Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Der Dramatiker der deutschen Jugend. ,für die Komödie der Geschehnisse und für das "langweilige" Drama großen Der Dramatiker der deutschen Jugend. ,für die Komödie der Geschehnisse und für das „langweilige" Drama großen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199889"/> <fw type="header" place="top"> Der Dramatiker der deutschen Jugend.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2344" prev="#ID_2343" next="#ID_2345"> ,für die Komödie der Geschehnisse und für das „langweilige" Drama großen<lb/> Stiles. Man muß den Kasseusturm beim Morgengrauen — was doch bei Stu¬<lb/> denten ins Gewicht füllt — früher in dem dunkeln Portal des Berliner Schau¬<lb/> spielhauses und später in der Akademischen Lesehalle nicht bloß bei „klassischen"<lb/> Dramen, sondern auch bei ernsten Stücken der Neueren und Neuesten mit an¬<lb/> gesehen haben, und dann damit das Aussehen des Studcntenranges bei den<lb/> „Danielas" und „Frauen ohne Geist" vergleichen. Ist es ein Wunder, daß die<lb/> heutige Jugend ganz besonders empfänglich ist für das große Drama, sie, deren<lb/> Gemüt in der empfänglichsten Periode der Entwicklung das größte Drama der<lb/> Weltgeschichte in sich aufnahm? Sie waren Knaben und „lasen in ihrem<lb/> Plutarch von großen Menschen," sie hörten zum erstenmale deutsche Geschichte,<lb/> als die gewaltige Peripetie der deutschen Geschichtstragödie sich vor ihren Augen<lb/> entrollte, Schlag auf Schlag und größer und immer größer, wie kein Kothurn<lb/> der Erde es vermag. e^v/t«^ rereXev^xsv — nach der Terminologie des<lb/> alten Aristoteles, sie hat sich zum Guten gewendet. Und sie sollten keinen<lb/> Geschmack an der Tragödie haben? Sie sollten nicht wieder Männer auf der<lb/> Bühne sehen wollen, Männer in Sturm und Not, und nicht bloß verlogene<lb/> Weiber und Ränke und Kniffe des Salons? Sie sollten dem Dichter nicht<lb/> zujubeln, der ihnen — und zum erstenmale — in dem engen Hinterzimmer einer<lb/> Stndentenkneipe, wo man ans Tischen und Schränken saß, mit trotziger Stimme<lb/> seine Männerdramen vorlas, Dramen, die so sehr abweichen von dem Tand<lb/> und der problematischen Kasuistik der uns gewohnten Bühne, Dramen, die zu<lb/> den abgelehntesten Deutschlands zählten und die ihr Schöpfer mit männlichem<lb/> Gleichmut gleichwohl eins nach dem andern aufhäufte in seinem Schreibepult?<lb/> Wohl, sie hörten mitunter einige söLeluipocllüm vsrda, sie erinnerten sich<lb/> hinterher mit freudigem Erstatten, einige geschichtsphilosophische Leitverse ähnlich<lb/> im Putz und im kleinen Plötz dereinst gelernt zu haben, und diejenigen unter<lb/> ihnen, welche sich der edeln Wissenschaft der Philologie befleißigten, rumorten<lb/> mitunter etwas mit dramaturgischen Verfassungen, mit Aristoteles, Lessing und<lb/> Gustav Freytag. Aber in der Zeit selbst, während der blonde Schnauzbart<lb/> vor ihnen donnerte, gedachte wohl keiner solcher Dinge auch nur von fern. Alle<lb/> waren drinnen im Drama, man sah wohl Fäuste sich ballen, Augen rollen<lb/> und — feucht werden, selbst das zerschmissenste bemooste Haupt schämte sich nicht<lb/> seiner Thränen. Aber kein kritisches Kopfschütteln. Sie erfuhren eben an<lb/> sich selber, was sie sich später theoretisch klar machten, daß gerade der Dra¬<lb/> matiker, der heute groß und stark und zugleich, wie es im Drama nötig ist,<lb/> augenblicklich wirken will, solcher Dinge bedarf, daß er gerade auf sie vielleicht<lb/> seine Massenwirkung gründet. Und das Gefühl der Massen steckt im Theater<lb/> bekanntlich an, es wirkt zurück auf den Gebildeten, der dann gut hat sich<lb/> Wundern, welchen Mitteln er seine Bewegung verdankt. Man hat Wildenbruch<lb/> Schwulst vorgeworfen. Mit Unrecht. Wildenbruch ist reich an unausgeführten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0535]
Der Dramatiker der deutschen Jugend.
,für die Komödie der Geschehnisse und für das „langweilige" Drama großen
Stiles. Man muß den Kasseusturm beim Morgengrauen — was doch bei Stu¬
denten ins Gewicht füllt — früher in dem dunkeln Portal des Berliner Schau¬
spielhauses und später in der Akademischen Lesehalle nicht bloß bei „klassischen"
Dramen, sondern auch bei ernsten Stücken der Neueren und Neuesten mit an¬
gesehen haben, und dann damit das Aussehen des Studcntenranges bei den
„Danielas" und „Frauen ohne Geist" vergleichen. Ist es ein Wunder, daß die
heutige Jugend ganz besonders empfänglich ist für das große Drama, sie, deren
Gemüt in der empfänglichsten Periode der Entwicklung das größte Drama der
Weltgeschichte in sich aufnahm? Sie waren Knaben und „lasen in ihrem
Plutarch von großen Menschen," sie hörten zum erstenmale deutsche Geschichte,
als die gewaltige Peripetie der deutschen Geschichtstragödie sich vor ihren Augen
entrollte, Schlag auf Schlag und größer und immer größer, wie kein Kothurn
der Erde es vermag. e^v/t«^ rereXev^xsv — nach der Terminologie des
alten Aristoteles, sie hat sich zum Guten gewendet. Und sie sollten keinen
Geschmack an der Tragödie haben? Sie sollten nicht wieder Männer auf der
Bühne sehen wollen, Männer in Sturm und Not, und nicht bloß verlogene
Weiber und Ränke und Kniffe des Salons? Sie sollten dem Dichter nicht
zujubeln, der ihnen — und zum erstenmale — in dem engen Hinterzimmer einer
Stndentenkneipe, wo man ans Tischen und Schränken saß, mit trotziger Stimme
seine Männerdramen vorlas, Dramen, die so sehr abweichen von dem Tand
und der problematischen Kasuistik der uns gewohnten Bühne, Dramen, die zu
den abgelehntesten Deutschlands zählten und die ihr Schöpfer mit männlichem
Gleichmut gleichwohl eins nach dem andern aufhäufte in seinem Schreibepult?
Wohl, sie hörten mitunter einige söLeluipocllüm vsrda, sie erinnerten sich
hinterher mit freudigem Erstatten, einige geschichtsphilosophische Leitverse ähnlich
im Putz und im kleinen Plötz dereinst gelernt zu haben, und diejenigen unter
ihnen, welche sich der edeln Wissenschaft der Philologie befleißigten, rumorten
mitunter etwas mit dramaturgischen Verfassungen, mit Aristoteles, Lessing und
Gustav Freytag. Aber in der Zeit selbst, während der blonde Schnauzbart
vor ihnen donnerte, gedachte wohl keiner solcher Dinge auch nur von fern. Alle
waren drinnen im Drama, man sah wohl Fäuste sich ballen, Augen rollen
und — feucht werden, selbst das zerschmissenste bemooste Haupt schämte sich nicht
seiner Thränen. Aber kein kritisches Kopfschütteln. Sie erfuhren eben an
sich selber, was sie sich später theoretisch klar machten, daß gerade der Dra¬
matiker, der heute groß und stark und zugleich, wie es im Drama nötig ist,
augenblicklich wirken will, solcher Dinge bedarf, daß er gerade auf sie vielleicht
seine Massenwirkung gründet. Und das Gefühl der Massen steckt im Theater
bekanntlich an, es wirkt zurück auf den Gebildeten, der dann gut hat sich
Wundern, welchen Mitteln er seine Bewegung verdankt. Man hat Wildenbruch
Schwulst vorgeworfen. Mit Unrecht. Wildenbruch ist reich an unausgeführten
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |