Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Kirche in Preußen.

leicht und zu früh auf einseitige Begrenzung des wissenschaftlichen Interesses,
am meisten die römische Kirche, aber auch die evangelische; so sehr sie auch der
Wissenschaft bedarf und sich mit Recht darauf beruft, daß die rechte Wissenschaft
endlich wieder zur Stütze des evangelischen Glaubens werde. Wir wollen uns
auch auf dem Wege zu dieser idealen Höhe keine Grenze der Forschung, insbesondre
der biblischen Forschung, auferlegen lassen, und darum wollen wir dem Staate alle
Fakultäten lassen, aber mit dem Beirat der Landeskirchenbehörde in ihrer Spitze.

Nur die Universität hat noch eine gewisse Selbständigkeit der evangelischen
Kirche gegenüber behauptet, und die Kirche fährt dabei nicht schlecht. An allen
Fakultäten kann die orthodoxeste Richtung der preußischen Theologen ihre
Dozenten finden, neben den andern, und wer sich damit nicht begnügt, kann in
Rostock, Erlangen, Leipzig noch weitergehende Bedürfnisse befriedigen. Oder
sollte das Streben dahin gehen, daß an den theologischen Fakultäten "liberale"
Professoren auch für die nicht mehr geduldet werden, die sich ihnen zuwenden
Wollen? Diese Liberalen könnten ja andre fromme Gemüter in Versuchung
führen, die, ohne viel zu überlegen, die vom Staate patentirter destruktiven
Lehrer hörten. Gewiß ist das geschehen, und mir sind Beispiele bekannt, wo
engherzig erzogene junge Theologen durch Vorlesungen sogar von mäßig
liberalen Forschern noch an viel wichtigern Meinungen irre wurden, als an der
von dem Verfasser des ersten Buches Mosis oder des Evangeliums Johannes.
Das läßt sich auf evangelischem Boden nicht verhindern. Es giebt Maßregeln, die
das Übel mildern können, aber keine, die es unmöglich machen. Es giebt Naturen,
die auch jetzt ihre alten überlieferten Überzeugungen ungeprüft durch die Uni¬
versitätsjahre retten, aber die Kritik liegt so in der Zeit und beschränkt sich so
wenig auf das gehörte Wort, daß nachher, wie ebenfalls Beispiele lehren, eine
viel schlimmere Skepsis den ganzen Geist ergreift, wenn die Besinnung kommt,
und daß nun eine genügende wissenschaftliche Autorität sich nicht leicht findet,
den Schwankenden auf ein festes Land zu führen.

Wir sagten, nur die Universitäten könnten im jetzigen Staatskirchenwesen
noch eine gewisse Selbständigkeit behaupten. Darum wenden sich die Anträge,
die jetzt betrieben werden, und die bekannten Anträge der Generalsynode gegen
diese Selbständigkeit mit weit größerer Entschiedenheit als gegen die staatlichen
Rechte bei den Personen der Konsistorien und andrer Behörden. Denn seit
Jahren sind in diese Behörden meist Männer gekommen, die der herrschenden
Synodalrichtnng nicht anstößig sind, nicht gerade extreme Leute, aber solche, die
man "positiv" nennt. Nur dann und wann kommt einmal wegen hervorragender
Bedeutung auch ein etwas andrer Mann in eine wichtige Stelle. Diese Mischung
wird auch wohl der Lage entsprechen und bestätigt die Meinung, daß die gegen¬
wärtige kirchenpolitische Verfassung wohl geeignet sei, die Bedürfnisse der Zeit
zu befriedigen. Andre Zeiten werden sich später einmal in ähnlicher Weise
geltend machen; es braucht ihnen nicht leicht gemacht zu werden. Sie müssen


Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Kirche in Preußen.

leicht und zu früh auf einseitige Begrenzung des wissenschaftlichen Interesses,
am meisten die römische Kirche, aber auch die evangelische; so sehr sie auch der
Wissenschaft bedarf und sich mit Recht darauf beruft, daß die rechte Wissenschaft
endlich wieder zur Stütze des evangelischen Glaubens werde. Wir wollen uns
auch auf dem Wege zu dieser idealen Höhe keine Grenze der Forschung, insbesondre
der biblischen Forschung, auferlegen lassen, und darum wollen wir dem Staate alle
Fakultäten lassen, aber mit dem Beirat der Landeskirchenbehörde in ihrer Spitze.

Nur die Universität hat noch eine gewisse Selbständigkeit der evangelischen
Kirche gegenüber behauptet, und die Kirche fährt dabei nicht schlecht. An allen
Fakultäten kann die orthodoxeste Richtung der preußischen Theologen ihre
Dozenten finden, neben den andern, und wer sich damit nicht begnügt, kann in
Rostock, Erlangen, Leipzig noch weitergehende Bedürfnisse befriedigen. Oder
sollte das Streben dahin gehen, daß an den theologischen Fakultäten „liberale"
Professoren auch für die nicht mehr geduldet werden, die sich ihnen zuwenden
Wollen? Diese Liberalen könnten ja andre fromme Gemüter in Versuchung
führen, die, ohne viel zu überlegen, die vom Staate patentirter destruktiven
Lehrer hörten. Gewiß ist das geschehen, und mir sind Beispiele bekannt, wo
engherzig erzogene junge Theologen durch Vorlesungen sogar von mäßig
liberalen Forschern noch an viel wichtigern Meinungen irre wurden, als an der
von dem Verfasser des ersten Buches Mosis oder des Evangeliums Johannes.
Das läßt sich auf evangelischem Boden nicht verhindern. Es giebt Maßregeln, die
das Übel mildern können, aber keine, die es unmöglich machen. Es giebt Naturen,
die auch jetzt ihre alten überlieferten Überzeugungen ungeprüft durch die Uni¬
versitätsjahre retten, aber die Kritik liegt so in der Zeit und beschränkt sich so
wenig auf das gehörte Wort, daß nachher, wie ebenfalls Beispiele lehren, eine
viel schlimmere Skepsis den ganzen Geist ergreift, wenn die Besinnung kommt,
und daß nun eine genügende wissenschaftliche Autorität sich nicht leicht findet,
den Schwankenden auf ein festes Land zu führen.

Wir sagten, nur die Universitäten könnten im jetzigen Staatskirchenwesen
noch eine gewisse Selbständigkeit behaupten. Darum wenden sich die Anträge,
die jetzt betrieben werden, und die bekannten Anträge der Generalsynode gegen
diese Selbständigkeit mit weit größerer Entschiedenheit als gegen die staatlichen
Rechte bei den Personen der Konsistorien und andrer Behörden. Denn seit
Jahren sind in diese Behörden meist Männer gekommen, die der herrschenden
Synodalrichtnng nicht anstößig sind, nicht gerade extreme Leute, aber solche, die
man „positiv" nennt. Nur dann und wann kommt einmal wegen hervorragender
Bedeutung auch ein etwas andrer Mann in eine wichtige Stelle. Diese Mischung
wird auch wohl der Lage entsprechen und bestätigt die Meinung, daß die gegen¬
wärtige kirchenpolitische Verfassung wohl geeignet sei, die Bedürfnisse der Zeit
zu befriedigen. Andre Zeiten werden sich später einmal in ähnlicher Weise
geltend machen; es braucht ihnen nicht leicht gemacht zu werden. Sie müssen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199884"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Kirche in Preußen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2333" prev="#ID_2332"> leicht und zu früh auf einseitige Begrenzung des wissenschaftlichen Interesses,<lb/>
am meisten die römische Kirche, aber auch die evangelische; so sehr sie auch der<lb/>
Wissenschaft bedarf und sich mit Recht darauf beruft, daß die rechte Wissenschaft<lb/>
endlich wieder zur Stütze des evangelischen Glaubens werde. Wir wollen uns<lb/>
auch auf dem Wege zu dieser idealen Höhe keine Grenze der Forschung, insbesondre<lb/>
der biblischen Forschung, auferlegen lassen, und darum wollen wir dem Staate alle<lb/>
Fakultäten lassen, aber mit dem Beirat der Landeskirchenbehörde in ihrer Spitze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2334"> Nur die Universität hat noch eine gewisse Selbständigkeit der evangelischen<lb/>
Kirche gegenüber behauptet, und die Kirche fährt dabei nicht schlecht. An allen<lb/>
Fakultäten kann die orthodoxeste Richtung der preußischen Theologen ihre<lb/>
Dozenten finden, neben den andern, und wer sich damit nicht begnügt, kann in<lb/>
Rostock, Erlangen, Leipzig noch weitergehende Bedürfnisse befriedigen. Oder<lb/>
sollte das Streben dahin gehen, daß an den theologischen Fakultäten &#x201E;liberale"<lb/>
Professoren auch für die nicht mehr geduldet werden, die sich ihnen zuwenden<lb/>
Wollen? Diese Liberalen könnten ja andre fromme Gemüter in Versuchung<lb/>
führen, die, ohne viel zu überlegen, die vom Staate patentirter destruktiven<lb/>
Lehrer hörten. Gewiß ist das geschehen, und mir sind Beispiele bekannt, wo<lb/>
engherzig erzogene junge Theologen durch Vorlesungen sogar von mäßig<lb/>
liberalen Forschern noch an viel wichtigern Meinungen irre wurden, als an der<lb/>
von dem Verfasser des ersten Buches Mosis oder des Evangeliums Johannes.<lb/>
Das läßt sich auf evangelischem Boden nicht verhindern. Es giebt Maßregeln, die<lb/>
das Übel mildern können, aber keine, die es unmöglich machen. Es giebt Naturen,<lb/>
die auch jetzt ihre alten überlieferten Überzeugungen ungeprüft durch die Uni¬<lb/>
versitätsjahre retten, aber die Kritik liegt so in der Zeit und beschränkt sich so<lb/>
wenig auf das gehörte Wort, daß nachher, wie ebenfalls Beispiele lehren, eine<lb/>
viel schlimmere Skepsis den ganzen Geist ergreift, wenn die Besinnung kommt,<lb/>
und daß nun eine genügende wissenschaftliche Autorität sich nicht leicht findet,<lb/>
den Schwankenden auf ein festes Land zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2335" next="#ID_2336"> Wir sagten, nur die Universitäten könnten im jetzigen Staatskirchenwesen<lb/>
noch eine gewisse Selbständigkeit behaupten. Darum wenden sich die Anträge,<lb/>
die jetzt betrieben werden, und die bekannten Anträge der Generalsynode gegen<lb/>
diese Selbständigkeit mit weit größerer Entschiedenheit als gegen die staatlichen<lb/>
Rechte bei den Personen der Konsistorien und andrer Behörden. Denn seit<lb/>
Jahren sind in diese Behörden meist Männer gekommen, die der herrschenden<lb/>
Synodalrichtnng nicht anstößig sind, nicht gerade extreme Leute, aber solche, die<lb/>
man &#x201E;positiv" nennt. Nur dann und wann kommt einmal wegen hervorragender<lb/>
Bedeutung auch ein etwas andrer Mann in eine wichtige Stelle. Diese Mischung<lb/>
wird auch wohl der Lage entsprechen und bestätigt die Meinung, daß die gegen¬<lb/>
wärtige kirchenpolitische Verfassung wohl geeignet sei, die Bedürfnisse der Zeit<lb/>
zu befriedigen. Andre Zeiten werden sich später einmal in ähnlicher Weise<lb/>
geltend machen; es braucht ihnen nicht leicht gemacht zu werden. Sie müssen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Kirche in Preußen. leicht und zu früh auf einseitige Begrenzung des wissenschaftlichen Interesses, am meisten die römische Kirche, aber auch die evangelische; so sehr sie auch der Wissenschaft bedarf und sich mit Recht darauf beruft, daß die rechte Wissenschaft endlich wieder zur Stütze des evangelischen Glaubens werde. Wir wollen uns auch auf dem Wege zu dieser idealen Höhe keine Grenze der Forschung, insbesondre der biblischen Forschung, auferlegen lassen, und darum wollen wir dem Staate alle Fakultäten lassen, aber mit dem Beirat der Landeskirchenbehörde in ihrer Spitze. Nur die Universität hat noch eine gewisse Selbständigkeit der evangelischen Kirche gegenüber behauptet, und die Kirche fährt dabei nicht schlecht. An allen Fakultäten kann die orthodoxeste Richtung der preußischen Theologen ihre Dozenten finden, neben den andern, und wer sich damit nicht begnügt, kann in Rostock, Erlangen, Leipzig noch weitergehende Bedürfnisse befriedigen. Oder sollte das Streben dahin gehen, daß an den theologischen Fakultäten „liberale" Professoren auch für die nicht mehr geduldet werden, die sich ihnen zuwenden Wollen? Diese Liberalen könnten ja andre fromme Gemüter in Versuchung führen, die, ohne viel zu überlegen, die vom Staate patentirter destruktiven Lehrer hörten. Gewiß ist das geschehen, und mir sind Beispiele bekannt, wo engherzig erzogene junge Theologen durch Vorlesungen sogar von mäßig liberalen Forschern noch an viel wichtigern Meinungen irre wurden, als an der von dem Verfasser des ersten Buches Mosis oder des Evangeliums Johannes. Das läßt sich auf evangelischem Boden nicht verhindern. Es giebt Maßregeln, die das Übel mildern können, aber keine, die es unmöglich machen. Es giebt Naturen, die auch jetzt ihre alten überlieferten Überzeugungen ungeprüft durch die Uni¬ versitätsjahre retten, aber die Kritik liegt so in der Zeit und beschränkt sich so wenig auf das gehörte Wort, daß nachher, wie ebenfalls Beispiele lehren, eine viel schlimmere Skepsis den ganzen Geist ergreift, wenn die Besinnung kommt, und daß nun eine genügende wissenschaftliche Autorität sich nicht leicht findet, den Schwankenden auf ein festes Land zu führen. Wir sagten, nur die Universitäten könnten im jetzigen Staatskirchenwesen noch eine gewisse Selbständigkeit behaupten. Darum wenden sich die Anträge, die jetzt betrieben werden, und die bekannten Anträge der Generalsynode gegen diese Selbständigkeit mit weit größerer Entschiedenheit als gegen die staatlichen Rechte bei den Personen der Konsistorien und andrer Behörden. Denn seit Jahren sind in diese Behörden meist Männer gekommen, die der herrschenden Synodalrichtnng nicht anstößig sind, nicht gerade extreme Leute, aber solche, die man „positiv" nennt. Nur dann und wann kommt einmal wegen hervorragender Bedeutung auch ein etwas andrer Mann in eine wichtige Stelle. Diese Mischung wird auch wohl der Lage entsprechen und bestätigt die Meinung, daß die gegen¬ wärtige kirchenpolitische Verfassung wohl geeignet sei, die Bedürfnisse der Zeit zu befriedigen. Andre Zeiten werden sich später einmal in ähnlicher Weise geltend machen; es braucht ihnen nicht leicht gemacht zu werden. Sie müssen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/530>, abgerufen am 20.10.2024.