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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in "Österreich.

mente zusammen aber waren schwächer als das rumänische. Gegenwärtig leben
hier etwa 20 000 Magyaren und nur 5000 Deutsche. Einem ähnlichen Rück-
gange unsrer Nationalität begegnen wir in Kremnitz, Schemnitz, Kascheur,
Eperies, Kcsmark, Lcutschau, Großwardein, Gran und Waizen. Diese Beispiele,
die sich noch vermehren ließen, beweisen, daß namentlich das deutsche Bürger¬
tum der Magyarisirung verfallen ist, und es unterliegt leider keinem Zweifel,
daß dieselbe in den Städten weitere Erfolge zu verzeichnen haben wird, so lange
nicht neue politische Verhältnisse -- die wir beiläufig kaum dämmern sehen --
der gewaltsamen Entimtionalisiruug deutscher Volksmassen (denen es freilich
nicht ärger ergeht, als den ungarischen Slawen und Rumänen, auf die aber
doch der Trost folg-iruzn rnissris, sooios lmduisss nikckornrn wegen ihrer vor¬
nehmeren Herkunft und Bildung keine Anwendung leidet) Halt gebieten. Ebenso¬
wenig ist aber auch zu bezweifeln, daß die deutschen Bauern Ungarns, die große
Mehrzahl der Deutschen in diesem Lande, diese "Schwaben," welche zwar wenig
deutsches Bewußtsein und wenig Bildung und Weitblick besitzen, aber zäh am
Herkommen und namentlich an der Sprache ihrer Väter festhalten, und auf
welche die magyarisireude Schule nur geringen Einflusz hat, da der Verkehr in
der Familie und im Dorfe ihn wieder verdrängt und verwischt, daß, sagen wir,
das deutsche Bauerntum Ungarns die jetzige Magyarisirungsära überdauern wird,
und daß am Neusiedler See, in Banate, in der Batschka, in der "Schwäbischen
Türkei," an der Aluta und in den Kvkeln, kurz allenthalben, wo kompakte Massen
deutschen Landvolkes sich niedergelassen haben, noch im nächsten Jahrhundert und
im übernächsten die deutsche Zunge klingen und deutsches Wesen walten wird.

Die Tschechen haben die Mitte des böhmischen Vierecks, die Deutschen
dessen Seiten inne, jene besitzen ein Gebiet von etwa 560, diese ein solches von
etwas mehr als 340 Quadmtmeileu, jene zählen rund 3^, diese ungefähr
2^/4 Millionen Köpfe. Die Slawen sind also den Deutschen an Zahl über¬
legen, und sie haben den Vorteil der konzentrischen Lage für sich, zu welchem
der fernere kommt, daß die Landeshauptstadt, wo beide Nationalitäten sich
mische", mitten im tschechischen Distrikte liegt; endlich werden sie in ihren Be¬
strebungen, sich auszudehnen, dadurch unterstützt, daß auf ihrem Gebiete die
Landwirtschaft, auf dem deutschen dagegen die Fabrikthätigkeit herrscht, und daß
in unsrer Zeit Massen von Arbeitern von jeuer, die sie nicht genügend mehr
ernährt, sich abwenden und dieser, die sie braucht und begehrt, zuströmen, mit
andern Worten, daß eine Auswanderung von Tschechen nach den deutschen
Landstrichen aus wirtschaftlichen Gründen den nationalen Charakter der letzteren
einigermaßen zu alteriren begonnen hat. Deutschböhmen bildet ein geschlossenes
Sprachgebiet, in dem sich aber drei Hauptgruppen unterscheiden lassen: eine
südwestliche, welche im Süden, wo sie an Österreich stößt, breiter als im Norden
sich ausdehnt und im gauzeu über 60 Quadratmeilen einnimmt, eine nördliche,
die, im Westen am breitesten, dann abwechselnd breiter und schmaler, am Erz-


Deutsche Sorgen in «Österreich.

mente zusammen aber waren schwächer als das rumänische. Gegenwärtig leben
hier etwa 20 000 Magyaren und nur 5000 Deutsche. Einem ähnlichen Rück-
gange unsrer Nationalität begegnen wir in Kremnitz, Schemnitz, Kascheur,
Eperies, Kcsmark, Lcutschau, Großwardein, Gran und Waizen. Diese Beispiele,
die sich noch vermehren ließen, beweisen, daß namentlich das deutsche Bürger¬
tum der Magyarisirung verfallen ist, und es unterliegt leider keinem Zweifel,
daß dieselbe in den Städten weitere Erfolge zu verzeichnen haben wird, so lange
nicht neue politische Verhältnisse — die wir beiläufig kaum dämmern sehen —
der gewaltsamen Entimtionalisiruug deutscher Volksmassen (denen es freilich
nicht ärger ergeht, als den ungarischen Slawen und Rumänen, auf die aber
doch der Trost folg-iruzn rnissris, sooios lmduisss nikckornrn wegen ihrer vor¬
nehmeren Herkunft und Bildung keine Anwendung leidet) Halt gebieten. Ebenso¬
wenig ist aber auch zu bezweifeln, daß die deutschen Bauern Ungarns, die große
Mehrzahl der Deutschen in diesem Lande, diese „Schwaben," welche zwar wenig
deutsches Bewußtsein und wenig Bildung und Weitblick besitzen, aber zäh am
Herkommen und namentlich an der Sprache ihrer Väter festhalten, und auf
welche die magyarisireude Schule nur geringen Einflusz hat, da der Verkehr in
der Familie und im Dorfe ihn wieder verdrängt und verwischt, daß, sagen wir,
das deutsche Bauerntum Ungarns die jetzige Magyarisirungsära überdauern wird,
und daß am Neusiedler See, in Banate, in der Batschka, in der „Schwäbischen
Türkei," an der Aluta und in den Kvkeln, kurz allenthalben, wo kompakte Massen
deutschen Landvolkes sich niedergelassen haben, noch im nächsten Jahrhundert und
im übernächsten die deutsche Zunge klingen und deutsches Wesen walten wird.

Die Tschechen haben die Mitte des böhmischen Vierecks, die Deutschen
dessen Seiten inne, jene besitzen ein Gebiet von etwa 560, diese ein solches von
etwas mehr als 340 Quadmtmeileu, jene zählen rund 3^, diese ungefähr
2^/4 Millionen Köpfe. Die Slawen sind also den Deutschen an Zahl über¬
legen, und sie haben den Vorteil der konzentrischen Lage für sich, zu welchem
der fernere kommt, daß die Landeshauptstadt, wo beide Nationalitäten sich
mische», mitten im tschechischen Distrikte liegt; endlich werden sie in ihren Be¬
strebungen, sich auszudehnen, dadurch unterstützt, daß auf ihrem Gebiete die
Landwirtschaft, auf dem deutschen dagegen die Fabrikthätigkeit herrscht, und daß
in unsrer Zeit Massen von Arbeitern von jeuer, die sie nicht genügend mehr
ernährt, sich abwenden und dieser, die sie braucht und begehrt, zuströmen, mit
andern Worten, daß eine Auswanderung von Tschechen nach den deutschen
Landstrichen aus wirtschaftlichen Gründen den nationalen Charakter der letzteren
einigermaßen zu alteriren begonnen hat. Deutschböhmen bildet ein geschlossenes
Sprachgebiet, in dem sich aber drei Hauptgruppen unterscheiden lassen: eine
südwestliche, welche im Süden, wo sie an Österreich stößt, breiter als im Norden
sich ausdehnt und im gauzeu über 60 Quadratmeilen einnimmt, eine nördliche,
die, im Westen am breitesten, dann abwechselnd breiter und schmaler, am Erz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/516>, abgerufen am 27.09.2024.