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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

exempel. Gerade die, welche uns dies zumuten, erkennen wir nicht als seine
wahren Vertreter an. Aber Sammlung, Erhebung beansprucht es von uns,
die Fähigkeit, uns von uns selbst loszumachen, uns für andre zu erwärmen,
es fordert Anlage zur Aufopferungsfähigkeit, Gemeinsinn, das, was das Vater¬
land zu allen Zeiten von seinen Bürgern verlangen muß. Wehe der Zeit, da
der Bürger nicht mehr dafür "gestimmt" ist! Wehe der Zeit und dem Volke,
welches das Drama nicht mehr kennt! Denkt daran, daß es die großen Zeiten,
die blühenden Völker waren, welche das Drama hochhielten, und daß Rom fiel,
als es nur noch in den Zirkus ging.

Der Dramatiker, von dem wir ausgingen, wird wohl oft so haben denken
und sprechen müssen in den Jahren seiner Entwicklung. Es waren keine Jahre,
günstig für den Dramatiker, für den bloßen Dramatiker, und wann sind sie es
bisher in Deutschland gewesen? Aber Gott sei Dank, sie waren günstig für
das Drama. Und da der Dramatiker ein zäher, energischer Mann war, und
Not und Tod, die stets eine eigentümliche Neigung für deutsche dramatische
Dichter hegten, diesmal ein Einsehen hatten, so ist es ihm endlich gelungen,
den dramatischen Funken aus der Zeit heraus und zur ansehnlichen Famine anzu¬
schlagen und ihm, endlich ihm ist es zugleich gegeben, sich ganz in ihr zu sonnen.
Ist da jemand, der ihm das mißgönnt, der diesen Glanz gemacht findet oder
es für unberechtigt erklärt, daß dieser glückliche Mensch mit einerntet, was
Schiller, Kleist und Grillparzer versagt blieb? Ich möchte ihm nicht raten,
seine Bedenken allzulaut zu äußern, er hätte es mit der gesamten -- Jugend
zu thun, und die hat bekanntlich Recht, wie der Tag und das Leben. Es ist
ein uraltes, ein gütig-grausames Gesetz der Menschheitsgeschichte, daß Enkel
ernten, was die Ahnen säeten, daß Junge schwelgen, wo die Alten
darbten. Ist es nicht weiser, sich des Segens der Enkel zu freuen, als weiter
zu seufzen über die Lasten der Ahnen, ist es nicht lustiger, teilzunehmen an
dem Überfluß der Jungen, als abseits zu murren über die Entbehrungen der
Alten?

Gerade diese überschwängliche Begeisterung der Jugend für ihren Dramatiker
giebt uns volle Gewähr, daß wir uns wirklich in aufsteigender Linie befinden.
Ein Volk, das noch wahrhaft dramatisch fühlen kann, ist überhaupt noch jung,
und wenn es sich dies Gefühl bewahrt, sichert es sich ewige Jugend. Die deutsche
Jugend ist nun stets, seitdem das deutsche Volk zum Selbstbewußtsein gereift
ist, ein Hort des deutschen Dramas gewesen. Das hat sogar diejenige dramatische
Autorität anerkannt, die sonst am ehesten zu Kompromissen mit dem Außcr-
deutscheu und Undramatischen geneigt war, Heinrich Laube. Ein Theater, dem
die Teilnahme der Studentenschaft gleichgiltig ist, zeigt dadurch deutlicher, als
es äußerlich möglich ist, seine eigentlichen Tendenzen. Und die deutsche
Studentenschaft findet um einmal keinen Geschmack an Planderstückchen und
Saisondramen, sie hat nach wie vor eine ganz merkwürdig einseitige Vorliebe


Der Dramatiker der deutschen Jugend.

exempel. Gerade die, welche uns dies zumuten, erkennen wir nicht als seine
wahren Vertreter an. Aber Sammlung, Erhebung beansprucht es von uns,
die Fähigkeit, uns von uns selbst loszumachen, uns für andre zu erwärmen,
es fordert Anlage zur Aufopferungsfähigkeit, Gemeinsinn, das, was das Vater¬
land zu allen Zeiten von seinen Bürgern verlangen muß. Wehe der Zeit, da
der Bürger nicht mehr dafür „gestimmt" ist! Wehe der Zeit und dem Volke,
welches das Drama nicht mehr kennt! Denkt daran, daß es die großen Zeiten,
die blühenden Völker waren, welche das Drama hochhielten, und daß Rom fiel,
als es nur noch in den Zirkus ging.

Der Dramatiker, von dem wir ausgingen, wird wohl oft so haben denken
und sprechen müssen in den Jahren seiner Entwicklung. Es waren keine Jahre,
günstig für den Dramatiker, für den bloßen Dramatiker, und wann sind sie es
bisher in Deutschland gewesen? Aber Gott sei Dank, sie waren günstig für
das Drama. Und da der Dramatiker ein zäher, energischer Mann war, und
Not und Tod, die stets eine eigentümliche Neigung für deutsche dramatische
Dichter hegten, diesmal ein Einsehen hatten, so ist es ihm endlich gelungen,
den dramatischen Funken aus der Zeit heraus und zur ansehnlichen Famine anzu¬
schlagen und ihm, endlich ihm ist es zugleich gegeben, sich ganz in ihr zu sonnen.
Ist da jemand, der ihm das mißgönnt, der diesen Glanz gemacht findet oder
es für unberechtigt erklärt, daß dieser glückliche Mensch mit einerntet, was
Schiller, Kleist und Grillparzer versagt blieb? Ich möchte ihm nicht raten,
seine Bedenken allzulaut zu äußern, er hätte es mit der gesamten — Jugend
zu thun, und die hat bekanntlich Recht, wie der Tag und das Leben. Es ist
ein uraltes, ein gütig-grausames Gesetz der Menschheitsgeschichte, daß Enkel
ernten, was die Ahnen säeten, daß Junge schwelgen, wo die Alten
darbten. Ist es nicht weiser, sich des Segens der Enkel zu freuen, als weiter
zu seufzen über die Lasten der Ahnen, ist es nicht lustiger, teilzunehmen an
dem Überfluß der Jungen, als abseits zu murren über die Entbehrungen der
Alten?

Gerade diese überschwängliche Begeisterung der Jugend für ihren Dramatiker
giebt uns volle Gewähr, daß wir uns wirklich in aufsteigender Linie befinden.
Ein Volk, das noch wahrhaft dramatisch fühlen kann, ist überhaupt noch jung,
und wenn es sich dies Gefühl bewahrt, sichert es sich ewige Jugend. Die deutsche
Jugend ist nun stets, seitdem das deutsche Volk zum Selbstbewußtsein gereift
ist, ein Hort des deutschen Dramas gewesen. Das hat sogar diejenige dramatische
Autorität anerkannt, die sonst am ehesten zu Kompromissen mit dem Außcr-
deutscheu und Undramatischen geneigt war, Heinrich Laube. Ein Theater, dem
die Teilnahme der Studentenschaft gleichgiltig ist, zeigt dadurch deutlicher, als
es äußerlich möglich ist, seine eigentlichen Tendenzen. Und die deutsche
Studentenschaft findet um einmal keinen Geschmack an Planderstückchen und
Saisondramen, sie hat nach wie vor eine ganz merkwürdig einseitige Vorliebe


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[0534] Der Dramatiker der deutschen Jugend. exempel. Gerade die, welche uns dies zumuten, erkennen wir nicht als seine wahren Vertreter an. Aber Sammlung, Erhebung beansprucht es von uns, die Fähigkeit, uns von uns selbst loszumachen, uns für andre zu erwärmen, es fordert Anlage zur Aufopferungsfähigkeit, Gemeinsinn, das, was das Vater¬ land zu allen Zeiten von seinen Bürgern verlangen muß. Wehe der Zeit, da der Bürger nicht mehr dafür „gestimmt" ist! Wehe der Zeit und dem Volke, welches das Drama nicht mehr kennt! Denkt daran, daß es die großen Zeiten, die blühenden Völker waren, welche das Drama hochhielten, und daß Rom fiel, als es nur noch in den Zirkus ging. Der Dramatiker, von dem wir ausgingen, wird wohl oft so haben denken und sprechen müssen in den Jahren seiner Entwicklung. Es waren keine Jahre, günstig für den Dramatiker, für den bloßen Dramatiker, und wann sind sie es bisher in Deutschland gewesen? Aber Gott sei Dank, sie waren günstig für das Drama. Und da der Dramatiker ein zäher, energischer Mann war, und Not und Tod, die stets eine eigentümliche Neigung für deutsche dramatische Dichter hegten, diesmal ein Einsehen hatten, so ist es ihm endlich gelungen, den dramatischen Funken aus der Zeit heraus und zur ansehnlichen Famine anzu¬ schlagen und ihm, endlich ihm ist es zugleich gegeben, sich ganz in ihr zu sonnen. Ist da jemand, der ihm das mißgönnt, der diesen Glanz gemacht findet oder es für unberechtigt erklärt, daß dieser glückliche Mensch mit einerntet, was Schiller, Kleist und Grillparzer versagt blieb? Ich möchte ihm nicht raten, seine Bedenken allzulaut zu äußern, er hätte es mit der gesamten — Jugend zu thun, und die hat bekanntlich Recht, wie der Tag und das Leben. Es ist ein uraltes, ein gütig-grausames Gesetz der Menschheitsgeschichte, daß Enkel ernten, was die Ahnen säeten, daß Junge schwelgen, wo die Alten darbten. Ist es nicht weiser, sich des Segens der Enkel zu freuen, als weiter zu seufzen über die Lasten der Ahnen, ist es nicht lustiger, teilzunehmen an dem Überfluß der Jungen, als abseits zu murren über die Entbehrungen der Alten? Gerade diese überschwängliche Begeisterung der Jugend für ihren Dramatiker giebt uns volle Gewähr, daß wir uns wirklich in aufsteigender Linie befinden. Ein Volk, das noch wahrhaft dramatisch fühlen kann, ist überhaupt noch jung, und wenn es sich dies Gefühl bewahrt, sichert es sich ewige Jugend. Die deutsche Jugend ist nun stets, seitdem das deutsche Volk zum Selbstbewußtsein gereift ist, ein Hort des deutschen Dramas gewesen. Das hat sogar diejenige dramatische Autorität anerkannt, die sonst am ehesten zu Kompromissen mit dem Außcr- deutscheu und Undramatischen geneigt war, Heinrich Laube. Ein Theater, dem die Teilnahme der Studentenschaft gleichgiltig ist, zeigt dadurch deutlicher, als es äußerlich möglich ist, seine eigentlichen Tendenzen. Und die deutsche Studentenschaft findet um einmal keinen Geschmack an Planderstückchen und Saisondramen, sie hat nach wie vor eine ganz merkwürdig einseitige Vorliebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/534>, abgerufen am 20.10.2024.