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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

einmal einen unfehlbar sichern Blick für erste, unmittelbare dramatische Wir¬
kungen. Auch in der Sprache. Mit einer Einseitigkeit, die schließlich komisch
hätte wirken müssen, wenn man nicht ihre Notwendigkeit gefühlt hätte, hat er
bisher ausschließlich jenes Register gezogen, das ja schon ans der Sprache über
Wildenbruch stets herauszuhören ist: das feurige. Nicht bloß seine Gestalten,
schon seine Stoffe sind dadurch bestimmt worden. Seine Stoffe zeigen durch¬
weg jenes hierfür einzig brauchbare Motiv: das Auflehnen jugendlicher Ge¬
müter gegen greisenhafte Pflichten, greisenhafte Vorurteile, greisenhafte Sünden
meist für das jugendlichste der Ideale, das Vaterland. Auch bei ganz modernen
Stoffen (Opfer um Opfer) verläßt ihn diese Art nicht, und so wenig er sich
hier vorläufig hat zurechtfinden können, in dieser Beziehung verdient er sehr
wohl, nachgeahmt zu werden. Daher sind auch alle seine Leute Mäuner und
alle jung. Auch seine Frauen, auch seine Greise! Von seiner Judith in den
"Karolingern" sagt er selbst mit großem Rechte: "Besorgt für Kaiser Ludwig
eine Spindel -- und aus dem Flachs macht seinem Weib 'nen Bart!" Das
Schwesternpaar in "Opfer um Opfer" ist ein Nisus und Eurhalus in Frauen-
kleidern und gemahnt bei seiner rührenden Unwahrheit an die Pagen- und
Schülerfrenndschasten der Jugendschriften. Den männlich besorgten Adelen,
Marien, Leonoren ("Harold," "Memorie," "Marlow") hat sich das Trudchen
des "Neuen Gebots" brüderlich angereiht. Seine Greise aber befinden sich meist
in jugendlichen Aufwallungen und markiren nur durch ihre dramatische Position
ihre Greisenhaftigkeit.

Diese Jugendlichkeit, die ganz andrer Natur, die viel jugendlicher ist als
die Schillers in seiner ersten Periode, ist gerade in der Zeit unsrer altthuenden
Bildung der Zauberstab gewesen für die Erfolge seines Dramas. Sie eroberte
ihm diejenigen Kreise der literaturfühigcn Bevölkerung, die immer literarisch
jung bleiben und die daher jener Art Bildung immer innerlich widerstrebend
gegenüberstehen: nicht bloß die höher gebildete Jugend, welche immer froh ist,
zu sehen, daß wieder einer den Mut hat, jung zu sein, sondern auch jene
"weitern Kreise" des Publikums, welche meist als "Garteulaubenpublikum" von
der hohen Literatur in Deutschland allzu vornehm übersehen werden und dennoch,
wie das Aufblühen der Familienblätter lehren kann, täglich eine größere Wich¬
tigkeit für sie erhalten. Zwischen die Wahl gestellt, entweder ihr Gebiet von
unter herauf immer mehr überwuchert und verkürzt zu scheu oder vou oben
herab erobernd vorzudringen, wird sie sich ohne Frage für das letztere ent¬
scheiden müssen. Wildenbruch ist ein solcher Pionier der hohen Literatur, der
bedeutendste und zugleich der edelste und wackerste seit Schillers gewaltigen
Thaten. Man sollte ihm das lieber danken, statt vornehmthuerisch über ihn
hinwegzusehen oder abzusprechen, wie dies von gewissen Seiten noch immer
geschieht. In diesem Sinne ist es auch undankbar, etwa sein Geschichtsdrama
ganz in Frage zu stellen, indem man es (vielleicht durch die oben berührte


Der Dramatiker der deutschen Jugend.

einmal einen unfehlbar sichern Blick für erste, unmittelbare dramatische Wir¬
kungen. Auch in der Sprache. Mit einer Einseitigkeit, die schließlich komisch
hätte wirken müssen, wenn man nicht ihre Notwendigkeit gefühlt hätte, hat er
bisher ausschließlich jenes Register gezogen, das ja schon ans der Sprache über
Wildenbruch stets herauszuhören ist: das feurige. Nicht bloß seine Gestalten,
schon seine Stoffe sind dadurch bestimmt worden. Seine Stoffe zeigen durch¬
weg jenes hierfür einzig brauchbare Motiv: das Auflehnen jugendlicher Ge¬
müter gegen greisenhafte Pflichten, greisenhafte Vorurteile, greisenhafte Sünden
meist für das jugendlichste der Ideale, das Vaterland. Auch bei ganz modernen
Stoffen (Opfer um Opfer) verläßt ihn diese Art nicht, und so wenig er sich
hier vorläufig hat zurechtfinden können, in dieser Beziehung verdient er sehr
wohl, nachgeahmt zu werden. Daher sind auch alle seine Leute Mäuner und
alle jung. Auch seine Frauen, auch seine Greise! Von seiner Judith in den
„Karolingern" sagt er selbst mit großem Rechte: „Besorgt für Kaiser Ludwig
eine Spindel — und aus dem Flachs macht seinem Weib 'nen Bart!" Das
Schwesternpaar in „Opfer um Opfer" ist ein Nisus und Eurhalus in Frauen-
kleidern und gemahnt bei seiner rührenden Unwahrheit an die Pagen- und
Schülerfrenndschasten der Jugendschriften. Den männlich besorgten Adelen,
Marien, Leonoren („Harold," „Memorie," „Marlow") hat sich das Trudchen
des „Neuen Gebots" brüderlich angereiht. Seine Greise aber befinden sich meist
in jugendlichen Aufwallungen und markiren nur durch ihre dramatische Position
ihre Greisenhaftigkeit.

Diese Jugendlichkeit, die ganz andrer Natur, die viel jugendlicher ist als
die Schillers in seiner ersten Periode, ist gerade in der Zeit unsrer altthuenden
Bildung der Zauberstab gewesen für die Erfolge seines Dramas. Sie eroberte
ihm diejenigen Kreise der literaturfühigcn Bevölkerung, die immer literarisch
jung bleiben und die daher jener Art Bildung immer innerlich widerstrebend
gegenüberstehen: nicht bloß die höher gebildete Jugend, welche immer froh ist,
zu sehen, daß wieder einer den Mut hat, jung zu sein, sondern auch jene
„weitern Kreise" des Publikums, welche meist als „Garteulaubenpublikum" von
der hohen Literatur in Deutschland allzu vornehm übersehen werden und dennoch,
wie das Aufblühen der Familienblätter lehren kann, täglich eine größere Wich¬
tigkeit für sie erhalten. Zwischen die Wahl gestellt, entweder ihr Gebiet von
unter herauf immer mehr überwuchert und verkürzt zu scheu oder vou oben
herab erobernd vorzudringen, wird sie sich ohne Frage für das letztere ent¬
scheiden müssen. Wildenbruch ist ein solcher Pionier der hohen Literatur, der
bedeutendste und zugleich der edelste und wackerste seit Schillers gewaltigen
Thaten. Man sollte ihm das lieber danken, statt vornehmthuerisch über ihn
hinwegzusehen oder abzusprechen, wie dies von gewissen Seiten noch immer
geschieht. In diesem Sinne ist es auch undankbar, etwa sein Geschichtsdrama
ganz in Frage zu stellen, indem man es (vielleicht durch die oben berührte


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[0538] Der Dramatiker der deutschen Jugend. einmal einen unfehlbar sichern Blick für erste, unmittelbare dramatische Wir¬ kungen. Auch in der Sprache. Mit einer Einseitigkeit, die schließlich komisch hätte wirken müssen, wenn man nicht ihre Notwendigkeit gefühlt hätte, hat er bisher ausschließlich jenes Register gezogen, das ja schon ans der Sprache über Wildenbruch stets herauszuhören ist: das feurige. Nicht bloß seine Gestalten, schon seine Stoffe sind dadurch bestimmt worden. Seine Stoffe zeigen durch¬ weg jenes hierfür einzig brauchbare Motiv: das Auflehnen jugendlicher Ge¬ müter gegen greisenhafte Pflichten, greisenhafte Vorurteile, greisenhafte Sünden meist für das jugendlichste der Ideale, das Vaterland. Auch bei ganz modernen Stoffen (Opfer um Opfer) verläßt ihn diese Art nicht, und so wenig er sich hier vorläufig hat zurechtfinden können, in dieser Beziehung verdient er sehr wohl, nachgeahmt zu werden. Daher sind auch alle seine Leute Mäuner und alle jung. Auch seine Frauen, auch seine Greise! Von seiner Judith in den „Karolingern" sagt er selbst mit großem Rechte: „Besorgt für Kaiser Ludwig eine Spindel — und aus dem Flachs macht seinem Weib 'nen Bart!" Das Schwesternpaar in „Opfer um Opfer" ist ein Nisus und Eurhalus in Frauen- kleidern und gemahnt bei seiner rührenden Unwahrheit an die Pagen- und Schülerfrenndschasten der Jugendschriften. Den männlich besorgten Adelen, Marien, Leonoren („Harold," „Memorie," „Marlow") hat sich das Trudchen des „Neuen Gebots" brüderlich angereiht. Seine Greise aber befinden sich meist in jugendlichen Aufwallungen und markiren nur durch ihre dramatische Position ihre Greisenhaftigkeit. Diese Jugendlichkeit, die ganz andrer Natur, die viel jugendlicher ist als die Schillers in seiner ersten Periode, ist gerade in der Zeit unsrer altthuenden Bildung der Zauberstab gewesen für die Erfolge seines Dramas. Sie eroberte ihm diejenigen Kreise der literaturfühigcn Bevölkerung, die immer literarisch jung bleiben und die daher jener Art Bildung immer innerlich widerstrebend gegenüberstehen: nicht bloß die höher gebildete Jugend, welche immer froh ist, zu sehen, daß wieder einer den Mut hat, jung zu sein, sondern auch jene „weitern Kreise" des Publikums, welche meist als „Garteulaubenpublikum" von der hohen Literatur in Deutschland allzu vornehm übersehen werden und dennoch, wie das Aufblühen der Familienblätter lehren kann, täglich eine größere Wich¬ tigkeit für sie erhalten. Zwischen die Wahl gestellt, entweder ihr Gebiet von unter herauf immer mehr überwuchert und verkürzt zu scheu oder vou oben herab erobernd vorzudringen, wird sie sich ohne Frage für das letztere ent¬ scheiden müssen. Wildenbruch ist ein solcher Pionier der hohen Literatur, der bedeutendste und zugleich der edelste und wackerste seit Schillers gewaltigen Thaten. Man sollte ihm das lieber danken, statt vornehmthuerisch über ihn hinwegzusehen oder abzusprechen, wie dies von gewissen Seiten noch immer geschieht. In diesem Sinne ist es auch undankbar, etwa sein Geschichtsdrama ganz in Frage zu stellen, indem man es (vielleicht durch die oben berührte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/538>, abgerufen am 20.10.2024.