den Glanz der Farben, die Glut der Sprache, die Größe und Bedeutsamkeit
der Motive nicht erst kritisch hinzustoßen braucht. Wildenbruch kaun überzeugt
sein, daß mit solchen Mitteln auch ein strenger dramatischer Satz Wirkung übt,
und daß die übermäßige Berücksichtigung der rein stofflichen Seite dramatischer
Effekte sowie ihre kritiklose Häufung auf eine Gattung führt, die man dramatisches
Potpourri nennen möchte und die mit der Kunst nichts mehr zu thun hat.
Wir sprachen oben von Gründen für eine solche Erscheinung. Innerhalb der
Kunst können sie nicht liegen, das glauben wir nachgewiesen zu haben. Wir
brauchen sie nicht deutlich zu bezeichnen; sie sind unsrer Zeit weder fremd noch
leider unangemessen. Aber der Kunst werden sie es ewig bleiben und von
allen Fa^vns, berühmt zu werden, welche außerhalb ihres Bereiches in Schwang
kommen mögen, wird in ihr selbst leine einzige verfangen, selbst nicht die mildest
dissentirende. Die Kunst ist intolerant.

Der Künstler auch! wird man bei Wildenbruch hinzufügen müssen, nach
dessen "Christoph Marlow" es ja kein schlimmeres Schimpfwort giebt als den
Titel "Rezensent." Nun fürs erste ist dieser Aufsatz kaum würdig, eine Rezension
genannt zu werden. Wir hätten viel tiefer auf die einzelnen Stücke eingehen
müssen, als dies in dem gezognen Rahmen möglich war, und als rechter "Rezensent"
in Wildenbruchs Sinn hätten wir am Ende auch angeben müssen, wie alles besser
zu machen sei. Das möchten wir für das letztaugeführte Stück -- denn es ist nicht
mehr sein letztes -- ganz ausdrücklich von uns weisen. Wir raten ab von allen
Strichen und sonstigen dramaturgischen Flickschueidereien, zu denen seine ganz na¬
türliche übermäßige Länge auffordert. Es würde naturgemäß zunächst alles das
wegfallen, was wir oben als virtuose Vertuschung seines Gruudfehlers rühmten;
als kahles Argumentum, ohne sein blühendes Leben würde das Doppeldrama
an uns vorüberziehen, feine verstümmelten Gliederüberall deutlich vorstreckend.

Wir haben ohne jeden praktischen Zweck die kritische Empfindung zur Sprache
gebracht, die ein Dichtungswerk erregt. Das ist nämlich die letzte, die eigent¬
liche Daseinsberechtigung der Kritik. Das kritische Vermögen der Menschheit
ist so gut ein objektives wie das künstlerische; es drängt so gut zur Aussprache
wie jenes. In diesem Sinne ausgeübt, hat es ihm noch nie geschadet, wohl
aber schon sehr oft überschwänglich genützt. Am wenigsten sollte man dies
verkennen in einer Zeit, welche der Kritik wie keine andre bedarf, und am wenig¬
sten sollte man dies erwarten von einem Schriftsteller, dessen hohes Streben
in einer dafür so wenig erkenntlichen Zeit zur Sicherung und allseitigen An¬
erkennung der steten Bundesgenossenschaft verständnisvoller Kritik bedarf. So
wenig nach Lessing an einer bezüglichen Stelle den Lahmen eine Schmähschrift
auf die Krücke erbaut, so wenig anmutend erscheint das Schelten eines Vornehmen
auf seine Wache inmitten roher, drängender Volkshaufen.




Der Dramatiker der deutschen Jugend.

die Erscheinung treten. Wir können hierfür nur auf das allgemeine Urteil
verweisen, welches man auf die gewaltige dramatische Kraft der Hauptszenen,
den Glanz der Farben, die Glut der Sprache, die Größe und Bedeutsamkeit
der Motive nicht erst kritisch hinzustoßen braucht. Wildenbruch kaun überzeugt
sein, daß mit solchen Mitteln auch ein strenger dramatischer Satz Wirkung übt,
und daß die übermäßige Berücksichtigung der rein stofflichen Seite dramatischer
Effekte sowie ihre kritiklose Häufung auf eine Gattung führt, die man dramatisches
Potpourri nennen möchte und die mit der Kunst nichts mehr zu thun hat.
Wir sprachen oben von Gründen für eine solche Erscheinung. Innerhalb der
Kunst können sie nicht liegen, das glauben wir nachgewiesen zu haben. Wir
brauchen sie nicht deutlich zu bezeichnen; sie sind unsrer Zeit weder fremd noch
leider unangemessen. Aber der Kunst werden sie es ewig bleiben und von
allen Fa^vns, berühmt zu werden, welche außerhalb ihres Bereiches in Schwang
kommen mögen, wird in ihr selbst leine einzige verfangen, selbst nicht die mildest
dissentirende. Die Kunst ist intolerant.

Der Künstler auch! wird man bei Wildenbruch hinzufügen müssen, nach
dessen „Christoph Marlow" es ja kein schlimmeres Schimpfwort giebt als den
Titel „Rezensent." Nun fürs erste ist dieser Aufsatz kaum würdig, eine Rezension
genannt zu werden. Wir hätten viel tiefer auf die einzelnen Stücke eingehen
müssen, als dies in dem gezognen Rahmen möglich war, und als rechter „Rezensent"
in Wildenbruchs Sinn hätten wir am Ende auch angeben müssen, wie alles besser
zu machen sei. Das möchten wir für das letztaugeführte Stück — denn es ist nicht
mehr sein letztes — ganz ausdrücklich von uns weisen. Wir raten ab von allen
Strichen und sonstigen dramaturgischen Flickschueidereien, zu denen seine ganz na¬
türliche übermäßige Länge auffordert. Es würde naturgemäß zunächst alles das
wegfallen, was wir oben als virtuose Vertuschung seines Gruudfehlers rühmten;
als kahles Argumentum, ohne sein blühendes Leben würde das Doppeldrama
an uns vorüberziehen, feine verstümmelten Gliederüberall deutlich vorstreckend.

Wir haben ohne jeden praktischen Zweck die kritische Empfindung zur Sprache
gebracht, die ein Dichtungswerk erregt. Das ist nämlich die letzte, die eigent¬
liche Daseinsberechtigung der Kritik. Das kritische Vermögen der Menschheit
ist so gut ein objektives wie das künstlerische; es drängt so gut zur Aussprache
wie jenes. In diesem Sinne ausgeübt, hat es ihm noch nie geschadet, wohl
aber schon sehr oft überschwänglich genützt. Am wenigsten sollte man dies
verkennen in einer Zeit, welche der Kritik wie keine andre bedarf, und am wenig¬
sten sollte man dies erwarten von einem Schriftsteller, dessen hohes Streben
in einer dafür so wenig erkenntlichen Zeit zur Sicherung und allseitigen An¬
erkennung der steten Bundesgenossenschaft verständnisvoller Kritik bedarf. So
wenig nach Lessing an einer bezüglichen Stelle den Lahmen eine Schmähschrift
auf die Krücke erbaut, so wenig anmutend erscheint das Schelten eines Vornehmen
auf seine Wache inmitten roher, drängender Volkshaufen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/544>, abgerufen am 20.10.2024.