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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Österreich,

über gestellt hat. Am stärksten bedroht und vielfach schon geschädigt ist die
dritte Gruppe der im Besitze der deutschen Nationalität befindlichen Teile von
Böhmen. Dieselbe setzt sich aus folgende" Gebieten zusammen: 1. Das von
Trauteuau, welches bis tief in das Riesengebirge hineinreicht und sich hier mit
Preußisch-Schlesien berührt; 2, das von Grullas und Nokituitz, das sich bis
an den Glatzer Kessel erstreckt, sich also gleichfalls an Preußen anlehnt;
3, die böhmischen Distrikte des Schönhängstler Ländchens, das zum Teile zu
Mähren gehört; 4. ein Komplex von Ortschaften in der Iglauer Sprachinsel;
5, das Gebiet von Neubistritz, welches in unmittelbarem Zusammenhange mit
Niederösterreich steht; endlich 6. die Budwciser Gegend, welche vollständig von
Orten mit slawischer Bevölkerung eingeschlossen ist. Es liegt auf der Hand,
daß die hier lebenden Deutschen in ihrem Kampfe um die Erhaltung von Sprache
und Sitte sehr ungünstig gestellt sind. Namentlich gilt dies von den in den
Sprachiuselu gelegenen Dörfern, unter denen die meisten in wirtschaftlicher Be¬
ziehung von den großem tschechischen Städten und Marktflecken in ihrer Nach¬
barschaft abhängen. Mehr, als die deutscheu Schulen zu erhalten imstande sind,
wird hier durch den Lauf der Straßen, durch deu Marktverkehr, durch tschechisch
redende Geistliche, Richter und Verwaltungsbeamte, durch die Einwirkung des
zu deu Slawen haltenden reichbegüterten Hochadels, dnrch sprachliche Mischehen
und eine fast immer zum Schaden der Deutschen sich vollziehende Güterbewegung
weggefressen. Hier haben wir infolge aller dieser Umstände die größten natio¬
nalen Verluste erlitten. Dieser Prozeß vollzieht sich allenthalben in gleicher
Weise. Er tritt zuerst als Abspannung auf, die sich gegen die Besorgung der
öffentlichen Geschäfte durch Leute, welche die slawische Mehrheit des Bezirks
gewählt hat, nicht wehren zu können glaubt, und endigt, nachdem die offiziell
anerkannte " Utraquisirung," d. h. die Einschiebung von Beamten tschechischer
Nationalität und die Errichtung tschechischer Schulen ihre Dienste gethan hat, mit
dem Aufgehen der deutschen Bevölkerung in der slawischen Masse. Mehr und
mehr haben sich in den letzten Jahrzehnten jene Sprachinseln und selbst die Halb¬
inseln zerfasert und verkleinert, matter und immer matter ist das deutsche Leben
in ihnen geworden, immer schwächer die Hoffnung der Denkenden in ihnen, daß
mit Erfolg der Slawisiruug zu widerstehen ist, wenn das System, welches mit
der letzten Spracheuverorduuug ins Leben getreten ist, keine gründliche Abänderung
erfährt. Allerdings ist in den nördlichen Strichen dieser Gruppe von deutschen
Gebieten schon seit einiger Zeit und namentlich in den letzten Jahren ein reges
Streben nach Bewahrung der nationalen Eigenart erwacht, das sich dnrch Wil¬
dling von Vereinen zu diesem Zwecke, durch Versammlungen von Gleichgesinnten
und durch Veranstaltung von nationalen Festen (wir erinnern an die von vielen
Tausenden besuchte Feier der Enthüllung des Denkmals Kaiser Josefs in Trau-
tenau) verheißungsvoll äußert. Trotzdem würden sich die Deutschen dieser
ostböhmischeu Gruppe ohne werkthätige Unterstützung und Förderung von-


Deutsche Sorgen in Österreich,

über gestellt hat. Am stärksten bedroht und vielfach schon geschädigt ist die
dritte Gruppe der im Besitze der deutschen Nationalität befindlichen Teile von
Böhmen. Dieselbe setzt sich aus folgende» Gebieten zusammen: 1. Das von
Trauteuau, welches bis tief in das Riesengebirge hineinreicht und sich hier mit
Preußisch-Schlesien berührt; 2, das von Grullas und Nokituitz, das sich bis
an den Glatzer Kessel erstreckt, sich also gleichfalls an Preußen anlehnt;
3, die böhmischen Distrikte des Schönhängstler Ländchens, das zum Teile zu
Mähren gehört; 4. ein Komplex von Ortschaften in der Iglauer Sprachinsel;
5, das Gebiet von Neubistritz, welches in unmittelbarem Zusammenhange mit
Niederösterreich steht; endlich 6. die Budwciser Gegend, welche vollständig von
Orten mit slawischer Bevölkerung eingeschlossen ist. Es liegt auf der Hand,
daß die hier lebenden Deutschen in ihrem Kampfe um die Erhaltung von Sprache
und Sitte sehr ungünstig gestellt sind. Namentlich gilt dies von den in den
Sprachiuselu gelegenen Dörfern, unter denen die meisten in wirtschaftlicher Be¬
ziehung von den großem tschechischen Städten und Marktflecken in ihrer Nach¬
barschaft abhängen. Mehr, als die deutscheu Schulen zu erhalten imstande sind,
wird hier durch den Lauf der Straßen, durch deu Marktverkehr, durch tschechisch
redende Geistliche, Richter und Verwaltungsbeamte, durch die Einwirkung des
zu deu Slawen haltenden reichbegüterten Hochadels, dnrch sprachliche Mischehen
und eine fast immer zum Schaden der Deutschen sich vollziehende Güterbewegung
weggefressen. Hier haben wir infolge aller dieser Umstände die größten natio¬
nalen Verluste erlitten. Dieser Prozeß vollzieht sich allenthalben in gleicher
Weise. Er tritt zuerst als Abspannung auf, die sich gegen die Besorgung der
öffentlichen Geschäfte durch Leute, welche die slawische Mehrheit des Bezirks
gewählt hat, nicht wehren zu können glaubt, und endigt, nachdem die offiziell
anerkannte „ Utraquisirung," d. h. die Einschiebung von Beamten tschechischer
Nationalität und die Errichtung tschechischer Schulen ihre Dienste gethan hat, mit
dem Aufgehen der deutschen Bevölkerung in der slawischen Masse. Mehr und
mehr haben sich in den letzten Jahrzehnten jene Sprachinseln und selbst die Halb¬
inseln zerfasert und verkleinert, matter und immer matter ist das deutsche Leben
in ihnen geworden, immer schwächer die Hoffnung der Denkenden in ihnen, daß
mit Erfolg der Slawisiruug zu widerstehen ist, wenn das System, welches mit
der letzten Spracheuverorduuug ins Leben getreten ist, keine gründliche Abänderung
erfährt. Allerdings ist in den nördlichen Strichen dieser Gruppe von deutschen
Gebieten schon seit einiger Zeit und namentlich in den letzten Jahren ein reges
Streben nach Bewahrung der nationalen Eigenart erwacht, das sich dnrch Wil¬
dling von Vereinen zu diesem Zwecke, durch Versammlungen von Gleichgesinnten
und durch Veranstaltung von nationalen Festen (wir erinnern an die von vielen
Tausenden besuchte Feier der Enthüllung des Denkmals Kaiser Josefs in Trau-
tenau) verheißungsvoll äußert. Trotzdem würden sich die Deutschen dieser
ostböhmischeu Gruppe ohne werkthätige Unterstützung und Förderung von-


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[0518] Deutsche Sorgen in Österreich, über gestellt hat. Am stärksten bedroht und vielfach schon geschädigt ist die dritte Gruppe der im Besitze der deutschen Nationalität befindlichen Teile von Böhmen. Dieselbe setzt sich aus folgende» Gebieten zusammen: 1. Das von Trauteuau, welches bis tief in das Riesengebirge hineinreicht und sich hier mit Preußisch-Schlesien berührt; 2, das von Grullas und Nokituitz, das sich bis an den Glatzer Kessel erstreckt, sich also gleichfalls an Preußen anlehnt; 3, die böhmischen Distrikte des Schönhängstler Ländchens, das zum Teile zu Mähren gehört; 4. ein Komplex von Ortschaften in der Iglauer Sprachinsel; 5, das Gebiet von Neubistritz, welches in unmittelbarem Zusammenhange mit Niederösterreich steht; endlich 6. die Budwciser Gegend, welche vollständig von Orten mit slawischer Bevölkerung eingeschlossen ist. Es liegt auf der Hand, daß die hier lebenden Deutschen in ihrem Kampfe um die Erhaltung von Sprache und Sitte sehr ungünstig gestellt sind. Namentlich gilt dies von den in den Sprachiuselu gelegenen Dörfern, unter denen die meisten in wirtschaftlicher Be¬ ziehung von den großem tschechischen Städten und Marktflecken in ihrer Nach¬ barschaft abhängen. Mehr, als die deutscheu Schulen zu erhalten imstande sind, wird hier durch den Lauf der Straßen, durch deu Marktverkehr, durch tschechisch redende Geistliche, Richter und Verwaltungsbeamte, durch die Einwirkung des zu deu Slawen haltenden reichbegüterten Hochadels, dnrch sprachliche Mischehen und eine fast immer zum Schaden der Deutschen sich vollziehende Güterbewegung weggefressen. Hier haben wir infolge aller dieser Umstände die größten natio¬ nalen Verluste erlitten. Dieser Prozeß vollzieht sich allenthalben in gleicher Weise. Er tritt zuerst als Abspannung auf, die sich gegen die Besorgung der öffentlichen Geschäfte durch Leute, welche die slawische Mehrheit des Bezirks gewählt hat, nicht wehren zu können glaubt, und endigt, nachdem die offiziell anerkannte „ Utraquisirung," d. h. die Einschiebung von Beamten tschechischer Nationalität und die Errichtung tschechischer Schulen ihre Dienste gethan hat, mit dem Aufgehen der deutschen Bevölkerung in der slawischen Masse. Mehr und mehr haben sich in den letzten Jahrzehnten jene Sprachinseln und selbst die Halb¬ inseln zerfasert und verkleinert, matter und immer matter ist das deutsche Leben in ihnen geworden, immer schwächer die Hoffnung der Denkenden in ihnen, daß mit Erfolg der Slawisiruug zu widerstehen ist, wenn das System, welches mit der letzten Spracheuverorduuug ins Leben getreten ist, keine gründliche Abänderung erfährt. Allerdings ist in den nördlichen Strichen dieser Gruppe von deutschen Gebieten schon seit einiger Zeit und namentlich in den letzten Jahren ein reges Streben nach Bewahrung der nationalen Eigenart erwacht, das sich dnrch Wil¬ dling von Vereinen zu diesem Zwecke, durch Versammlungen von Gleichgesinnten und durch Veranstaltung von nationalen Festen (wir erinnern an die von vielen Tausenden besuchte Feier der Enthüllung des Denkmals Kaiser Josefs in Trau- tenau) verheißungsvoll äußert. Trotzdem würden sich die Deutschen dieser ostböhmischeu Gruppe ohne werkthätige Unterstützung und Förderung von-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/518>, abgerufen am 27.09.2024.